Team Gerolsteiner : Levi Leipheimer ist noch immer eine unbekannte Größe
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Levi Leipheimer in Gelb - bei der Fernfahrt Dauphine Libere Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb
Er ist der Denker des Teams Gerolsteiner: Selbstbewußt und zielstrebig fährt der Amerikaner Levi Leipheimer Richtung Podium. An diesem Samstag geht er als Siebter des Klassements in die Pyrenäen.
Die Arbeit fällt Georg Totschnig sehr schwer in diesen Tagen, man sieht es ihm deutlich an. Seine Mattigkeit dokumentiert sich auch abends, an seinen langsamen Bewegungen, seinem schleppenden Gang im Mannschaftsquartier. Vor der Tour de France hatte der Österreicher bereits gesundheitliche Schwierigkeiten, jetzt sind Sitzbeschwerden hinzugekommen, Totschnig versucht die Malaise mit einem Polster in seiner Hose zu lindern. „Nach der ersten Woche“, räumt er ein, „wäre ich schon gerne daheim gewesen.“

Sportredakteur.
Totschnig war im Vorjahr immerhin Siebter der Tour, ein bemerkenswertes Resultat für ihn und seinen Rennstall, das Team Gerolsteiner. Inzwischen ist Teamchef Hans-Michael Holczer aber froh, vor dieser Saison gehandelt zu haben und in Levi Leipheimer noch einen Rundfahrer von Rang verpflichtet zu haben - das macht sich nun, da Totschnig nicht wie erwartet in Tritt kommt, bezahlt.
„Es ist wichtig, einen zweiten Mann in diesem Bereich zu haben.“ Der Amerikaner Leipheimer geht als Siebter des Klassements in die Pyrenäen, mit ihm steht das Team Gerolsteiner in dieser Wertung vorläufig sogar besser da als der nationale Konkurrent T-Mobile. Dessen Kapitän Jan Ullrich liegt vier Sekunden hinter Leipheimer. „Ich kokettiere damit ein bißchen“, bekennt der Schwabe Holczer.
Leipheimer hatte sich zuletzt bei der niederländischen Formation Rabobank verdingt. Seinen Wechsel zu den Deutschen begründete er, üblicher Mechanismus, mit der Suche nach neuer Motivation. Er sei, sagt der Mann aus Santa Rosa in Kalifornien, mit „gereinigter Tafel“ in das neue Jahr gestartet. Er preist die entspannte Atmosphäre in seiner neuen Umgebung. Sie sei gelöster, als er es erwartet hatte, sagt Leipheimer, und die Rolle von Holczer beschreibt er als die eines Familienoberhauptes: „Hans ist der Vater.“
Typisch amerikanische Eigenschaften
Holczer nennt Leipheimer, 2004 Neunter der Tour de France, schlichtweg einen „Plazierungsfahrer“. Er hält es für möglich, daß der Amerikaner nun noch ein Stückchen nach vorne rückt bei der Tour, der Amerikaner selbst spekuliert - „mit Glück“ - mit einem Platz auf dem Podium. Daß der Primus in Paris wieder Lance Armstrong heißen wird, steht für Leipheimer so gut wie fest: „Ich denke, daß die Tour schon entschieden ist.“ Er wird in dieser Auffassung von Holczer unterstützt: „Ich sehe nicht, wie die Sieben verhindert werden soll“, sagt er in Anspielung auf die sechs zurückliegenden Tour-Triumphe des Texaners.
Leipheimer, 31 Jahre alt, kennt Armstrong gut, er bezeichnet ihn als Freund. Beide wählten die spanische Stadt Gerona als europäischen Wohnsitz. Und einst waren sie auch Partner bei US Postal, nie bestritten sie allerdings die Tour Seite an Seite. Leipheimer weiß, daß der Sportler Armstrong auf jedes Detail achtet, daß er mit seinen Gefolgsleuten mehr Energie als jede andere Equipe in die Tour investiert. Ein akribischer Tüftler scheint aber auch Leipheimer zu sein; amüsiert verweist Holczer auf Fachgespräche mit dem südbadischen Teamgefährten Michael Rich über die Formen von Felgen und Lenkern: „Es ist hochinteressant, denen zuzuhören.“
Natürlich ist Leipheimer eine Art Kopf des Teams Gerolsteiners. „Er ist ein Denker“, sagt Holczer. Er schätzt dessen Selbstbewußtsein, Zielstrebigkeit, typisch amerikanische Eigenschaften, wie Holczer meint. Er spricht zwar von einer „frischen Geschichte“, will aber nichts davon wissen, daß nun durch den erfahrenen und profilierten Profi Leipheimer womöglich eine neue Ära angebrochen sei beim Team Gerolsteiner. „Es ist nicht so“, sagt Holczer, „daß er Zug reinbringen müßte in den Haufen“. Man hatte sich ja auch vorher schon respektabel präsentiert.
„Man lernt sich bei der Tour erst kennen“
Obwohl Leipheimer nun seine hohen Qualitäten wieder zu bestätigen scheint, stellt er zum Teil doch noch eine unbekannte Größe für die Deutschen dar. Holczer und der Sportliche Leiter Christian Henn hatten ihn schließlich in den Monaten vor der Tour kaum zu Gesicht bekommen; Leipheimer war im Frühjahr meist mit Henns Kollegen Reimund Dietzen unterwegs. „Man lernt sich bei der Tour erst kennen“, sagt Holczer; sein Fazit nach zwei Wochen fällt positiv aus: „Es läßt sich gut an.“ Man hat noch reichlich Zeit, sich aneinander zu gewöhnen; der Kontrakt Leipheimers läuft über zwei Jahre.
Das amerikanische Element belebt das Team Gerolsteiner zweifelsohne. Leipheimer betrachtet sich und seine Landsleute im Peloton grundsätzlich als harte Arbeiter. Sich so zu gerieren erfordert schon das Leben fern der Heimat, in einer anderen Kultur; die amerikanischen Rennfahrer halten sich, sofern sie nicht etwa Discovery Channel angehören, fast neun Monate pro Jahr in Europa auf. Der anpassungsfähige Leipheimer nimmt auch hin, daß ihm bisweilen - gerade jetzt bei Totschnigs Schwäche - keiner seiner Mitstreiter auf den steilsten Anstiegen folgen kann. „Ich hatte nie ein Problem, alleine zu sein.“ In den Pyrenäen wird ihm das wieder zugute kommen.