Trainingswissenschaft : Die teure Suche nach dem Kernproblem
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Im Strömungskanal des IAT: Technikanalyse Bild: dpa
Das Institut für Angewandte Trainingswissenschaft wird 20. Überhört der deutsche Sport die Mahnungen? Führungs- und Entscheidungsschwäche kostet nach Ansicht der Forscher viele Medaillen.
Mehr Geld und größere Autorität brauche der deutsche Sport, um bei Olympischen Spielen erfolgreicher abzuschneiden, behauptet Arndt Pfützner. Er ist Direktor des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft in Leipzig (IAT). Pfützner rechnet vor, dass sein Jahresbudget um zweieinhalb Millionen Euro auf zehn Millionen gesteigert werden müsste, um alle Sportarten, die in diesem Sommer in London und in zwei Jahren bei den Winterspielen in Sotschi ausgetragen werden, stärken zu können. Da das IAT aber fast ausschließlich vom Staat finanziert wird, fehlt das Geld. Zwanzig Jahre nach seiner Neugründung beschäftigt das Institut 102 Mitarbeiter, darunter 68 Wissenschaftler, von denen wiederum 42 Trainingswissenschaftler sind.
An diesem Donnerstag wird mit Gästen aus Politik und Sport die Rettung und der Neubeginn des IAT gefeiert, das mal als Braintrust, mal als Herzkammer des deutschen Sports beschrieben wird. 1992 ist es aus dem 23 Jahre zuvor gegründeten DDR-Institut für Körperkultur und Sport (FKS) mit mehr als 600 Mitarbeitern hervorgegangen. Wolfgang Schäuble, der als Bundesinnenminister den Erhalt dieser Einrichtung ebenso wie den der Sportgeräteschmiede FES in Berlin im Einigungsvertrag festschrieb und umsetzte, macht keinen Hehl aus seiner Freude und seinem Stolz.
Die bewährten Erfolgsfaktoren des DDR-Leistungssports hätten bewahrt werden sollen, schreibt er im Grußwort zum Fest; dazu gehörte die prozessbegleitende Trainings- und Wettkampfforschung, die Verbindung von Grundlagenforschung mit Betreuung. Weil dazu, neben der Auswertung des internationalen Wettkampfgeschehens, nahezu lückenlose Analyse des Trainings und akribische Leistungsdiagnostik gehören, haben Leipziger Forscher nebenbei das klappbare Laufband, den Skiroller und den Seilzug-Ergometer für Armtraining entwickelt. Ihr Haus in Leipzig entwickelt sich derweil zu einem Hightech-Standort mit eindrucksvollen Mess- und Rechenfähigkeiten; Außenstellen richten die Wissenschaftler an der Wildwasserstrecke Markkleeberg, an der Sprungschanze Oberstdorf, in der Eisschnelllaufhalle Berlin sowie im Trainingszentrum Kienbaum ein.
In mancher Hinsicht ist der DDR-Spitzensport Maßstab geblieben. Das machte Pfützner deutlich, als er jüngst in Leipzig beklagte, dass nur jeder dritte Athlet seine persönliche Bestleistung zum Saisonhöhepunkt bringe, zu Weltmeisterschaft oder Olympischen Spielen. In der DDR seien das, gab Pfützner an, siebzig Prozent der Aktiven gewesen. Er sieht ein Manko in der Durchsetzungsfähigkeit von Verbänden und ihren Leistungsstrategen gegenüber Athleten. Auch die weißen Flecken auf der Karte der olympischen Sportarten, die bei den Winterspielen 2010 in Vancouver sichtbar wurden, namentlich in den sogenannten Trendsportarten Snowboard, Free Style und Ski-Cross, erklärt Pfützner mit einem Führungsproblem des deutschen Sports. Man sehe die Defizite, klagt er, bündele aber nicht die Kräfte, um sie zu beheben.
Ginge es nach dem IAT, würden für Sotschi akrobatisch vorgebildete Quereinsteiger auf die Bretter gestellt. „Man muss nur bis zur Schanze fahren“, erklärt Pfützner seinen Ansatz für die Sprungwettbewerbe Aerials. „In dem Moment, in dem man von der Schanze wegfliegt, setzt Wasserspringen oder Turnen oder Eiskunstlauf ein.“ Pfützner klingt bitter, als er sagt, dass er mit dem Angebot beim deutschen Sport abgeblitzt sei.
Seine Bemerkungen zum Thema Doping wirken geradezu merkwürdig. Stets wird der Unterhalt des IAT und damit dessen Arbeit an einem technisch-wissenschaftlichen Vorteil für deutsche Athleten als Beitrag zur Chancengleichheit im internationalen Wettbewerb beschrieben: im Lob von Schäuble, in der Würdigung von Thomas Bach, dem Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes, und nicht zuletzt in der Satzung des Instituts. Wo andere dopen, heißt diese Formel, forschen wir und trainieren schlauer. In einer Grafik auf der Website des IAT werden neun Trends im Weltsport benannt. Solche Analysen gehören zu den Aufgaben des IAT. Ein Trend lautet: „Zunahme der Doping-Aktivitäten und des Anti-Doping-Kampfes.“
Tiefer schürfen ergibt andere Bilder
Doch die Frage, wie weit verbreitet Doping in olympischen Sportarten ist, will Pfützner nicht beantworten können. Nicht einmal auf die Frage, ob es überhaupt Doping gebe, behauptet er, habe er eine Antwort. „Man geht davon aus“, sagt er. „Aber wir haben keine Erkenntnisse.“ Viele Wissenschaftler lehnten sich weit aus dem Fenster, wenn sie von unerklärlichen Leistungssprüngen redeten und daraus einen Dopingverdacht ableiteten. Doch die Experten aus Leipzig schürften tiefer, und oft ergebe sich dadurch ein anderes Bild. „Wenn man das Individuum betrachtet“, sagt Pfützner, „ist vieles möglich.“
Dass Professor Pfützner vor diesem Thema scheut, dürfte nicht nur in der DDR-Vergangenheit des Instituts begründet sein. Das FKS befasste sich intensiv auch mit pharmazeutischer Leistungssteigerung. Doch es war das IAT, das 2006 Lothar Heinrich aus Freiburg als Leiter des Fachbereichs Sportmedizin einstellte, den Arzt, der kurz darauf Blutdoping des Team Telekom mit Jan Ullrich zugeben musste. „Das muss man mir nicht glauben“, sagt Pfützner, „aber ich weiß nicht, ob es 2006 Insider-Erkenntnisse über ihn gab. Wir hatten sie nicht.“