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Wissenschaftliche Studie : Viel mehr Doper als gedacht

Doping in Deutschland: „Die Dunkelziffer liegt erheblich höher als offiziell dargestellt”

Doping in Deutschland: „Die Dunkelziffer liegt erheblich höher als offiziell dargestellt” Bild: AP

Alarmierende Ergebnisse einer deutschen Studie. Schon von jugendlichen Leistungssportlern dopen mindestens knapp sieben Prozent. Nach Ansicht der Wissenschaftler gibt es viel mehr dopende Athleten als positive Dopingfälle.

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          „Allein zum Erhalt des Leistungssports müssen wir tätig werden“, sagt der Sportmediziner und Genforscher Perikles Simon. „Wenn man das Postulat vom Hase und vom Igel vertritt, die Meinung, dass die Doper den Analysten immer voraus seien, impliziert das für mich, dass es eigentlich um eine Freigabe von Dopingmitteln geht.“ Den Argumenten für verstärkte Forschung zum Nachweis von Dopingmitteln und -verfahren haben Simon, Leiter der Sportmedizin an der Universität Mainz, und seine Tübinger Kollegen Heiko Striegel und Rolf Ulrich, der eine Mediziner und Rechtsanwalt, der andere Psychologe, eines hinzugefügt: Schon von jugendlichen Leistungssportlern dopen mindestens knapp sieben Prozent.

          Michael Reinsch
          Korrespondent für Sport in Berlin.

          Die Wissenschaftler betonen, dass ihre Untersuchung vor allem beweist, dass es viel mehr dopende Athleten gibt als positive Dopingfälle. Nach der Statistik der Nationalen Antidopingagentur (Nada) ergaben von 2003 bis 2005 mehr als 25.000 Tests 205 Dopingfälle. Das entspricht 0,81 Prozent. In einer persönlichen, anonymen Befragung von 480 Athleten in Tübingen nach der Randomized-Response-Technik (RRT) haben achtmal so viele, nämlich 6,8 Prozent, angegeben, schon einmal Dopingmittel genommen zu haben. Die Studie ist gerade in „Drug and Alcohol Dependance” veröffentlicht worden.

          „Die Dunkelziffer liegt erheblich höher als offiziell dargestellt“

          Die Zahl ist nicht nur alarmierend, weil sie bedeutet, dass siebenmal so viele Sportler beim Doping nicht erwischt werden, wie überführt werden. Sie scheint zudem lediglich ein Hinweis auf ein viel größeres Problem zu sein, da die Probanden ganz überwiegend Nachwuchsathleten aus dem D-Kader waren. Die jüngsten von ihnen waren dreizehn Jahre alt, ihr Durchschnittsalter betrug sechzehn. „Die Zahlen sind eindeutig. Wir müssen dringend etwas unternehmen“, sagt Striegel, Mitglied der juristischen Kommission der Nada. Er und seine Kollegen fordern insbesondere Anstrengungen in der Forschung über Dopingnachweise.

          Simon hat bei einer spektakulären Anhörung im Sportausschuss des Deutschen Bundestages vor einem halben Jahr Forschungsförderung eingefordert und dem für die Sportförderung zuständigen Innenministerium Untätigkeit vorgeworfen. „Die Zahlen zeigen: Die Dunkelziffer liegt erheblich höher als offiziell dargestellt“, sagt er nun. „Beim Nachwuchs ist sie so hoch, dass man sich dringend Gedanken machen muss.“

          Doper mit verbesserten Nachweismöglichkeiten verunsichern

          Die Probanden nahmen in der Untersuchung die entscheidenden Fragen von einem Stapel. Nur sie konnten sehen, ob sie - auf einem Viertel der Karten - gefragt wurden, ob ihre Mutter in den ersten zehn Tagen des Monats Geburtstag habe oder - auf drei Vierteln der Karten: „Haben Sie schon einmal Dopingsubstanzen benutzt?“ Die Antworten wurden nach einer mathematischen Formel bereinigt und ergaben 6,8 Prozent. Eine ähnliche Untersuchung der Universität Saarbrücken (Pitsch und Emrich) vor vier Jahren ergab, dass 25, womöglich sogar 48 Prozent der Spitzensportler in Deutschland schon einmal gedopt hatten. Die Fragen wurden von den angesprochenen Athleten im Internet weitergegeben und beantwortet. Striegel und seine Kollegen ließen ihre Probanden persönlich befragen. Sie nehmen als Beleg der Glaubwürdigkeit ihrer Untersuchung, dass in einer gleichzeitig vorgenommenen, ebenfalls anonymen Fragebogenaktion in der selben Zielgruppe ein einziger von knapp 1400 Probanden Doping einräumte.

          Simon fordert, in der Prävention entschiedener vorzugehen und zugleich auch bei Wettbewerben für Nachwuchs und Breitensportler vermehrt Dopingkontrollen vorzunehmen. Er bezieht sich auf den überführten Radprofi Bernhard Kohl, wenn er sagt, dass beim Nachwuchs nicht mit avancierten Techniken, sondern mit Standardmethoden manipuliert werde, die leicht nachzuweisen seien. Im Übrigen gelte es, die Doper mit neuen und verbesserten Nachweismöglichkeiten zu verunsichern. Simon arbeitet, unterstützt von der Welt-Antidopingagentur (Wada), an einem Nachweis für genetische Manipulationen.

          Der Gutachter einer amerikanischen Publikation widersprach einer Veröffentlichung der Studie wegen der sieben Prozent. Diese Zahl sei ganz offensichtlich, behauptete er, viel zu niedrig.

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