Tennis in Wimbledon : Keine Chance für junge Hüpfer
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Der Rekord-Sieger: Roger Federer hat schon acht Mal in Wimbledon triumphiert. Bild: dpa
Die vergangenen zehn Grand-Slam-Titel im Männer-Tennis teilen sich Federer, Djokovic und Nadal unter sich auf. Die alte Garde ist auch in Wimbledon das Maß der Dinge. Denn den Herausforderern fehlt etwas Entscheidendes.
Roger Federer ist ein Ausbund an Freundlichkeit. Wenn der beliebteste Tennisspieler der Welt nach seiner Einschätzung über einen Kollegen oder eine Veranstaltung gefragt wird, dann wird er immer die positiven Aspekte nennen, die negativen unter den Tisch fallen lassen oder nur in einer Fußnote bemerken. „Das Tennis ist auch ohne uns in guten Händen“, sagte der 37 Jahre alte Schweizer vor kurzem in Halle/Westfalen, als er nach der jungen Generation gefragt wurde, die ihn, Rafael Nadal und Novak Djokovic doch endlich einmal ablösen sollte als Leuchttürme ihres Sports. „Sie machen ihre Sache toll“, sagte der Schweizer über Alexander Zverev, Stefanos Tsitsipas, Dominic Thiem, Karen Katschanow und all die anderen jungen Tennisprofis, die sich zu ernsthaften Herausforderern der alten Garde entwickelt haben.
Aber um der Wahrheit die Ehre zu erweisen: Die vergangenen zehn Grand-Slam-Titel teilten die alten Rivalen Federer (3), Nadal (4) und Djokovic unter sich auf. Und für das Turnier in Wimbledon, das an diesem Montag beginnt (alle Infos im F.A.Z.-Liveticker), sind die großen drei die hohen Favoriten. Die anderen Größen ihrer Generation, die ein Grand-Slam-Turnier gewinnen konnten, Andy Murray, Marin Cilic und Stan Wawrinka, scheinen nach vielen Verletzungen nicht mehr in der Lage, ihre Außenseiterchancen wahrzunehmen. Murray startet wegen seines chronischen Rückenleidens sogar nur im Doppel und im Mixed. Und von den Jüngeren hat sich auf Rasen niemand so richtig etablieren können.
Am ehesten ist dem Italiener Matteo Berrettini eine Sensation zuzutrauen. Der 23-Jährige gewann das Vorbereitungsturnier in Stuttgart und erreichte in Halle das Halbfinale. In der Weltrangliste stieß Berrettini bis auf Rang 20 vor. Aber die meisten Experten trauen es ihm wie auch dem anderen Aufsteiger der ersten Jahreshälfte, dem Kanadier Felix Auger-Aliassime, nicht zu, ihr Potential über zwei Wochen abzurufen. Und so führen die Wettbüros die drei großen alten Männer des Welttennis als Favoriten. Dabei werden Djokovic die besten Siegchancen eingeräumt (im Schnitt etwa 25:10), es folgen Federer (43:10) und Nadal (65:10). Der Abstand zu den nächsten Kandidaten ist schon immens: Alexander Zverev und Stefanos Tsitsipas werden im optimistischsten Fall mit einer Quote von 150:10 geführt.
Die deutsche Hoffnung deutete zuletzt in Halle wieder ihre großen Möglichkeiten an, aber der Erfolg seines Spiels hängt sehr von seinem Aufschlag ab. Mit der Doppelfehlerquote der Vorbereitungsturniere wird er in Wimbledon nur schwer in die zweite Woche kommen. Roger Federer dagegen überzeugte in Halle, wo er zum zehnten Mal das Turnier gewann. Dabei bestach er mit einer außerordentlichen Wettkampfhärte. Wenn es am dringendsten erforderlich war, präsentierte er seine beste Schläge und setzte sich über die aufmüpfigen Gegner hinweg.
Im vergangenen Jahr ging ihm diese Fähigkeit ein wenig ab. Um seinem Körper vor Wimbledon möglichst viel Ruhe zu geben, hatte er auf die Sandplatzsaison verzichtet. Was zur Folge hatte, dass ihm die Spielpraxis gegen die Besten fehlte. Im halben Jahr vor Wimbledon traf er nur viermal auf Top-Ten-Spieler. Als er in London im Viertelfinale Rasenspezialist Kevin Anderson vorgesetzt bekam und das Spiel nach einer 2:0-Satz-Führung aus dem Ruder lief, fehlten ihm in entscheidenden Phasen die Selbstverständlichkeit und das Selbstvertrauen gegenzusteuern. Seine Niederlage gegen den Südafrikaner bezeichnete Federer als eine der bittersten seiner Karriere. Er zog die Konsequenzen daraus und spielte in diesem Jahr auch auf Sand. Sein Einzug ins Halbfinale von Roland Garros stärkte sein Selbstvertrauen. „Wenn ich in Paris das Halbfinale schaffe, kann ich es in Wimbledon auch ins Finale schaffen.“ Körperlich habe er die wieder größeren Belastungen hervorragend verkraftet. „Ich fühle mich bestens.“
Das behauptet auch Rafael Nadal von sich, ohne dass dies zu kontrollieren gewesen wäre. Wie immer in den vergangenen Jahren bereitete sich der 33 Jahre alte Spanier, der 2008 und 2010 auf dem heiligen Rasen triumphierte, in aller Abgeschiedenheit auf den Saisonhöhepunkt vor, Matchpraxis ist ihm nicht so wichtig. „Mit der Umstellung von Sand auf Rasen bin ich glücklich.“ Das trifft nicht auf die Setzliste zu, denn die führt den Zweiten der Weltrangliste nur auf Platz drei, was bedeutet, dass sich Nadal wieder schon im Halbfinale mit Favorit Djokovic auseinandersetzen müsste. Im vergangenen Jahr lieferte er sich mit dem Serben ein episches Duell über zwei Tage, das er dann in fünf Sätzen verlor. „Sie machen, was sie wollen, sie respektieren nicht den Rang, den man sich erarbeitet hat“, maulte Nadal über die Wimbledon-Organisatoren. Die Losfee meinte es ohnehin nicht gut mit ihm. Unbequeme Gegner wie Kyrgios und Shapovalov warten schon früh auf ihn. Nadal schob die Favoritenrolle in einem Interview von sich: „Favoriten sind Djokovic und Federer.“
Auch Titelverteidiger Djokovic spielte kein einziges Rasenturnier vor Wimbledon, sondern bereitete sich auf einem kleinen Hartplatz in Belgrad vor. Der 32 Jahre alte Serbe ist der überragende Spieler des vergangenen Jahres auf der Tour, selbst bei einer Erstrundenniederlage, was als ausgeschlossen gilt, würde er seinen Nummer-eins-Status in der Weltrangliste nicht verlieren. Im Kampf um den Rekord an Grand-Slam-Titeln ist Wimbledon 2019 allerdings von großer Bedeutung. Mit fast 38 Jahren wird Federer nicht mehr oft in der Form sein, seine Sammlung von 20 Titeln noch zu erweitern und den Abstand zu den jungen Hüpfern zu vergrößern. Nadal (33) folgt mit 18 Triumphen bei Major-Turnieren, Djokovic (32) mit 15. Oder bewahrt doch noch die jüngere Generation Federer davor, vom Grand-Slam-Thron verdrängt zu werden?