Eiskunstlauf : Eine Weltneuheit als vorolympisches Wetterleuchten
- -Aktualisiert am
Simulierte Leidenschaft: Bolero von Savchenko/Szolkowy Bild: AFP
Die deutschen Paarläufer Aljona Savchenko und Robin Szolkowy müssen sich bei der Eiskunstlauf-WM mit Silber begnügen. Aber am Ende ihrer verpatzten Kür gelingt ein dreifacher Wurfaxel.
Aljona Savchenko und Robin Szolkowy schienen sich in ihrer Kür verlaufen zu haben. Statt aus Ravels „Bolero“ Funken zu schlagen wie einst die britischen Eistanzlegenden Torvill und Dean bei ihrem Olympiasieg 1984 steuerten die Chemnitzer Paarläufer auf ein glanzloses Finale ihrer Kür zu. Patzer säumten ihren Weg: So rotierte die viermalige Weltmeisterin bei der Dreifach-Dreifach-Toeloopkombination jeweils nur zweimal wie auch beim untertourig angegangenen Dreifachsalchow. Dabei rutschte ihr bis dahin stabiler Partner nach einem Sturz umher.
Was sollte dieser pannenreiche Freitag im kanadischen London noch in petto haben? Knapp 7000 Zuschauer am Schauplatz dieser Eiskunstlauf-WM frohlockten schon, dass „ihr“ zuvor fast fehlerlos gebliebenes kanadisches Paar Duhamel/Radford vor den Deutschen ans Ziel kommen würde. Und dann passierte, womit niemand mehr gerechnet hatte. Am Ende einer Kür, die wie eine freudlose Pflichtübung aussah, hob Aljona Savchenko beim Wurfaxel ab, drehte sich einmal, zweimal, dreimal und noch ein halbes Mal, und fertig war eine Weltpremiere: ein dreifacher Wurfaxel zum Finale eines 4:45 Minuten langen Programms.
Da staunten die Kenner, und das Publikum wunderte sich. Es buhte die Preisrichter aus, nicht wissend, dass dieses Nonplusultra der Wurfelemente mit acht Punkten fast doppelt so hoch bewertet wird wie der sonst an dieser Stelle von Savchenko/Szolkowy gezeigte dreifache Wurfsalchow. Die Zuschauer sahen schließlich nur die Fehler der von Platz drei nach dem Kurzprogramm auf Rang zwei gesprungenen Deutschen.
Ingo Steuer aber, der Trainer der noch einmal spektakulär davongekommenen Weltmeister von gestern, freute sich über den qualitativ hochwertigen Schluss-Sprung: „Das war sensationell“, sagte der frühere Paarlauf-Weltmeister, „das geht in die Geschichtsbücher ein, und es war auch ein motivierendes Zeichen für Sotschi.“
Ein Sprung hat genügt, aus einem verloren geglaubten Tag lichte Perspektiven für das olympische Jahr 2014 ableiten zu können. „Wenn wir mit offenen Karten spielen“, sagte der zum Selbstlob nicht neigende Szolkowy, „weiß keiner, was dabei rauskommt.“ Das zumindest ahnen auch die in London erstmals am höchsten dekorierten russischen Europa- und Weltmeister Wolososchar/Trankow. Sie zeigten nach drei Jahren Zweisamkeit die bisher beste Kür ihres Lebens und verdienten sich einen gewaltigen Vorsprung von rund zwanzig Punkten gegenüber dem prägenden Paar der vergangenen zehn Jahre.
Die Weltrekordzahl an Punkten (225,71), die den Moskauern in dem Zweiteiler von London zuteil wurde, verführte Maxim Trankow nicht zu leichtsinnigen Schlussfolgerungen. „Nächstes Jahr beginnt alles wieder von vorn. Aljona und Robin (205,56 Punkte) sind ein starkes Paar. Sie wissen, wie man kämpft. Sie haben vier Weltmeistertitel geholt. Wir sind immer besonders motiviert, gegen sie zu laufen.“ Da auch die drittplazierten Kanadier Duhamel/Radford den Anspruch auf mehr verspürt haben dürften, verspricht die olympische Paarlaufkonkurrenz 2014 ein sportliches Drama in dieser nach sieben titellosen Jahren von der einstigen Kunstlaufweltmacht Russland zurückeroberten Bastion.
Vorolympisches Wetterleuchten
Die alten Meister aus Chemnitz können gute Gründe geltend machen, warum sie in diesem Winter nicht von Sieg zu Sieg glitten. Fast acht Wochen litt die gebürtige Ukrainerin Savchenko unter einer hartnäckigen Erkältungskrankheit; der Trainingsrückstand war nicht mehr aufzuholen; das Wettbewerbsprogramm schrumpfte von sechs auf vier Starts; dazu sollten Savchenko/Szolkowy in dieser Saison noch nicht alle olympischen Register ziehen. Der Dreifachwurfaxel war deshalb so etwas wie ein vorolympisches Wetterleuchten, da sich Wolososchar/Trankow, die sich als Hüter des „traditionellen Paarlaufs“ verstehen und die „pure Artistik“ nicht mögen, an diese Höchstschwierigkeit wohl nicht herantrauen werden. Savchenko, Szolkowy und Steuer hatten erst nach dem Aufwärmen am Freitag entschieden, das Axel-Experiment zu riskieren.
Die sieggewohnten Deutschen müssen auf dem Weg nach Sotschi nun eine konstante Balance auf höchstem Niveau finden, wollen sie in der russischen Schwarzmeerstadt keine Achterbahnkür wie in der kanadischen Provinz hinlegen. Ein Dreifachwurfaxel ist zu wenig, um auf dem Gipfel abtreten zu können. Aljona Savchenko versprach für 2014 weitere Knalleffekte: „Wir müssen jetzt nicht alles zeigen, sonst wird es ja langweilig.“