Anti-Doping-Kongress : Schaudern und Neugier
- -Aktualisiert am
Insider: Matschiner (l.) und Premiumkunde Kohl 2009 Bild: AP
Der Dealer berichtet: In München werfen Sportmediziner einen Blick auf das Doping-Monster - und Stefan Matschiner erzählt aus der Praxis.
Es war, als wäre das Ungeheuer von Loch Ness wirklich aufgetaucht. Viel wurde darüber spekuliert, experimentiert und publiziert, doch nun konnten die Experten das Original betrachten. Wer hätte sich vorstellen können, dass es so durch und durch ungeheuerlich sein würde? So amoralisch und selbstsicher? Das Doping-Monster in Gestalt von Stefan Matschiner trat auf bei einem Anti-Doping-Workshop des Bayerischen Sportärzteverbandes in München, und mit einer Mischung aus Schaudern und Neugier beugten sich die Professoren und Doktoren darüber.
Selten wurde so klar, wie verschwommen das wissenschaftlich belegbare Bild vom Doping-Problem im Sport ist, wie bruchstückhaft die Kenntnisse der rechtschaffenen Experten, denen nicht nur oft Beweise fehlen, sondern häufig auch die Phantasie, um sich die Psyche eines dopenden Spitzensportlers vorzustellen. Sein Suchtverhalten. Seinen außer Kraft gesetzten Selbsterhaltungstrieb. Sein Leben in der Parallelwelt der Höchstleistung. Und auch: Wie sehr der Anti-Doping-Kampf vom Wunschdenken der Verbände - der Auftraggeber der Mediziner und Biochemiker - geprägt ist.
„Sportärzte sind Outsider", erklärte der Österreicher Matschiner, ein gerichtlich verurteilter Doping-Dealer, gleich zu Beginn mit der Arroganz des erfahrenen Praktikers. „Doping ist in der obersten Ebene an der Tagesordnung wie Frühstück, egal ob Fußball, Leichtathletik oder Radsport, ob Bundesliga oder Serie A. Das ist ganz normal. Niemand in dem Kreis hat Skrupel." Ein paar Jahre lang hat Matschiner internationale Spitzensportler versorgt, bis 2008 sein Premium-Kunde, der Radrennfahrer und Landsmann Bernhard Kohl, wegen Epo-Dopings aufflog. Matschiner wurde 2010 vom Wiener Straflandesgericht wegen Blutdopings und Weitergabe von illegalen Präparaten zu einem Monat Gefängnis und 15 Monaten auf Bewährung verurteilt.
Einig waren sich in München alle in einem Punkt: Zentrale Schwäche des Anti-Doping-Kampfs ist die Tatsache, dass es Methoden und Mittel gibt, die nicht - wie Eigenblutdoping - oder nur extrem schwer nachzuweisen sind und außerdem schnell abgebaut werden. Dazu gehört der Missbrauch von Wachstumshormon (hGH), Erythropoietin oder Testosteron. „Wenn ich mit einem dopenden Athleten diskutieren würde", gab der Münchner hGH-Experte und Endokrinologe Martin Bidlingmaier zu, „muss ich davon ausgehen, dass er mehr weiß als ich." Schließlich machten Spitzensportler Selbstversuche, die offiziell von keiner Ethikkommission zugelassen würden.
Bidlingmaier behandelt minderwüchsige Kinder mit dem gentechnisch hergestellten Hormon, das dort seine medizinische Indikation und als Arzneimittel sämtliche gesetzlichen Testphasen durchlaufen hat. Bidlingmaier erklärte zwar zunächst die leistungssteigernde Wirkung von extern zugeführtem Wachstumshormon für unbedeutend. Es führe zu einer massiven Reduktion der Fettmasse und einer Zunahme an Muskeln und Knochen, aber ohne relevante Kraftsteigerung. Eine 2010 veröffentlichte australische Studie habe allerdings eine deutliche Verbesserung der Sprintfähigkeit um vier Prozent, in Kombination mit Testosteron sogar um acht Prozent ergeben. Sicher, fügte Bidlingmaier hinzu, seien allerdings vor allem die verheerenden Nebenwirkungen.