Ginnis schreibt Ski-Geschichte : Das Alpin-Orakel von Delphi
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Der erste Grieche auf einem Siegerpodest: AJ Ginnis Bild: AFP
Beim Slalom in Chamonix erlebt AJ Ginnis, der eigentlich Alexandros Ginis heißt, eine Sternstunde. Als erster Grieche im alpinen Ski-Weltcup fährt er auf das Siegerpodest.
Das Lob kam aus berufenem Munde: „Der kann Ski fahren“, sagte ARD-Experte Felix Neureuther über AJ Ginnis – freilich schon unmittelbar, nachdem der 28-Jährige sich aus dem Starthäuschen geschoben hatte. Als der Mann mit der Startnummer 45 – der sich im ersten Durchgang schon überraschend gut auf Platz 23 plaziert hatte – nach famoser Fahrt das Ziel erreichte, merkten dann ziemlich viele Zuschauer, dass dieser Ginnis Ski fahren kann. Bestzeit – 0,81 Sekunden Vorsprung.
Doch die Sensation nahm dann erst so nach und nach Gestalt an, denn diese Bestzeit sollte beinahe bis zum letzten Fahrer halten. Ginnis, der auf dem Thron des aktuell Führenden Platz genommen hatte, konnte sein Glück kaum fassen, als die Etablierten der Reihe nach hinter ihm landeten – wie Weltmeister Sebastian Foss-Solevag (5.), dessen norwegischer Landsmann Atle Lie McGrath (4.), der Deutsche Linus Straßer (6.) und Kitzbühel-Sieger Daniel Yule (3.) aus der Schweiz – oder gar ausschieden, wie WM-Favorit Hendrik Kristofferson (Norwegen) und Olympiasieger Clement Noel (Frankreich).
Nur der wiedererstarkte Schweizer Ramon Zenhäusern, Olympia-Zweiter von 2018, schaffte es, die Weltcup-Piste von Chamonix insgesamt noch schneller zu bewältigen als der flotte Grieche – doch der hielt bis zum Schluss die Laufbestzeit und er sollte als Gesamtzweiter die Sensation des Tages bleiben.
Das persönliche Ziel von AJ Ginnis, der eigentlich Alexandros Ginis heißt, war einst gewesen, als erster Grieche der Ski-Geschichte alpine Weltcup-Punkte zu sammeln. Im Januar 2021 hatte er es erreicht, als er in Flachau völlig überraschend Elfter wurde.
Doch insgesamt reihten sich für das in Athen geborene Ein-Mann-Skiteam mehr griechische Tragödien als ruhmreiche Erfolge aneinander. Bis heute sah er bei zuvor 43 Weltcup-Starts nur dreimal das Ziel, sammelte dabei insgesamt gerade mal 40 Weltcup-Punkte. Dafür erlitt er schon drei Kreuzbandrisse.
Schon der Vater von AJ Ginnis war ein begeisterter Skifahrer. Er betrieb am Mount Parnassos in der Nähe von Delphi sogar eine Skischule. Der Blick von der Piste schweift über Olivenhaine, zwischen 1600 und 2300 Metern sind immerhin 17 Lifte in Betrieb. Und drei der 36 Pistenkilometer gelten sogar als schwer.
Ginnis wanderte später mit seinem Vater später nach Österreich ins Salzburger Land aus, begann dort mit elf Jahren für den Skiklub Kaprun Rennen zu fahren. Mit 15 zog er zu seiner Mutter nach Amerika, besuchte eine Schule in Vermont und startete seitdem für das US-Team. Bei der Junioren-WM 2015 gewann er sogar Bronze im Slalom. Im Weltcup kam der Doppelstaatsbürger 2016 einmal auf den 26. Platz.
Nachdem das US-Slalomteam kurz danach wegen Perspektivlosigkeit aufgelöst wurde, sammelte Ginnis über Crowdfunding Geld und zog fortan als Einzelkämpfer durch die Ski-Welt. Schließlich fragte der griechische Verband an, ob er nicht für das Land seines Vaters starten wolle, wenn er ohnehin kein Team im Rücken habe. Er sagte zu. Und definierte sein eigenes Ziel.
Nun schaffte er 14 Tage vor dem WM-Slalom, gerade mal zwei Autostunden von Meribel und Courchevel entfernt, einen sensationellen zweiten Platz – und verdreifachte sein bisheriges Weltcuppunkte-Konto von 40 auf 120. Einen Griechen mit einer alpinen WM-Medaille gab es übrigens auch noch nicht.