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Berechnungen eines Mikroökonomen : „Doping lohnt sich – zumindest wirtschaftlich“

Lance Armstrong als Beispiel: Der Fall des Dopers half bei den Berechnungen Bild: AFP

Lohnt sich Doping? Ja. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung von Mikroökonom Volker Robeck. Im FAZ.NET-Interview verrät er, wie sehr ihm der Fall Armstrong half und was der Sport aus seinen Berechnungen lernen kann.

          4 Min.

          Sie haben ausgerechnet, dass professionelle Radsportteams ein Interesse an Doping haben. Können Sie uns das erläutern?

          Anno Hecker
          Verantwortlicher Redakteur für Sport.

          In meinem Modell ist das so, ja. Die Teams haben ein Interesse an Doping, weil sie mit Doping ihren Gewinn erhöhen können. Selbst wenn ein Anti-Doping-Kampf stattfindet, ist der Gewinn immer noch höher.

          Warum?

          Teammanager profitieren davon, dass Aufmerksamkeit und Gelder generiert werden durch gute Leistungen. Eine Steigerung der Leistung führt zu einer höheren Entlohnung, das spiegelt den Gedanken des „schneller, weiter, höher“. Die Sponsoren orientieren sich daran. Sie sind bereit, für mehr Erfolge mehr zu zahlen, allerdings immer unter dem Gesichtspunkt, dass nicht zu viele Doping-Fälle bekanntwerden.

          Sie haben für Ihre Erkenntnis keine Geständnisse gebraucht, sondern Gleichungen aufgestellt, also Verhaltenswahrscheinlichkeiten berechnet. Wie funktioniert das?

          Mein mathematisches Modell basiert auf der Vertrags- und Spieltheorie und dient als ein Hilfskonstrukt, um aufzuzeigen, welche Beziehungen in einem Radrennstall untereinander vorliegen und welche Abhängigkeiten bestehen. Das hilft, die Argumente abzubilden. In der Gleichung stecken Annahmen zu den Fragen, wie Erfolg generiert wird, wie das Team profitiert, wie die Entlohnung funktioniert, wie das Team den Athleten bezahlt, welche Kosten den Athleten betreffen. Ich musste also eine Aussage treffen zu der Frage, was Trainings- und was Doping-Kosten sind. Und ich musste formulieren, ob ich einen starken Anti-Doping-Kampf in mein Modell aufnehme. Ich habe die Annahmen aus der Realität möglichst genau in mein Modell übertragen, um dann zu schauen, an welchen Stellgrößen man drehen kann, um Doping zu beeinflussen.

          Woher haben Sie Ihre Annahmen?

          Es gibt sehr gute Beschreibungen über die Strukturen von Teams, wie Vertragsbeziehungen gestaltet sind, welcher Anteil an Sponsorengeldern ins Team fließen. Sie finden Hinweise dazu unter anderem in den Untersuchungsberichten der USADA (Anti-Doping-Agentur der Vereinigten Staaten), die am Fall Lance Armstrong sehr genau beschreibt, wie so ein Team funktioniert. Die Kommission der Universität Freiburg zur Aufklärung von Doping an der sportmedizinischen Einrichtung hat das System des deutschen Team T-Mobile (unter anderem mit Jan Ullrich/d. Red.) en detail beschrieben. Es ist nicht so schwer, eine gute Vorstellung zu bekommen, wie Radsportteams funktionieren.

          Sie haben drei theoretische Modelle durchgespielt, welche?

          Das erste Modell ist ein Benchmarksetting mit der Annahme, der Kampf gegen Doping sei perfekt. Es mache also keinen Sinn, Doping-Mittel zu nehmen, weil alles entdeckt wird. Folglich können die Athleten ihre Leistung nur mit Training steigern. Im zweiten Setting setze ich voraus, dass der Athlet Training wie Doping wählen kann, dass es legal ist, Doping-Mittel zu verwenden, es gibt kein Verbot. Im letzten Setting gehe ich von Training wie Doping als leistungssteigernde Methoden aus, Doping ist in diesem Modell aber verboten, die Einhaltung der Regel wird kontrolliert. Es gibt eine Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden. Das führt zu einer Sanktionierung der Athleten, auch zu einer Strafzahlung. Ich schaue mir anhand dieser Modelle an, welchen Einfluss der Kampf gegen Doping hat, ob es möglich ist, Doping zu reduzieren oder auszuschließen.

          Ihr Ergebnis ist eindeutig: Doping lohnt sich.

          Ja, zumindest wirtschaftlich. Und Doping ist nicht ausschließbar. Selbst wenn das Team Doping ausschließen will, etwa per Vertrag, so ist das nicht möglich, weil die Doping-Einnahme beim Athleten nicht beobachtbar ist für das Team. Der Athlet hat trotz einer vertraglichen Vereinbarung einen Anreiz, Doping-Mittel zu nehmen, weil er seinen Gewinn damit erhöhen kann. Das Team kann also allein keine doping-freie Welt schaffen.

          Der Fall von Lance Armstrong gehört zu den spektakulärsten Doping-Fällen der Geschichte
          Der Fall von Lance Armstrong gehört zu den spektakulärsten Doping-Fällen der Geschichte : Bild: AFP

          Warum sind Radsportler, wie Sie schreiben, Risikovermeider?

          Menschen treffen immer Risikoabwägungen und müssen entscheiden, wie viel sie tragen möchten. Die gesamte Entlohnung der Radsportler hängt von ihrem Erfolg ab. Für sie ist das Risiko gefährlicher als für das Team. Es kann ja schnell andere Sportler verpflichten. Ein Radprofi wird sich bei den Verhandlungen sein Risiko also entlohnen lassen. Die Kosten des Dopings, im Falle einer Entdeckung, werden eine Rolle spielen. Er kalkuliert mit ein, erwischt zu werden, und wird einen entsprechenden Preis für seine Tätigkeit in die Honorarforderung einfließen lassen. Denn im ungünstigsten Fall ist seine Karriere zu Ende.

          Was lässt sich aus Ihren Theorien für den Anti-Doping-Kampf ableiten?

          Dass das jetzige System Doping reduziert, man könnte es aber weiter reduzieren, wenn man die Kosten, etwa Strafzahlungen erhöht. Es wird aber nicht auf null sinken. Ich bearbeite im Moment die Frage, ob die Bestrafung des Teams eine größere Auswirkung hätte. Das funktioniert aber nur, wenn man die Strafen so hoch setzt, dass ein Team keinen Profit mehr machen kann. Dann aber bräche der Teamsport zusammen.

          Wäre das so schlimm? Wenn die Existenz gefährdet ist, dann lässt man eher die Finger vom Doping.

          In der Realität ist diese Drohung nicht glaubwürdig. Daher lohnt es sich, nicht nachweisbare Substanzen einzusetzen. Derjenige, der clever dopt, scheint immer einen Schritt voraus.

          Was soll der Radsport aus Ihren Modellen lernen?

          Dass man versteht, dass nicht nur Athleten, sondern weitere Akteure am Doping beteiligt sind. Dass diskutiert wird, welche Ziele man mit dem Anti-Doping-Kampf erreichen soll und will. Soll man kein Doping wollen? Wäre es wichtig, Doping zu kontrollieren? Wie geht man in der Öffentlichkeit damit um?

          Gleichungen statt Geständnisse: Mikrokönom Robeck errechnet, warum sich Doping lohnt
          Gleichungen statt Geständnisse: Mikrokönom Robeck errechnet, warum sich Doping lohnt : Bild: dpa

          Einer Freigabe von Doping würde diese Redaktion nicht zustimmen, eine Kontrolle ist Ärzten gar nicht erlaubt. Aber Sie meinen, die Idealisten müssten aufgeweckt werden?

          Man müsste sagen, dass der Doping-Kampf seine Grenzen hat. Auf dieses Problem sollte aufmerksam gemacht werden. Vor allem jugendliche Sportler sind so zu informieren, dass sie eine klare Vorstellung davon haben, was vonstattengeht, wenn sie ihren Traum von einer Profikarriere erfüllen wollen. Ich bin für einen ehrlichen Umgang mit dem Problem.

          Wenn Sport nicht von Doping zu befreien ist, dann müsste Eltern doch geraten werden, ihre Kinder nicht in den Spitzensport zu schicken.

          Das könnte man daraus ableiten.

          Mit dieser Sicht werden Sie viele Teamchefs, Athleten, Sponsoren, die behaupten, sie seien sauber und sie wollten kein Doping, gegen sich aufbringen

          Ich beschreibe ja keinen Einzelfall. Ich beschreibe ein allgemeines Verhalten. Ich kann mit meinen Modellen nicht individuelles Verhalten erklären. Nach meinem Modell gibt es gute Gründe für die Annahme, dass es ein systematisches Problem gibt und dass es Teams gibt, die von Doping profitieren und deshalb Doping unterstützen. Daraus lässt sich ableiten, dass beim Anti-Doping-Kampf zu stark auf den Athleten geschaut wird. Der Arzt, der Teammanager im Radsport, sie alle haben ein Interesse an Doping.

          Volker Robeck
          Volker Robeck : Bild: Foto privat

          Welche Chancen hat der Athlet, diesem Spiel zu entkommen?

          Es ist sehr schwierig, das zu ändern. Aber es existiert ja eine Wahlfreiheit des Athleten. Er kann sich eine andere Tätigkeit suchen.

          Sie glauben, ein Radrennfahrer, der zehn Jahre auf eine Profikarriere hingearbeitet hat, ohne eine Berufsausbildung machen zu können, hat eine Wahl?

          Jeder hat eine Wahl, aber es stimmt, die Ausstiegsoption ist nicht sehr gut.

          Ist Ihr Modell übertragbar?

          Ich würde es nicht nur auf den professionellen Radsport beziehen. Die Strukturen findet man auch in anderen Sportarten, wenn man danach sucht. Anhand des Ergebnisses können auch allgemeine Aussagen über den gesamten Sport getroffen werden.

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