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Anti-Doping-Kampf : „Aufstand gegen das dunkle Gesicht des Sports“

  • -Aktualisiert am

Im Anti-Doping-Kampf bedarf es kritischer und unabhängiger Wissenschaftler, um den Spitzensport wieder sauber zu gestalten. Bild: Reuters

Bei Olympia in Rio haben sich noch einmal reichlich Mängel und Lücken im bisherigen System offenbart. Zwei deutsche Wissenschaftler wollen nun den Anti-Doping-Kampf erneuern.

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          Das Internationale Olympische Komitee (IOC) ist hartnäckig. Jedes Mal, wenn es in Rio einen Doping-Sünder aus der Vergangenheit hervorzauberte, dann leitete dieser Satz die amtliche Mitteilung ein: „Der Schutz der sauberen Athleten und der Kampf gegen Doping sind die Top-Prioritäten für das IOC, so wie in der Olympischen Agenda 2020 ausgeführt.“

          Anno Hecker
          Verantwortlicher Redakteur für Sport.

          Die Schlagzahl der Enttarnungen acht Jahre nach Peking hat zugenommen in den vergangenen Tagen. Und mit ihr die Zufriedenheit im Zirkel der olympischen Regierung: Gibt es eine bessere Waffe als die Nachforschung über ein Jahrzehnt, die Anwendung verbesserter und verfeinerter Analysemethoden oder neuer Dekodierungsverfahren? Bis zur Verjährung nach Ablauf von zehn Jahren sollen die Betrüger um ihren Erfolg bei Olympia zittern müssen. So lange darf zugegriffen werden auf den Anteil der eingefrorenen Proben.

          Das Nachspiel von Olympia in Rio hat also gerade erst begonnen. Die Warnung vor einer ernsthaften Würdigung des Medaillenspiegels und der damit verbundenen Bewertung ist mit der Aberkennung von olympischen Erfolgen in Peking schon bestätigt worden. Auch die jüngste Nationenwertung wird nach dem letzten Wettkampf in Bewegung bleiben. Und trotz aller Beteuerungen kann sich auch die Führung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) nicht sicher sein, ob alles aus reinem Gold ist, was da glänzt in den eigenen Reihen.

          Denn in den 4500 Kontrollen, die unter der Ägide des IOC während der Spiele genommen worden sein sollen, befinden sich nach Ansicht von Experten mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder Substanzen, die von den Fahndern nicht zu entdecken sind. Zum Teil, weil es noch kein geeignetes Nachweisverfahren gibt, so wie einst im Fall des Blut-Doping-Mittels Erythropoietin (Epo), das der notorische Doper Lance Armstrong nebst den Kollegen munter einnahm, bis im Jahr 2000 die Kunde von der Entdeckbarkeit die Runde machte. Stoffwechsel. So sollen die Doper den Fahndern stets voraus sein, bis heute. Denn wenn die Labore nicht wissen, nach welcher eigens designten, verbotenen Zusammensetzung sie suchen müssen, dann sind sie hilfloser als der Nadelsucher in seinem Heuhaufen.

          Brasilianisches Labor entsprach nicht dem Anspruch

          So weit aber hätte ein Doper in Rio wohl gar nicht gehen müssen. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung genügte das wissenschaftliche Niveau von brasilianischen Analysten vor den Mikroskopen nicht dem nötigen Anspruch. „Das Risiko, dass ein konventionelles Doping nicht entdeckt worden ist, war deshalb höher als anderswo“, sagte ein Insider auf Anfrage. Schon die Schilderung der englischen Tageszeitung „Telegraph“, Kontrolleure hätten ihre Taxifahrten selbst zahlen müssen und seien deshalb wieder abgereist, hatte in der vergangenen Woche Zweifel an der Seriosität genährt.

          Sie wachsen, weil der längst nachweisbare Leistungssteigerer, die pharmakologische Substanz GW1516 - fettabbauend, Muskelwachstum fördernd - nicht zum Überprüfungsprogramm an der Copacabana gehörte. Erstaunlich, seit Peking 2008 wird darüber gesprochen. Auch ein vom Mainzer Anti-Doping-Forscher Perikles Simon entwickeltes Verfahren zur Entdeckung von Gen-Doping kam nicht zum Zuge.

          Gentherapie in Russland erlaubt

          „Da in Russland bereits eine Gentherapie mit VEGF (ein Gefäßwachstumsfaktor) zugelassen worden ist“, teilte Simon der F.A.Z. mit, „wäre es nur logisch gewesen, genau dieses Verfahren in Rio einzusetzen.“ Schließlich lädt ein Gentherapeutikum mit gesicherter Dosierungsanleitung und gesichertem Nebenwirkungs- und vor allem auch Wirkungsprofil zum missbräuchlichen Einsatz geradezu ein. Doper und ihr zumeist wissenschaftlich gebildetes Umfeld wissen sehr gut, was auf dem Markt ist - und nicht kontrolliert wird.

          Simon ist auch mit Blick auf die Ergebnisse seiner Forschungsarbeiten von einem hohen Prozentsatz Doper unter den Athleten überzeugt. Und von dem Desinteresse der Sportverbände wie der Welt-Anti-Doping-Agentur, den Manipulateuren mit aller gebotenen Intensität auf die Schliche zu kommen. „Nach Rio kann es kein ,Weiter so‘ geben“, sagt Simon: „Jetzt muss die Wende im Anti-Doping-Kampf kommen.“

          Es muss noch viel getan werden.
          Es muss noch viel getan werden. : Bild: dpa

          Zusammen mit dem Nürnberger Pharmakologen Fritz Sörgel will der Mediziner „den Aufstand der Wissenschaft gegen das dunkle Gesicht des Sports“ organisieren. „Wir werden die Welt-Anti-Doping-Agentur und das Internationale Olympische Komitee in ihren Reformbemühungen vor uns hertreiben“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Dabei sollen Fachleute aus der Soziologie, der Statistik, der Methodenlehre der Wissenschaft, der Kriminologie und nicht zuletzt der klinischen Laboranalytik helfen, dem organisierten Sport auf die Finger zu schauen und einzuleiten, was längst überfällig ist: „Der Anti-Doping-Kampf kann nur unter der kritischen Begutachtung durch von den Sportorganisationen unabhängige Wissenschaftler aus dem Stadium der Volksverdummung auf den ersten, zarten Weg der Effektivität geführt werden.“

          „Die Ankündigung von härtesten Sanktionen und die fast folgenlose Hinnahme von Betrugsvorgängen bei Olympischen Spielen passen nicht zusammen.“ Der deutsche Leichtathletik-Präsident Prokop über das Taktieren des IOC.

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