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Streit im deutschen Sport : Der Preis des Rechtsstaates?

Michael Vesper Bild: dpa

Der Streit um die Schiedsgerichtsvereinbarungen im deutschen Sport eskaliert. DOSB-Generaldirektor Michael Vesper ignoriert dazu das Urteil von München. Die Verbände sind verunsichert.

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          Im deutschen Sport eskaliert der Streit um die Schiedsgerichtsvereinbarungen. Maßgeblich dazu beigetragen hat der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Michael Vesper, mit einem Brief vom 4. April. Mehrere Verbände wehren sich gegen Vespers schriftliche Aufforderung, das Urteil des Landgerichts München von Ende Februar de facto zu ignorieren. Vesper hatte in seinem Brief geraten, die deutschen Spitzenathleten auch weiterhin zur Unterschrift unter die Schiedsgerichtsvereinbarungen zu drängen.

          Michael Reinsch
          Korrespondent für Sport in Berlin.

          Ebendiese Schiedsgerichtsvereinbarungen, mit denen sich die Sportler der Jurisdiktion der Sportschiedsgerichte bis hin zum Internationalen Sportgerichtshof Cas in Lausanne unterwerfen, hatte das Landgericht München in dem Prozess, den die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein angestrengt hatte, für rechtswidrig gehalten. Sie erfolge nicht freiwillig, sondern werde von den Athleten erzwungen.

          Bereits im vergangenen Herbst hatten sich rund 60 namhafte deutsche Sportler mit Pechstein solidarisch erklärt und das bestehende Sportschiedsgerichtssystem abgelehnt. In seinem Brief macht Vesper deutlich, dass er nicht bereit sei, sich der seiner Ansicht nach nicht rechtskräftigen Auffassung des Münchner Landgerichts anzuschließen. Sein Schreiben erfolge auf „Vorschlag des Herrn Abteilungsleiters Böhm“ im Bundesinnenministerium (BMI) und endet in der Hoffnung, „zur gewünschten Klärung der Thematik beigetragen zu haben“.

          Das ist nicht der Fall. Vielmehr sei das Schreiben „unausgewogen und teils irreführend“, schreiben die Rechtsanwälte Thomas Summerer (München) und Rainer Cherkeh (Hannover) in einem Brief, den sie Ende vergangener Woche in Erwiderung auf Vespers Rundschreiben an alle Verbandspräsidenten geschickt haben und dem sich auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) als Vertreter der bei der Bundespolizei angestellten Spitzensportler in einem eigenen Brief anschloss.

          „Lassen Sie ihn doch selbst entscheiden“

          Der Generaldirektor des DOSB setze die Einzelverbände wie den Dachverband der Gefahr von Regressforderungen aus. Darauf zu beharren, dass Athleten sich dem Sportrecht unterwürfen und darauf zu verzichteten, im Streitfall vor ein ordentliches Gericht zu ziehen, verstoße gegen die Verfassung. Statt Reformen anzustoßen, beharre der DOSB auf dem Status quo, schreiben die Anwälte. Die richtige und gerichtsfeste Lösung könne nur ein Wahlrecht für die Athleten sein, „je nachdem, ob sie mehr Vertrauen zum Cas oder zur ordentlichen Gerichtsbarkeit haben“.

          Weiter schreiben die Anwälte: „Sie fordern seit jeher den mündigen Athleten; dann lassen Sie ihn doch auch selbst entscheiden! Diese Lösung, sehr geehrter Herr Dr. Vesper, ist der Preis des Rechtsstaates.“ Der GdP-Vorsitzende Jörg Radek schrieb den Verbandspräsidenten, der weitere Umgang mit den Schiedsvereinbarungen solle bei der nächsten Mitgliederversammlung des DOSB auf die Tagesordnung genommen und „in demokratischer Debatte und Abstimmung“ entschieden werden.

          Am Mittwoch wandte sich auch der an der Universität Münster Sportrecht lehrende Rechtsanwalt Burkhard Oexmann in einem Schreiben an Vesper. Oexmann schreibt, die „Asymmetrie in den Machtverhältnissen zwischen Sportverband einerseits und Berufssportler andererseits“ könne nicht kommentarlos fortgeführt werden. Vesper solle „Fairness aufbringen und die Interessen beider Seiten abwägen“. Ihm sei „sportpolitisch unerklärlich“, mit welcher Voreiligkeit und Einseitigkeit Vesper das grundrechtsrelevante Problem beiseite schiebe, schreibt Oexmann, der immer wieder Reiter vertritt.

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