Doping in Deutschland : „Es müssen Ross und Reiter genannt werden“
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Heidi Schüller sprach 1972 den olympischen Eid: „Thomas Bach muss mehr gewusst haben, als er jetzt zugibt“, sagt sie heute Bild: dpa
Das Innenministerium und der Deutsche Olympische Sportbund sehen sich wegen der Doping-Praktiken in der Bundesrepublik Vorwürfen der Verschleppungstaktik ausgesetzt. DOSB-Präsident Bach setzte eine unabhängige Kommission ein.
Nach der Aufregung um die Doping-Vergangenheit der Bundesrepublik sind Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich und DOSB-Präsident Thomas Bach in die Kritik geraten. Gegner warfen den beiden am Dienstag eine Verschleppung der Aufklärungsarbeit vor. Gleichzeitig wurden Forderungen nach konkreter Namensnennung, einem Anti-Doping-Gesetz und strafrechtlicher Aufklärung lauter. „Es müssen Ross und Reiter genannt werden“, verlangte Clemens Prokop, Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), am Dienstag in München und mahnte die Veröffentlichung der bisher zurückgehaltenen Langfassung der Studie an. Nur so könne auch der nun aufgekommene „Generalverdacht“ gegen bundesdeutsche Athleten ausgeräumt werden.
Der bereits im März 2012 fertiggestellte Zwischenbericht der Studie „Doping in Deutschland von 1950 bis heute“ enthielt nach dpa-Informationen mehr Namen und war auch mehrere Hundert Seiten länger als der am Montag vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) veröffentlichte Abschlussbericht. Die Forscher hätten das Recht, auch den Zwischenbericht zu veröffentlichen, scheinen ohne Rechtsschutz aus Angst vor möglichen Klagen aber davor zurückschrecken.
Der Deutsche Olympische Sportbund hatte am Montag eine unabhängige Kommission angekündigt, um die Ergebnisse der Studie zu analysieren. „Wir haben eine unabhängige Kommission eingesetzt und den Vorsitzenden benannt, das ist der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Steiner“, so Bach im „heute-journal“ des ZDF. Steiner werde den Bericht evaluieren und dem DOSB-Präsidium Empfehlungen „geben für den Umgang damit und auch für Lehren für die Zukunft“. Dieser Schritt geht zahlreichen Kritikern nicht weit genug.
Forderung nach Anti-Doping-Gesetz
Doping-Experte Werner Franke machte sich für eine strafrechtliche Aufklärung des westdeutschen Dopingprogramms stark. Wie schon bei den Prozessen gegen Verantwortliche des DDR-Dopingprogramms müssten auch die Hintermänner in Westdeutschland wegen Körperverletzung vor Gericht. „Wieso wurde etwas bestraft bei DDR-Tätern, aber nicht bei west- oder gesamtdeutschen Tätern?“, sagte er im Nordwestradio.
Bayerns Justizministerin Beate Merk bekräftigte ihre Forderung nach einem umfassenden Anti-Doping-Gesetz. „Wir müssen handeln, aufdecken, nicht länger zudecken“, sagte die CSU-Politikerin. Die Sportverbände müssten zur Kenntnis nehmen, dass sie die Probleme alleine nicht bewältigen könnten. „Systematisch aufklären, systematisch strafen kann der Sport nicht.“ Es sei an der Zeit, „endlich ein Doping-Strafrecht zu schaffen, das seinen Namen verdient“, betonte Merk.
Von Steuergeldern finanzierte Doping-Forschung
Der Abschlussbericht der Berliner Humboldt Universität und der Universität Münster über die Doping-Praktiken in der Bundesrepublik bestätigte das Bild einer staatlich geduldeten und von Steuergeldern finanzierten Doping-Forschung. Prokop reagierte entsetzt auf die ersten Erkenntnisse. „Was mich erschreckt hat, dass sich tatsächlich ein erhebliches Ausmaß des Dopings in Westdeutschland abzeichnet.“
Der Spitzenfunktionär zeigte sich überrascht, dass schon seit Ende der 40er-Jahre nicht nur in der Leichtathletik, sondern auch im Fußball, im Rudern und in anderen Sportarten gedopt worden sein soll: „Was mich schockiert hat, war, dass offenkundig mit staatlichen Geldern geforscht wurde. Und dass offenkundig viele Verantwortliche im Sport Bescheid wussten.“
Die Politik habe ein Anrecht darauf, mehr zu erfahren, sagte die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, Dagmar Freitag, und monierte, dass die Studie nicht komplett veröffentlicht worden ist. In hr-iNFO sagte die SPD-Politikerin, die veröffentlichte Minimalversion des Berichts werfe mehr Fragen auf als sie Antworten gebe. So seien vermutlich interessante Namen geschwärzt worden. Freitag sprach von einem Bericht, „der von Auslassungen und Platzhaltern wie N.N. dominiert wird“. Dass offiziell datenschutzrechtliche Gründe angeführt werden, hält sie für abwegig. „Diese Argumentation hat man sich ja auch nicht bei der Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen zu eigen gemacht“, sagte sie.
Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, verurteilte die Rolle von Innenminister Friedrich. „Minister Friedrich verhindert die Aufklärung und versucht die Wahrheit über staatliches Doping zu vertuschen“, sagte Oppermann.
„Bach muss mehr gewusst haben, als er jetzt zugibt“
Die frühere Spitzensportlerin Heidi Schüller erhob schwere Vorwürfe gegen den DOSB-Chef. „Thomas Bach muss mehr gewusst haben, als er jetzt zugibt. Er kann doch auch lesen“, sagte Schüller der Münchner „tz“. „Aber wenn man IOC-Präsident werden will, dann schweigt man besser.“ Die frühere Weitspringerin Schüller hatte 1972 bei den Sommerspielen in München den olympischen Eid gesprochen - als erste Frau überhaupt. Bach will am 10. September in Buenos Aires neunter IOC-Präsident werden und geht als klarer Favorit in den Endspurt.
Hockey-Olympiasieger Michael Krause, Goldmedaillengewinner 1972, wies die Vorwürfe zurück. In der Studie wurde behauptet, das aus Kälberblut gewonnene Doping-Präparat Actovegin sei auch an Hockey-Auswahlspielern getestet worden. Krause kann es sich nicht vorstellen, als Versuchskaninchen für das Mittel benutzt worden zu sein. „Das schließe ich völlig aus. Ich musste als Siegtorschütze selbst zur Dopingkontrolle“, sagte der Strafecken-Torschütze im Olympia-Endspiel. „Das ist mir völlig unbekannt.“