Schilddrüsenhormon : Seefisch statt Thyroxin
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Thyroxin half auf die Sprünge: Carl Lewis Bild: dapd
Schon Sprinter Carl Lewis soll die Einnahme des Schilddrüsenhormons Thyroxin auf die Sprünge geholfen haben. Das Medikament ist nicht verboten, aber gefährlich.
Doppel-Olympiasieger und Doppel-Weltmeister Mo Farah würdigte den Langstreckenlauf als Mannschaftssport. Nachdem er auch in Moskau überlegen die Goldmedaillen im 10.000-Meter- und im 5000-Meter-Lauf gewonnen hatte, dankte der Brite seinem Trainer Alberto Salazar: „Er hat meine Karriere gemacht.“ Dann lobte er sein Team. „Ich weiß, dass ich hart dafür arbeite“, sagte er. „Aber man braucht die richtigen Leute, und ich bin froh, dass ich die richtigen Leute habe.“
Vom Krafttrainer bis zum Diagnostiker, von der Kältekammer bis zum Unterwasserlaufband bietet das „Oregon Project“ des amerikanischen Sportartikelherstellers Nike alles und jeden auf, der Leistung steigern und stabilisieren kann. Seit Farah ins Zentrum dieses Hochleistungslaboratoriums gerückt ist, dominiert er den Langstreckenlauf; seit Daegu 2011 hat er bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen fünf Goldmedaillen und eine silberne gewonnen. Vor wenigen Wochen ist er, als sei es Training für seinen Endspurt, in 3:28,81 Minuten Europarekord über 1500 Meter gelaufen. Im kommenden Jahr will er sein Debüt im Marathon geben, auf der fast dreißig Mal so langen Strecke.
Keine Frage: Die Dominanz von Mo Farah ist das Ergebnis von Talent, erweitert um die Erfahrung und das Wissen seiner Mannschaft. Mancher erinnerte sich während der Moskauer Tage daran, dass im April ein Mediziner seine Kooperation mit dem Team öffentlich machte, der, zurückhaltend gesagt, eine unkonventionelle Überzeugung vertritt. Es geht um die Gabe von Thyroxin, dem Schilddrüsenhormon T4. Er sei ein Revolutionär auf seinem Gebiet, behauptete Jeffrey Brown im Gespräch mit dem „Wall Street Journal“; er diagnostiziere und therapiere bei jungen Athleten, was vor allem als Problem von Frauen nach den Wechseljahren bekannt ist und eben auch durch intensives Ausdauertraining entstehen könne: Hypothyreose, die Unterfunktion der Schilddrüse. Verabreiche er das fehlende Hormon, sei die eingeschränkte Leistungsfähigkeit der Athleten wiederhergestellt. Salazar bekennt sich zur Zusammenarbeit mit Brown; der Arzt aus Houston (Texas) sei der beste Sport-Endokrinologe der Welt, sagt er.
Ali benebelt
Fünfzehn Olympiasieger gehörten zu seinen Patienten, sagte Brown. Von dem vermutlich bekanntesten zeigt der Arzt gern ein Foto: Carl Lewis. Der achtmalige Weltmeister und neunmalige Olympiasieger in Sprint und Weitsprung schreibt in seinem Buch „One More Victory Lap“ (“Eine weitere Ehrenrunde“), dass er vor den Olympischen Spielen von Atlanta, seinen vierten, an einer unerklärlichen Lethargie gelitten habe. „So wie Dr. Brown es erklärte, fehlten mir nur fünf Prozent meiner körperlichen Fähigkeiten, was für die meisten Menschen in ihrem alltäglichen Leben praktisch unmöglich zu bemerken wäre“, heißt es da. „Aber fünf Prozent sind riesig für einen Leichtathleten.“ Das Hormon soll ihm auf die Sprünge geholfen haben. Lewis wurde Olympiasieger.
Selbst 1996 war die Gabe von Schilddrüsenhormon nicht neu. Von Muhammad Ali ist überliefert, dass er 1980 vor seiner desaströsen Niederlage gegen Larry Holmes mit Schilddrüsenhormon behandelt worden war. „Schlechte Idee mit den Thyroxin-Tabletten“, zitierte ihn die „New York Times“ ein Jahr später. Mehr als 16 Kilogramm Körpergewicht hatte der 38-Jährige dadurch verloren, sah fit aus wie lange nicht mehr, war aber benebelt und wurde fürchterlich verprügelt.
“Selbstverständlich ist es ein Doping-Mittel“
Wohl auch wegen der vielfältigen Wirkung gilt eine Leistungssteigerung durch Thyroxin als nicht erwiesen. Es ist im Sport nicht verboten; bei Doping-Kontrollen wird nicht danach gesucht.
“Selbstverständlich ist es ein Doping-Mittel“, widerspricht Professor Werner Franke aus Heidelberg, einer der profiliertesten Fachleute auf diesem Gebiet. „Schilddrüsenhormon steigert die Gesamt-Leistungsfähigkeit physisch und psychisch. Insbesondere im Training ist man belastbarer.“ Er verstehe nicht, dass es nicht auf der Doping-Liste stehe.