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Doping-Kommentar : Alles, nur keine Kontrolle

  • -Aktualisiert am

Die Doping-Aufarbeitung ist noch lange nicht zu Ende Bild: dpa

Die Doping-Aufarbeitung muss fortgesetzt werden. Das allein wird aber nicht ausreichen, um den Spitzensport in eine bessere Zukunft zu führen. Es sind radikale Schnitte nötig. Etwa eine Debatte um die „Endkampfchance“ als Kriterium für eine Olympia-Nominierung.

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          Die Studie über Doping in Westdeutschland hat nicht nur hierzulande Wellen geschlagen. Eine britische Reporterin fragte am Montag, ob denn nun der Sieg der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft 1996 in England in Frage gestellt werden müsse. Nein: Die Geschichte des Dopings in der Bundesrepublik, von staatlich subventionierter Forschung bis zur unterdrückten Aufklärung, muss nicht umgeschrieben werden. Sie ist bestätigt und in Details ergänzt worden.

          Wer nun glaubt, es bestehe kein Unterschied zwischen der Organisation der Manipulation in der ehemaligen DDR und den Betrügereien in der Bundesrepublik, der klittert die Geschichte. In der Bonner Republik gab es keinen geheimen Staatsplan Doping wie in der DDR. In fast allen Sportarten, die Medaillen bei Olympia versprachen, wurde dort flächendeckend die Einnahme verbotener Substanzen angeordnet. Die DDR-Führung setzte auf eine menschenverachtende Forschung und ließ die Vergabe überwachen - selbst an Minderjährige. Man organisierte Menschenversuche, wie sie in diesem Ausmaß nur in Diktaturen möglich sind.

          Die Westdeutschen waren deswegen nicht die ehrlicheren Sportpolitiker oder -funktionäre. Die jungen Sportler hatten lediglich das Glück, dass Lug und Betrug in einer föderalen Demokratie früh an Grenzen stoßen. Leistungsplaner an der Spitze des Sports konnten zwar mit subtilen Mitteln eine Grundhaltung erzeugen, die dem Doping nicht abgeneigt war.

          Aber sie hatten nicht die Möglichkeit, per Direktive bis in jeden Verein hineinzuwirken. Das schützte einerseits vor einer Westausgabe des DDR-Modells, verhinderte aber einen effektiven Kampf gegen die Einnahme verbotener leistungssteigernder Substanzen. Auch deshalb verlor die Siebenkämpferin Birgit Dressel 1987 in Mainz ihr Leben. Die Ärzte konnten nicht schnell genug ermitteln, wie viele Medikamente sie genommen hatte.

          Ein buntes Bild in der Bundesrepublik

          Insofern führt die Schlagzeile vom Staatsdoping West in die Irre. Die Mitwisserschaft des Bundes beschränkte sich auf die Finanzierung von Forschungsprojekten zum Thema Doping. Ansonsten ist auch in der Bundesrepublik munter geschluckt und gespritzt worden. Denn im Gleichklang mit der zunehmenden Bedeutung des Sports in der westlichen Gesellschaft entwickelte sich ein harter Konkurrenzkampf der Ärzte um die Gunst der Sieger. Sportfunktionäre förderten und nutzten ihn, um mithalten zu können in den Arenen.

          Die Bundesrepublik bot also ein buntes Bild: den vom Staat bezahlten Professor für verkappte Doping-Forschung in Freiburg, den Doping-Fachmann aus der DDR auf einem Lehrstuhl in Bayreuth, den Privat-Guru für Heerscharen deutscher Medaillengewinner samt einer offenen Apotheke. Der Staat unterhielt mehr oder weniger indirekt Doping-Nester und signalisierte stillschweigend Akzeptanz.

          Nur ein DDR-Athlet im Ausland positiv getestet

          Jedenfalls verlangte das Innenministerium Gold für Geld, ohne lästige Nachfragen zu stellen. Es gab alles, nur keine Kontrolle. Das erklärt auch, warum zu DDR-Zeiten nur eine Athletin im Ausland positiv getestet wurde, während westdeutsche Sportler vergleichsweise häufig des Dopings überführt wurden. Dank der „Ausreisekontrollen“ durch das Anti-Doping-Labor in Kreischa durften DDR-Sportler nur zu Wettkämpfen ins Ausland reisen, wenn ihnen die Medikamentenladung nicht nachgewiesen werden konnte.

          Warum ist die Unterscheidung wichtig? Weil im Gegensatz zum systematischen Doping der DDR das systemische der Bundesrepublik schwerer zu bekämpfen war. Das ganze Ausmaß des West-Dopings ist noch nicht erfasst, viele Protagonisten sind nicht enttarnt.

          Die Archive sollten schleunigst geöffnet werden

          Die Aufarbeitung muss also fortgesetzt werden. Bundeseinrichtungen des Sports und Sportverbände wie der Deutsche Fußball-Bund (ja, auch das Lieblingsspiel der Deutschen blieb nicht verschont) sollten schleunigst ihre Archive öffnen. Auf diesem Weg ließe sich Vertrauen wiederaufbauen.

          Sollten Sport und Politik aus eklatanten Fehlern wie bewussten Versäumnissen die richtigen Schlüsse ziehen, dann gäbe es einiges zu tun: nämlich der Nationalen Anti Doping Agentur (Nada) ein vernünftiges Budget und endlich Unabhängigkeit zu verschaffen und endlich auch ein Anti-Doping-Gesetz zu formulieren, das Staatsanwälten die Chance gibt, sich Athleten im Doping-Fall zur Brust zu nehmen.

          Vertrauensverlust bei weiten Teilen der Bevölkerung

          Das allein wird nicht ausreichen, um den Spitzensport in eine bessere Zukunft zu führen. Es sind radikale Schnitte nötig. Denn zweifellos wirken heute noch ehemalige Manipulateure und Mitwisser im Sport. Sie können nicht die Vorbilder für junge Menschen sein, die ständig den Verlockungen des Dopings ausgesetzt sind. Etwa wenn die „Endkampfchance“ in dopingrelevanten Disziplinen zum Kriterium für eine Olympia-Nominierung gemacht wird.

          Mit dieser Vorgabe hat der Vertrauensverlust begonnen, vor mehr als vierzig Jahren. Dieser hat inzwischen weite Teile der Bevölkerung erfasst. Deshalb droht die schützenswerte Kultur des Spitzensports unterzugehen. Übrig blieben Fußball, Formel 1, Tennis und ein Zirkus der Sensationen. Welches Land, wenn nicht dieses, kann es sich leisten, dagegen aufzustehen und mit weniger Medaillen zufrieden zu sein?

          Anno Hecker
          Verantwortlicher Redakteur für Sport.

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