Doppelgänger bei Doping-Kontrolle : Eine „Kultur der Korruption“ im Gewichtheben
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Im Fokus einer ARD-Dokumentation: Gewichtheben Bild: Picture-Alliance
Erschreckende Einsichten in den seit Jahrzehnten von Sportbetrug begleiteten Gewichtheber-Weltverband: Doping-Vertuschung, Korruption, schwarze Kassen. Eine Dokumentation erhebt schwerste Vorwürfe.
Für sechzig Dollar dürfen sich gedopte Gewichtheber bei Doping-Kontrollen vertreten lassen, im internationalen Geschäft kostet die Manipulation zweihundert Dollar. Das hat, vor versteckter Kamera, der Mannschaftsarzt der Gewichtheber aus Moldau gegenüber der ARD-Sportschau ausgeplaudert. „Wenn Doping-Kontrolleure kamen, hat man die Doppelgänger geholt – Leute, die unseren Athleten ähnlich sehen“, erzählte Dorin Balmus in einem Café in Chisinau und ist damit zu sehen in der Sportschau an diesem Sonntagabend (18.45 Uhr). „Die gaben sauberen Urin ab. Und wir haben bezahlt.“ Man zahle auch dafür, dass nicht so genau in den Pass geschaut wird. „Beim Abschied bekamen die Leute so viel Geld wie nötig – und fertig. Die wussten schon, dass man hier Geld verdienen kann.“
Die Leute – damit meint der Arzt Kontrolleure aus Ungarn. Auffällig viele Doping-Kontrollen, 77 Prozent von ihnen, erledigt die ungarische Anti-Doping-Agentur Hunada. Und aus Unterlagen, die der Redaktion von „Geheimsache Doping“ zugespielt wurden, geht hervor, dass diese etwa die Hälfte der Medaillengewinner bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften der vergangenen zehn Jahre im Jahr vor deren großen Siegen gar nicht kontrollierten. Kommen andere Kontrolleure zum Zuge, wie bei der Weltmeisterschaft in Houston (Texas) 2015, fliegen Doper gleich im Dutzend auf. 24 konnte die amerikanische Anti-Doping-Agentur (Usada) vor bald vier Jahren überführen. Hans Geyer vom Doping-Kontrolllabor in Köln bestätigt der ARD, dass einige der Überführten vorher zum Test anderer Leute Urin abgegeben hatten. „Es gab einige Manipulationen, das heißt, bei den Trainingskontrollen wurde Fremdurin verwendet“, sagt Geyer. „Das konnten wir über den biologischen Passport herausfinden und über DNA-Analytik.“
Verbände von Olympia ausgeschlossen
Es ist keine Überraschung, dass unter den stärksten Frauen und Männern der Welt der Griff zur Pille verbreitet ist. Auf Druck des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), bei dessen Nach-Kontrollen Medaillengewinner der Spiele reihenweise aufflogen, hat der Weltverband IWF Verbände wie den bulgarischen von Olympia ausgeschlossen und anderen, etwa dem rumänischen, die Zahl der Teilnehmer reduziert. Der Verband Thailands hat sich für die Sommerspiele in Tokio 2020 selbst suspendiert. Bei den Olympische Spielen werden die Gewichtheber ein Viertel weniger Teilnehmer haben als noch in Rio 2016.
Letztlich, so scheint es, ist im Reich des Ungarn Tamás Aján alles Verhandlungssache, besser: käuflich zu sein. Machtfülle und Vorwürfe gegenüber dem Achtzigjährigen, der 25 Jahre lang Generalsekretär des Verbandes war und ihn seit bald zwanzig Jahren als Präsident beherrscht, erinnern an das korrupte Regime von Lamine Diack in der Leichtathletik. Die Sportschau legte Mark Pieth, Ordinarius für Strafrecht und Kriminologie an der Universität Basel, den seit 2013 bekannten Fall vor, dass sich die Spur von reichlich fünf Millionen Dollar, die das IOC den Gewichthebern überwies, auf einem Konto in der Schweiz verliert. „Das, was ich hier gesehen habe, erscheint mir doch sehr, sehr dreist. Dreister als das, was ich bei der Fifa gesehen habe“, kommentierte Pieth in Anspielung auf seine einstige Rolle als Vorsitzender der Reformkommission des Fußballs. „So plump wäre man bei der Fifa nicht verfahren.“ Er gehe aufgrund der Dokumente davon aus, dass gegen Aján ein Anfangsverdacht bestehe, der die Schweizer Behörden verpflichtet, tätig zu werden.
Eine weitere Ungereimtheit liegt darin, dass Nationalverbände für Doping-Fälle Strafen in sechsstelliger Höhe bezahlen. Die Sportschau präsentierte einen Brief des ukrainischen Verbandes von 2009, in dem es um 500.000 Dollar geht und in dem es heißt: „Wir haben das ganze Geld immer in bar an Präsident Tamás Aján bezahlt, wie er es gefordert hat.“ Auch dazu ist Aján nicht bereit, sich gegenüber der ARD zu äußern. „Aján steht für ein System, das über Jahrzehnte Doping im Gewichtheben etabliert hat und das über Jahrzehnte schiefgelaufen ist“, konstatiert in der ARD Christian Baumgartner, der Präsident des deutschen Gewichtheber-Verbandes. „Es hat sich eine Kultur der Korruption breitgemacht.“
Zu diesem gehört laut Sportschau auch Intarat Yodbangtoey, der Vizepräsident des internationalen Verbandes aus Thailand. Als die Gewichtheberin Rattikan Gulnoi, Gewinnerin einer Bronzemedaille von London 2012, vor versteckter Kamera ins Plaudern kommt über ihr und anderer Leute Doping, stellt der Reporter, der sich als Athleten-Manager ausgibt, die Frage, warum sie nicht erwischt worden sei. „Wir haben die Mittel früh genug vor dem Wettkampf abgesetzt“, erwidert sie. „Der Boss und der Trainer haben alles genau geplant. Spritzen, pausieren, spritzen, pausieren – so läuft das.“ Der Boss: Das ist Yodbangtoey, der sie in London persönlich betreute und beim Wettkampf mit auf der Bühne war. Fragen der ARD beantwortete auch er nicht.
Auf die Frage nach den Nebenwirkungen ihrer Anabolika-Einnahme sagt Rattikan Gulnoi: „Tiefere Stimme, Haarwuchs. Als ich es nahm, hatte ich einen Kiefer wie ein Mann und einen Schnurrbart. Die Verantwortlichen scheren sich nicht um die Gesundheit. Die Sportler sollen nur Medaillen holen, schon die Jugendlichen.“ Bereits Dreizehnjährige, sagt sie, würden in Thailand gedopt.