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Olympia-Boykott? : „Es brennt immer noch“

1936 – 1980 – 2008: Drei Mal durften Diktaturen Olympische Spiele organisieren: 1936 Berlin, 1980 Moskau und jetzt Peking

1936 – 1980 – 2008: Drei Mal durften Diktaturen Olympische Spiele organisieren: 1936 Berlin, 1980 Moskau und jetzt Peking Bild: REUTERS

Den Boykott der Olympischen Spiele 1980 in Moskau wertet der deutsche Sport im Rückblick als großen Fehler. So sind sich Sportfunktionäre und Athleten nun angesichts der Unruhen in Tibet einig: Ihr Verzicht kann nicht die Konflikte der Welt lösen.

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          Nur ein einziges Mal bekam Thomas Bachs Stimme einen metallenen Beiklang: Als der ranghöchste deutsche Sportfunktionär auf einen möglichen Boykott der Olympischen Spiele in Peking wegen der blutigen Niederschlagung der Unruhen in Tibet zu sprechen kam. „Die Geschichte hat gezeigt, dass Boykotte nie zum Ziel führen“, rief er in den Saal. Die alte Empörung war plötzlich wieder da. Auch 28 Jahre nach dem Boykott der Spiele in Moskau sind die alten Narben noch empfindlich. Nicht nur bei Bach, dem Mannschafts-Olympiasieger im Fechten von 1976 auf Florett, sondern beim gesamten deutschen Sport.

          Evi Simeoni
          Sportredakteurin.

          Eigentlich hatte am Sonntag eine launige Festrede im Kölner Gürzenich zum 125. Bestehen des Deutschen Ruderverbandes auf der Agenda des sportpolitischen Multi-Taskers gestanden, und Bach gab sich alle Mühe, Humor zu beweisen. Aber mit der guten Laune ist es in den Diskussionszirkeln des deutschen Sports vorbei – seit Forderungen etwa von Hollywoodstar Richard Gere laut geworden sind, die Nationen sollten dem großen chinesischen Prestige-Ereignis Olympia fernbleiben.

          Verzicht löst keinen Konflikt

          Olympiaboykott ist eines der größten Reizworte der Sportgeschichte – und selten sind sich Athleten und Sportfunktionäre so einig wie in diesem wunden Punkt: Der Verzicht der Athleten auf ihre wichtigsten Wettbewerbe löst nicht die Konflikte der Welt. Auch Bundesinnenminister Schäuble, der sich dem Sport schon immer nah gefühlt hat, ist dieser Ansicht. „Der Sport kann seine Wirkung nur entfalten, wenn die Olympischen Spiele stattfinden“, sagte er am Sonntag.

          Als am 23. April 1980 alle Bundestags-Fraktionen einer Empfehlung an das Nationale Olympische Komitee für Deutschland (NOK) zustimmten, aus Protest gegen den Einmarsch der Sowjetunion in Afghanistan die Moskauer Spiele zu boykottieren, war Schäuble schon Abgeordneter der CDU. Man folgte damals dem Beispiel der Vereinigten Staaten – insgesamt beteiligten sich schließlich 30 Staaten ausdrücklich am Boykott. Immerhin ist aber eine Parlamentarische Anfrage Schäubles vom 13. Juni 1980 dokumentiert, in der er wissen will, wie die Bundesregierung „die Entscheidung der im deutschen Sportbund zusammengeschlossenen olympischen Spitzensportverbände, 32 Offizielle zu den anlässlich der Olympischen Spiele stattfindenden Kongressen der internationalen Föderationen zu entsenden“, beurteile. Schäuble wollte damals auch wissen, ob für diese Reisen Haushaltsmittel aufgewendet würden.

          1980 keine Chance gegen die Politik

          In der Tat schlugen damals die Wogen der Empörung über unverdrossen nach Moskau reisende deutsche Funktionäre besonders unter den Athleten hoch, die zum Teil auf die Medaillenchance ihres Lebens verzichten mussten. „Das ist das Schlimmste, was einem Athleten passieren kann“, sagt etwa der Handball-Bundestrainer Heiner Brand, ein Boykott-Opfer von 1980. „Deswegen halte ich davon gar nichts.“ Bach wettert heute noch: „Kein einziger Soldat hat sich aus Afghanistan herausbewegt, nur weil einige Mannschaften nicht bei den Olympischen Spielen gestartet sind.“

          In jenem Jahr hatte der heutige Vizepräsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes gelernt, wie sich Ohnmacht und Hilflosigkeit anfühlen. Am 15. Mai 1980 beschloss das NOK in Düsseldorf den Boykott. Athletensprecher Bach hatte bis zuletzt dagegen gekämpft, doch gegen die Politik hatte er keine Chance. Als besonders demütigend empfand er ein Treffen mit dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt, der die Argumente der Athleten „abgebügelt hat in einer Art und Weise, die hart an der Grenze des Erträglichen war“. Auch beim Treffen mit einer Menschenrechtsorganisation fühlte sich Bach hilflos und unverstanden. „In einem tribunalartigen Verfahren wollten sie mich verantwortlich dafür machen, dass in der Sowjetunion Kinder sterben und Menschen hungern und es politische Gefangene gebe.“ Er wurde angefeindet, erhielt Anrufe: Du Kommunistenfreund! „Für mich persönlich war es eine Schule, die durch nichts zu ersetzen ist. Es brennt immer noch.“

          Das letzte Geschenk von Samaranch

          Auf diesen traumatischen Erlebnissen gründet Bachs Funktionärskarriere, die den Tauberbischofsheimer eines Tages an die Spitze des Internationalen Olympischen Komitees führen soll. Willi Daume im Übrigen, der damalige NOK-Präsident und Bachs Förderer, zählte auch zu den Verlierern des Moskau-Boykotts: Er unterlag bei der Wahl zum IOC-Präsidenten chancenlos dem Katalanen Juan Antonio Samaranch. Ein positiver Effekt der Boykotte – 1984 blieben im Gegenzug viele Ostblockstaaten den Spielen in Los Angeles fern – war die Einführung der Athletensprecher beim IOC. Der „mündige Athlet“ wurde in den aufgeklärten Nationen zu einer erstrebenswerten Größe.

          „Wir wollen“, sagte Bach am Sonntag, „eine Mannschaft von mündigen Athleten nach Peking schicken, die ihre Meinung vertreten und damit dem olympischen Geist gerecht werden.“ Und nun, vor dem Hintergrund der Gewalt in Lhasa, bekommen die hehren Worte der Olympier, die häufig genug missbraucht werden, um nackte Geschäftsinteressen zu verschleiern, tatsächlich einen tieferen Sinn. Als der scheidende IOC-Präsident Samaranch 2001 in Moskau als eine seiner letzten Amtshandlungen seinen chinesischen Freunden die Spiele schenkte, war klar, dass dies nicht aus Sorge um die Menschenrechtslage in dem Riesenreich geschah.

          „Die einzige Chance auf einen olympischen Erfolg

          Samaranch hatte sich in seiner Amtszeit nicht unbedingt als Hüter der Coubertinschen Grundsätze, sondern als genialer Vermarkter der olympischen Idee erwiesen. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die Olympische Spiele mit sich bringen, so argumentierte damals schon das IOC, werde aber für eine Verbesserung der Menschenrechtslage in China sorgen. „Gerade in solchen Situationen“, sagt Bach, „sind die olympischen Werte und Symbole, das Leben unter einem Dach und der friedliche Wettstreit besonders wichtig. Sie können ein ganz besonders intensives Zeichen setzen.“

          Athleten allerdings wollen selten politische Zeichen setzen, sondern möglichst ungestört ihre Wettkämpfe absolvieren. „Die Athleten haben sich jahrelang vorbereitet“, sagt etwa Roland Baar, der erfolgreichste Ruder-Schlagmann der Welt und Medaillengewinner von Barcelona und Atlanta. „Für viele bedeuten die Spiele in Peking die einzige Chance auf einen olympischen Erfolg.“ Steffi Nerius, die Europameisterin im Speerwurf, sieht das genau so: „Mir tun jetzt noch die Athleten leid, die sich für die Boykottspiele 1980 und 1984 vier Jahre lang umsonst vorbereitet hatten.“

          Die Olympischen Spiele, darin sind sich alle Sportler einig, sollen nicht für politische Zwecke missbraucht werden. Sie bestehen zugleich darauf, bei einem gigantischen Medienspektakel mitzuwirken, das traditionell nicht nur die Austragungsländer für Imagepflege und Prestigegewinn nutzen, sondern auch die Teilnehmerländer. Wie etwa Deutschland, das zum Zwecke der Spitzensportförderung in diesem Haushaltsjahr 126,8 Millionen Euro an Steuergeldern fließen lässt, um sich im Medaillenspiegel angemessen zu positionieren.

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