Streit über Russland-Rückkehr : IOC-Chef Bach warnt vor „Verfall des internationalen Sportsystems“
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IOC-Präsident Thomas Bach Bild: AP
Der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees pocht auf die Autonomie des Sports in der Frage um die Wiederzulassung russischer Sportler zu internationalen Wettkämpfen. Das IOC sieht er in einem „Dilemma“.
IOC-Präsident Thomas Bach hat abermals an die Politik appelliert, bei der Entscheidung über eine Rückkehr russischer und belarussischer Athleten zu internationalen Wettkämpfen die Autonomie des Sports anzuerkennen. „Die Werte des Sports können wir nur entfalten, wenn die Politik diese Werte respektiert“, sagte der Chef des Internationalen Olympischen Komitees in einer Rede zu „Olympia im Spannungsfeld von Sport und Politik“ am Mittwoch in Essen.
Wenn die Politik aus politischen Gründen Entscheidungen treffe, wer an sportlichen Wettkämpfen teilnehmen könne oder nicht, dann würden der Sport und die Athleten „nur zu einem bloßen Instrument der Politik. Dann ist es unmöglich für den Sport, seine verbindende Werte zu vermitteln“, betonte der 69 Jahre alte Fecht-Olympiasieger von 1976 aus Würzburg.
Bach: „Eine vollkommen neue Situation“
In Reden der Politiker werde diese Autonomie hochgepriesen. Diesen Worten und Erklärungen folgten aber nicht immer Taten. „Dies zeigt auch die Diskussion in einigen europäischen Ländern. Inklusive, um nicht zu sagen, insbesondere in Deutschland“, befand Bach. Die Ukraine fordere gar die totale Isolation aller Russen im Sport.
„Es ist für uns ein Dilemma und eine vollkommen neue Situation. Denn bisher hat keine Regierung und kein Athlet aus Konfliktländern eine totale Isolierung gefordert – oder mit Boykott gedroht“, erklärte er. „Wenn wir einen Ausschluss nach politischen Gesichtspunkten vornehmen, stehen wir vor einem Verfall des internationalen Sportsystems.“
Dann würde es keine wirklichen Weltmeisterschaften und universellen Spiele mehr geben. Sondern: „Wir werden Spiele verschiedener politischer Blöcke erleben, die mit diesem verbindenden Charakter von Sport über alle Grenzen hinweg nichts mehr zu tun haben“, warnte Bach. Darauf würden Nationale Olympische Komitees aus Afrika, Asien, Amerika, Ozeanien und auch aus Teilen Europas hinweisen.
Das IOC müsse deshalb eine verantwortungsvolle Entscheidung treffen und Eckpunkte finden. Damit wolle man sicherstellen, „dass unsere Sanktionen bestehen bleiben“ und „die Bedingungen für russische und belarussische Athleten wirklich eingehalten werden“, sagte er.
Dies sei keine beneidenswerte Aufgabe. „Nur die Geschichte wird entscheiden, wer mehr zum Frieden beiträgt. Diejenigen, die versuchen, Kommunikationslinien offenzuhalten, Dialog zu fördern oder die, die isolieren und spalten.“ Nächste Woche wird die IOC-Exekutive weitere Entscheidungen treffen. Bach sagte dazu: „Wünschen sie uns viel Glück.“
Sportanwalt: „IOC auf Irrweg“
Thomas Summerer, Präsident der Deutschen Vereinigung für Sportrecht, hat das IOC für seine Haltung in der Frage der Olympia-Teilnahme russischer Sportler unterdessen kritisiert. Anstatt eine rote Linie zu ziehen, nachdem Russland wiederholt den olympischen Frieden verletzt habe, übe sich das Internationale Olympische Komitee in einer realitätsfremden Politik der Zugeständnisse und Beschwichtigungen, schrieb der 62-Jährige in der Zeitschrift „Sport und Recht“. Das IOC sei „auf dem Irrweg“.
Das Internationale Olympische Komitee hatte zuletzt Russland und Belarus auch mit Blick auf die Olympia-Qualifikation für Paris 2024 in Aussicht gestellt, den Sportlerinnen und Sportlern dieser beiden Länder unter bestimmten Voraussetzungen eine Rückkehr zu ermöglichen.
Das IOC träume davon, „Sport und Politik zu trennen. Doch Sport mit seiner Strahlkraft ist nicht unpolitisch“, betonte Summerer. „Kein russischer Athlet gibt seine Herkunft, seine Unterstützung durch den Staat und seinen anerzogenen Patriotismus auf, wenn er in einen weißen 'neutralen' Sportanzug mit blauroter 'Kriegsbemalung' schlüpft.“ Im vergangenen Monat hatten Sportpolitiker aus 35 Nationen mit der Forderung nach einem Ausschluss russischer und belarussischer Athleten von den Olympischen Spielen 2024 in Paris den Druck auf das IOC erhöht. Schon jetzt sind Russland und Belarus von vielen internationalen Sportwettbewerben ausgeschlossen.
Die Deutsche Vereinigung für Sportrecht hatte vor einem Jahr betont, dass sie den Ausschluss von Russland wegen des Krieges für rechtmäßig und geboten halte, weil Russland die höchsten Werte des Sports, Frieden, Freiheit von Diskriminierung und Fairplay nicht achte.
„Die Politik des IOC läuft Gefahr, die Staatengemeinschaft zu spalten und einen Boykott heraufzubeschwören“, warnte der renommierte Sportanwalt. „Immerhin lassen sich Regierungen aus 35 Staaten auf vier Kontinenten nicht für dumm verkaufen.“