Deutsche Staffel enttäuscht : „Dafür trainiert man nicht 20 Jahre“
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Der Erfahrenste patzt: Benedikt Doll (r.) konnte Schlussläufer Roman Rees keine gute Ausgangsposition bescheren. Bild: dpa
Die WM in Oberhof soll einen Biathlon-Boom auslösen. Doch der Start der deutschen Mannschaft misslingt. Ausgerechnet der Erfahrenste im Mixed-Team patzt.
Auf den ersten Blick lässt sich das Ergebnis des ersten Rennens bei der Biathlon-Weltmeisterschaft in Oberhof mit zwei Wörtern beschreiben: wie erwartet. Norwegen auf Platz eins. Doch der Weg des skandinavischen Quartetts zu diesem vierten WM-Titel in Serie in der Mixed-Staffel war alles andere als zu erwarten: Mit insgesamt neun Schießfehlern und einer Strafrunde gewannen sie diese Goldmedaille. Schlussläufer Johannes Thingnes Bö, der große WM-Favorit, konnte im Liegendschießen eine weitere Strafrunde gerade noch abwenden. Der italienische Schlussläufer Tommaso Giacomel schob sich sogar an dem viermaligen Olympiasieger vorbei. Doch nach dem letzten Schießen, bei dem sich beide jeweils einen Fehler leisteten, zog Bö dank seiner überragenden Laufform mit Leichtigkeit an dem Italiener vorbei und glitt als erster über die Ziellinie. Italien sicherte sich Silber vor Frankreich.
Und die Deutschen? Einen neuen Biathlon-Boom wollen sie mit der Weltmeisterschaft in Oberhof auslösen – das ist zumindest der Wunsch des Deutschen Skiverbandes, wie Sportdirektor Felix Bitterling angekündigt hat. Die WM vor heimischer Kulisse soll die Menschen im Land und vor den Bildschirmen „nach den schwierigen Corona-Jahren“ begeistern. „Wenn wir da morgen gut aus den Latschen kommen, dann kann das richtig anfangen zu rollen“, sagte Bitterling am Dienstag und bezeichnete die Mixed-Staffel als „das härteste Rennen überhaupt. Da schicken die Nationen ihre stärksten Männer und Frauen an den Start.“
„Wir halten als Team zusammen“
Es wurde Platz sechs für das deutsche Quartett und hart wurde es vor allem für Benedikt Doll. Der erfahrenste Biathlet im deutschen Team ging als dritter Läufer auf die Strecke und verfehlte gleich bei seinem ersten Schießen im Liegen dreimal das Ziel. Auch einer der drei Nachlader traf nicht ins Schwarze: Strafrunde für Deutschland. „Mein Schießen war vogelwild, einfach eine Katastrophe“, sagte er hinterher im ZDF-Interview: „Dafür trainiert man nicht 20 Jahre Biathlon.“
Ärgerlich war für ihn vor allem, dass er aus der guten Vorarbeit seiner Teamkollegin Denise Herrmann-Wick so wenig machen konnte. Die Einzel-Olympiasiegerin hatte von Startläuferin Vanessa Voigt an elfter Position übernommen und sich dank eines fehlerfreien Liegendschießens und einer starken Laufleistung auf Position drei vorgearbeitet. Das lässt für das Einzelrennen am Freitagnachmittag hoffen. „Es ist schön zu sehen, dass die Form da ist“, sagte sie über ihre eigene Leistung und fand tröstende Wort für Teamkollege Doll: „Das ist uns allen schon passiert. Wir halten als Team zusammen.“
WM-Debütantin Vanessa Voigt hatte einen denkbar unglücklichen Start in die Staffel erwischt. Sie war gleich zu Beginn des Rennens an einem Anstieg im Gedränge ins Straucheln geraten, was viel Kraft kostete, und verzeichnete dann jeweils einen Schießfehler liegend und stehend. Schlussläufer Roman Rees schloss das Rennen zumindest mit einem Erfolgserlebnis ab. Sein fehlerfreies Stehendschießen konnte die Enttäuschung jedoch kaum mildern.
Von Dolls Schwäche am Schießstand profitierte vor allem der Norweger Sturla Holm Laegreid. Auch sein Team war nicht gut „aus den Latschen“ gekommen. Startläuferin Ingrid Landmark Tandrevold musste schon nach dem Stehendschießen in die Strafrunde, machte auf der Strecke aber einiges wett und übergab als Achte an Marte Olsbu Röiseland, die nur einmal daneben schoss.
Laegreid, dessen Stern bei den Weltmeisterschaften 2021 so richtig aufging, wo er vier Goldmedaillen gewann, übertrumpfte im ersten WM-Rennen von Oberhof mit zwei fehlerfreien Schießen sogar seinen Landsmann Bö. Auf Instagram hatte Laegreid vor WM-Beginn noch ein Foto von der finalen Vorbereitung veröffentlicht und dazu geschrieben: „Die Arbeit ist getan, jetzt müssen wir nur noch beten, dass es genug ist.“ Und ob, wollte man ihm zurufen. „Ich habe zu Ingrid gesagt, jetzt haben wir nichts zu verlieren“, sagte der 25-Jährige nach der Staffel. „Am Schießstand habe ich gesehen, dass die anderen Schwierigkeiten haben und habe einfach losgefeuert. Es war ein gutes Gefühl, führend an Johannes zu übergeben.“
Die Begeisterung der 19.000 Zuschauerinnen und Zuschauer in der Oberhofer Arena bremste der enttäuschende WM-Auftakt der Deutschen nicht. Sie jubelten auch den Norwegern, Italienern und Franzosen zu, wie schon bei der Eröffnungsfeier. Im Kurpark der 1600-Einwohner-Gemeinde kamen am Dienstagabend nach offiziellen Angaben rund 4500 Menschen zusammen. Dass es auch deutsche Erfolge braucht, um einen Boom auszulösen, „ist klar“, hatte Felix Bitterling vor der Mixed-Staffel gesagt. „Dafür arbeiten wir als Team jeden Tag sehr, sehr hart.“ Und: „Bei einer Heim-WM schlägt das Herz ein bisschen anders. Wir wollen unseren Fans was bieten.“ Noch mehr als eine Woche lang haben die Deutschen jetzt die Chance, diese Ankündigung wahr werden zu lassen.