FAZ.NET-Spezial: Vierschanzentournee : Die goldenen Zeiten sind vorbei
- Aktualisiert am
Deutscher Hoffnungsträger: Michael Uhrmann Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb
Was waren das doch für Zeiten, als Hannawald die Vierschanzentournee dominierte! Nun sind die Springen nicht mehr ausverkauft, die TV-Quoten sinken - und die Fans warten sehnsüchtig auf einen deutschen Sieger. FAZ.NET-Spezial.
Die Vierschanzentournee ist seit 1999 auch ein großes Medienthema, seit dem Einstieg von RTL. Mit dem neuen Slogan „Freudensprünge“ und in Erwartung höherer Einschaltzahlen startet der Kölner Privatsender an diesem Mittwoch seine Übertragungen von der Tournee. Zwölf Monate nach dem Tief von durchschnittlich nur noch fünfeinhalb Millionen Zuschauern an den Bildschirmen setzt der Sender auf bewährte Technik - und hofft auf deutsche Erfolge.
„Gute deutsche Springer sind die Voraussetzung für gute Quoten. Insofern ist die Saison hoffnungsvoll angelaufen. Wie sich dies bei der Tournee auswirkt, wird man sehen. Wir formulieren keine Ziele“, sagt RTL-Sprecher Matthias Bolhöfer. Der Produktionsaufwand ist auch in der siebten RTL-Saison erheblich. Ein neues Kamerasystem wird erstmals beim Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen eingesetzt.
„Mehr geht kaum noch“
Insgesamt werden dort etwa dreißig Kameras verwendet, sogar von einem Helikopter aus werden Bilder aufgenommen. Für die RTL-Übertragungen werden rund 63.000 Meter Kabel am Hang benötigt. 20 technische Fahrzeuge gehören zur Ausrüstung. „Was die Technik betrifft, sind wir am Limit. Mehr geht kaum noch. Wir haben in den letzten Jahren ein hervorragendes Niveau erlangt und nun nur noch Fine-Tuning betrieben“, sagt Bolhöfer.
Daß RTL sich peu a peu vom Skispringen verabschiede, wie zuvor schon vom Boxen und vom Beachvolleyball, das hatte Bolhöfer schon im Herbst heftig bestritten. Tatsache aber ist, daß RTL sein Senderecht am Weltcupspringen in Willingen im Februar an die ARD abgetreten hat. Es gibt einen unübersehbaren wirtschaftlichen und sportlichen Einbruch: Die Springen sind nicht ausverkauft, die TV-Quoten gesunken - und seit beinahe zwei Jahren gibt es keinen deutschen Sieg.
Werbespot-Preise fast halbiert
„Wir brauchen dringend deutsche Siege, da hängt für den ganzen deutschen Skisport viel Geld dran. Wenn es einer schafft, dann Michael Uhrmann“, meint Jens Weißflog. Der dreimalige Olympiasieger ist mit vier Tournee-Gesamtsiegen immer noch Rekordhalter, inzwischen kommentiert er für das ZDF. Seit Sven Hannawalds „Grand-Slam-Sieg“ bei der Tournee 2001/2002 sind die Zuschauerzahlen im Fernsehen von bis zu 15 Millionen auf fast ein Drittel dieses Rekordwertes gesunken.
Die Preise für 30-Sekunden-Werbespots haben sich von 60.000 Euro etwa halbiert. Für die sonst binnen Stunden ausverkaufte Auftaktkonkurrenz in Oberstdorf gibt es noch Karten, auch bei den restlichen drei Konkurrenzen in Garmisch-Partenkirchen (1. Januar), Innsbruck (4. Januar) und Bischofshofen (6. Januar) läuft der Vorverkauf schleppend.
Wieder auf dem Boden der Tatsachen
Auch der Deutsche Skiverband (DSV) braucht wieder Skisprung-Erfolge, weil schon bald über den von Ende 2007 an gültigen neuen Fernsehvertrag verhandelt werden soll. Die 75 Millionen Euro für sieben Jahre, die RTL insgesamt aufbringt, dürften nicht mehr zu erlösen sein. Die Attraktivität, sprich die Leistungen der Skispringer werden für das Ergebnis des kommenden Fernsehvertrages maßgebend sein. Auch Bundestrainer Peter Rohwein und sein Team können sich von dieser Herausforderung nicht freimachen. Der DSV wurde durch das RTL-Geld unabhängig von öffentlichen Fördergeldern und ist deshalb Musterverband im deutschen Sport geworden.
Weil Sven Hannawald und Martin Schmitt nach den Olympischen Winterspielen 2002 in Salt Lake City praktisch parallel ins Abseits geraten sind - der erkrankte Hannawald ist sogar zurückgetreten -, ist das hochgespielte „Produkt“ Skispringen wieder auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Der Sport ist so traditionell wie behäbig, wenn man den TV-Rummel abzieht. „Wenn die Quote weiter sinkt, was in den letzten beiden Jahren in überschaubarem Maße passiert ist, wird sich das auch bei den Sponsoringerlösen auswirken“, behauptet Christian Pirzer, Geschäftsführer des Tournee-Vermarkters IMG.
„Gesamtpaket Skisport hat bestimmten Wert“
Der Skiverband und sein neuer Präsident Alfons Hörmann lenken den Blick auf die angeblich populärer werdenden Sparten Nordische Kombination und Skilanglauf. RTL hatte alle DSV-Fernsehrechte (auch Ski alpin) erworben, alles außer Skispringen dann aber weitergereicht. ARD, ZDF und Eurosport zeigen die verschmähten Disziplinen. Der DSV spekuliert darauf, daß die einstigen Randsportarten in den Verhandlungen werthaltiger als früher sein könnten.
„Das Gesamtpaket Skisport hat schon einen bestimmten Wert“, sagt Thomas Pfüller, Generalsekretär und Sportdirektor des Verbandes. Gleichwohl bereitet er schon heute einen Sparkurs vor - Talente und Topathleten sollen dabei weiter optimal gefördert werden. Dem Nachwuchs will Pfüller nicht den Boden entziehen. Er denkt mindestens in einem Zeitraum bis nach den Olympischen Spielen 2010 in Vancouver.
Große Konkurrenz durch Biathlon
Marktforscher sagen allerdings nur moderate Einbußen von zehn bis zwanzig Prozent für den DSV voraus. Die goldenen Zeiten seien für das Skispringen vorbei, aber der DSV müsse wohl nicht mit einem von manchen befürchteten Einbruch von fünfzig Prozent kalkulieren. Mehr als 50.000 Zuschauer werden zum Auftakt der 54. Auflage der Tournee in die Stadien nach Oberstdorf (29. Dezember) und Garmisch-Partenkirchen (1. Januar) pilgern, um Titelverteidiger Janne Ahonen (Finnland) und den deutschen Herausforderer Michael Uhrmann zu bestaunen.
Millionen machen es sich daheim vor den Fernsehschirmen bequem. Größte Konkurrenz für das Skispringen wird wieder Biathlon sein: Bereits zum vierten Mal treffen sich einige der weltbesten Biathleten in der Arena „AufSchalke“ zum Indoor-Biathlon (30. Dezember), zum hochdotierten Einladungsrennen, bei dem sich 50.000 eigentlich auf Fußball programmierte Sportfans vergnügen möchten.
Zeitplan:
Oberstdorf:
Mittwoch, 28. Dezember: 16.30 Uhr Qualifikation
Donnerstag, 29. Dezember: 16.30 Uhr erstes Springen
Garmisch-Partenkirchen:
Samstag, 31. Dezember: 13.45 Uhr Qualifikation
Sonntag, 1. Januar 2006: 13.45 Uhr zweites Springen
Innsbruck:
Dienstag, 3. Januar: 13.45 Uhr Qualifikation
Mittwoch, 4. Januar: 13.45 Uhr drittes Springen.
Bischofshofen:
Donnerstag, 5. Januar: 16.30 Uhr Qualifikation.
Freitag, 6. Januar: 16.30 Uhr viertes Springen
Fernsehen: jeweils live in RTL
Deutsches Aufgebot: Alexander Herr (Schonach/13. Tournee-Teilnahme), Michael Uhrmann (Rastbüchl/12.), Martin Schmitt (Furtwangen/11.), Georg Späth (7.), Kai Bracht (beide Oberstdorf/5.), Jörg Ritzerfeld (6.), Stephan Hocke (5.), Andreas Wank (alle Oberhof/2.), Maximilian Mechler (Isny/6.), Michael Neumayer (Berchtesgaden/5.), Julian Musiol (Zella-Mehlis/2.), Erik Simon (Zschopau/1.) - Vor den letzten beiden Springen wird das Aufgebot auf sechs Mann reduziert.
Gesamtsieger seit 2000: 1999/2000: Andreas Widhölzl (Österreich), 2000/01: Adam Malysz (Polen), 2001/02: Sven Hannawald (Hinterzarten), 2002/03: Janne Ahonen (Finnland), 2003/04: Sigurd Pettersen (Norwegen), 2004/05: Janne Ahonen (Finnland).
Die meisten Gesamtsiege: Jens Weißflog 4 (1983/84, 1984/85, 1990/91, 1995/96)
Deutsche Gesamtsiege: Weißflog 4 (1983/84, 1984/85, 1990/91, 1995/96), Helmut Recknagel 3 (1957/58, 1958/59, 1960/61), Jochen Danneberg 2 (1975/76, 1976/77), Max Bolkart 1 (1959/60), Horst Queck 1 (1969/70), Rainer Schmidt 1 (1972/73), Hans-Georg Aschenbach 1 (1973/74), Manfred Deckert 1 (1981/82), Dieter Thoma 1 (1989/90), Sven Hannawald 1 (2001/02, mit vier Tagessiegen).
Preisgeld: Jeweils 70.000 Schweizer Franken (rund 44.800 Euro): 1. Platz: 30.000 (19.200 Euro), 2. Platz: 15.000 (9600) 3. Platz: 10.000 (6400), 4. Platz: 6000 (3850), 5. Platz: 3000 (1920), 6. Platz: 2000 (1280), 7. bis 10. Platz: je 1000 (640). - Der Gesamtsieger erhält einen Geländewagen im Wert von 33.000 Euro.