Gedenken ans Attentat 1972 : Im Minenfeld Olympias
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Olympische Fahne auf Halbmast: München nach dem Attentat 1972 Bild: dpa
Israel fordert eine Schweigeminute bei der Eröffnung der Sommerspiele in London zur Erinnerung an die Attentats-Opfer von 1972. Das IOC weigert sich aus Rücksicht auf seine arabischen Mitglieder.
Ein Olympier tanzt nicht unliebsam aus der Reihe, das weiß auch Alex Gilady: „Ich muss über den Dingen stehen“, sagt der Israeli. Natürlich, erklärt er, würde er liebend gerne am 27. Juli bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele von London aufstehen und zusammen mit all den illustren Gästen für eine Minute der Opfer des Attentats von München gedenken. Aber das sei natürlich nicht möglich. „Dies würde die olympische Einheit gefährden“, sagt Gilady mit freundlicher Miene und wird damit nicht konkreter als alle anderen, die das Problem zur Zeit verbal umschiffen.
Dabei ist der drohende Konflikt offensichtlich: Eine Schweigeminute im Londoner Olympiastadion für die elf Opfer des Attentats von 1972, als ein palästinensisches Terrorkommando die israelische Mannschaft im Olympischen Dorf überfiel, würde nicht allen teilnehmenden Nationen gefallen: 23 arabische Länder gehören zur olympischen Familie, 53 muslimische Nationen.
„Warum jetzt?“, fragt Gilady: „Der richtige Zeitpunkt wäre vier Jahre später bei den Spielen in Montreal (1976) gewesen.“ Aber genauso gut könnte er fragen: „Wann, wenn nicht jetzt?“ Schließlich jährt sich der schreckliche Angriff am 5. September zum 40. Mal.
Die Lage ist heikel: In einem Brief an Jacques Rogge hat der Stellvertretende Außenminister von Israel, Danny Ayalon, die Schweigeminute im Namen der Hinterbliebenen der Opfer beantragt, doch der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) hat die Bitte ohne konkrete Begründung zurückgewiesen. Er versprach stattdessen, persönlich bei der Gedenkzeremonie anwesend zu sein, die traditionell von der israelischen Olympiadelegation abgehalten wird, diesmal in der Londoner Guildhall.
Außerdem verwies Rogge auf die vielen anderen Gedenkveranstaltungen, die bereits früher stattgefunden haben. „Bitte seien Sie versichert, dass innerhalb der olympischen Familie die Erinnerung an die Opfer des fürchterlichen Massakers in München 1972 nie verblassen wird“, schrieb Rogge an Ayalon. Der allerdings ließ sich nicht von schönen Worten beeindrucken. Er nannte die Ablehnung „inakzeptabel“.
„Gold für Feigheit“
Auch den Kommentaren in der amerikanischen Presse fehlt es nicht an Schärfe: Die „New York Daily News“ verlieh Rogge „Gold für Feigheit“. „Wir werden das Thema nicht auf sich beruhen lassen“, sagte Ayalon und kündigte eine „konzertierte Aktion“ im Internet an, die von Ankie Spitzer gesponsert wird, der Witwe des beim Attentat ums Leben gekommenen Fechttrainers Andre Spitzer. „Wir wollen das IOC dazu bringen, seine Haltung zu ändern.“
Gilady seufzt. Er wurde am 5. September 1994 - als erster Vertreter Israels - ins IOC gewählt, auf den Tag genau 22 Jahre nach dem Attentat. Seitdem spielt er eine für alle Seiten Gewinn bringende olympische Doppelrolle: Als Vizepräsident Sport des amerikanischen Fernsehsenders NBC fädelte er die Milliarden-Deals mit den Übertragungsrechten der Spiele ein. Der Israeli ist damit - zumindest indirekt - einer der wichtigsten Finanziers der Olympier. Da muss seine persönliche Geschichte offensichtlich zurückstehen: „Der Vorschlag, eine Schweigeminute abzuhalten, ist ein Ansinnen, das ich verstehe und das meine Sympathie hat, das ich aber nicht unterstütze.“
Im Dezember wird Gilady siebzig -- er hat eine rasante Karriere hinter sich, vom Volontär bei der Tageszeitung „Yedioth Ahronoth“ bis zum Gipfel beim amerikanischen Fernsehen. Oft befand er sich hautnah am politischen Geschehen. Gilady war Produzent der israelischen TV-Berichterstattung über den historischen Besuch des ägyptischen Staatspräsidenten Anwar El-Sadat 1977 in Jerusalem und der folgenden Friedensgespräche. Im Rahmen dieses Auftrags durfte er als erster Israeli nach Ägypten einreisen. Das Attentat während der Spiele 1972 in München erlebte er aus nächster Nähe mit, als stellvertretender Teamchef des israelischen Fernsehens. Und doch bleibt er auch jetzt noch IOC-Diplomat. „Sind 40 Jahre etwas in Gold Eingraviertes?“, fragt er.
Mit Saudi-Arabien geht es ans Eingemachte
Es ist nicht das erste Mal, dass von israelischer Seite nach der Gedenkminute verlangt wird, aber bisher konnte das IOC breitere Diskussionen um seine Weigerung vermeiden. Nun, da der Einfluss des arabischen Geldes im Weltsport immer weiter wächst und einige diese Länder regelmäßig die Belastbarkeit der olympischen Ideale austesten, gewinnt das Thema allerdings an Brisanz.
Auch bei der umfassenden Konferenz „SportAccord“ in Quebec, wo in dieser Woche alle wichtigen Verbände, Lobbyisten und das IOC zusammentreffen, dürfte die konfliktträchtige Diskussion weitergehen. In der Auseinandersetzung mit Saudi-Arabien geht es schon jetzt ans Eingemachte, weil das Land sich als letzte Bastion konsequenter Frauenfeindlichkeit weigert, weibliche Athleten unter seiner Flagge zu den Spielen zu schicken.
Das Terrain ist also vermint, Fehltritte werden sorgsam vermieden. Allerdings kann sich das IOC diesmal nicht auf seine übliche Position zurückziehen, es werde sich nicht für fremde politische Interessen einspannen lassen: Das Massaker von 1972 war nicht nur ein Angriff auf Israel, sondern auch ein Angriff auf Olympia.