Dopingprozess gegen Vuskovic : Mehr Fragen als Antworten
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Mario Vuskovic beteuert weiter seine Unschuld. Bild: dpa
Im Doping-Verfahren gegen den HSV-Verteidiger Mario Vuskovic gibt es auch nach zwei Verhandlungstagen kein Urteil. Nun soll ein Experte in Kanada helfen. Doch die Verteidigung hat Bedenken.
Der Beschuldigte schwieg. Und schaute immer wieder mit leerem Blick ins Nirgendwo des Raumes: Mario Vuskovic, 21 Jahre alt, Verteidiger des Zweitligavereins Hamburger SV. Neben ihm, zu seiner Linken, saß ein Dolmetscher, der vier Stunden lang übersetzte, was die Experten im Raum zu seinem Fall vorbrachten. Und das war einiges: Das Ficksche Gesetz kam zur Sprache, Einstein sollte als Kronzeuge herhalten, Wissenschaftler gingen ins Eins-gegen-Eins-Duell. Am Ende aber blieb auch der zweite Verhandlungstag im Fall Vuskovic am Donnerstag vor dem Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) ohne Ergebnis. Weil es nach wie vor zu viele Fragen und zu wenige eindeutige Antworten gibt, wird nun ein Sachverständiger in Kanada mit einem Gutachten beauftragt. Das Verfahren wird am 10. März in Frankfurt fortgesetzt.
Seit dem 15. November 2022 ist der Kroate vorläufig gesperrt, nachdem in seinem Urin körperfremdes Erythropoetin (Epo), ein Blutdopingmittel, nachgewiesen worden war. Das Ergebnis der A-Probe wurde später durch die B-Probe bestätigt. Vuskovic beteuert seine Unschuld. Das hatte er auch am ersten Verhandlungstag am vergangenen Freitag deutlich gemacht. In England hatte er sich bereits einem Lügendetektor-Test ausgesetzt. Die Wahrscheinlichkeit, dass Vuskovic wissentlich mit Epo gedopt hat, liegt demnach laut wissenschaftlichem Ermessen bei unter einem Prozent. Das Problem: In Deutschland haben derartige Tests vor Gericht kaum Bedeutung. Zudem hat Vuskovic einen DNA-Abgleich angeboten. Das Sportgericht lehnte das bisher ab.
„Diesen diffusen Bereich sieht man nur nach Epo-Gabe“
Die Verteidigung von Vuskovic brachte vier Gutachten – beauftragt vom HSV und Vuskovic – in die Verhandlung ein: von einem Dopinganalytiker aus Oslo, einem Proteinchemiker aus Vancouver, einem Fachmann für Genetische Statistik und Biomathematik aus Leipzig und einem Endokrinologen aus Dresden. Jeder von ihnen kam zu dem Ergebnis, dass weder die A- noch die B-Probe von Vuskovic positiv gewesen sein könne, dass es sich vielmehr um ein falsch-positives Ergebnis handeln müsse. Die Gutachter begründeten dies mit verschiedenen Schwächen beim vom Labor angewandten Analyse-Verfahren. Stephan Oberholz, der Vorsitzende des DFB-Sportgerichts, verzichtete darauf, die Gutachter als Zeugen zu laden.
Stattdessen befragte er Dr. Sven Voss, seit Anfang dieses Jahres Leiter des Instituts für Dopinganalytik in Kreischa in Sachsen. Dort war am 20. September 2022 die Urinprobe von Vuskovic angekommen, vier Tage nachdem ein Kontrolleur sie auf dem Trainingsgelände des HSV abgenommen hatte. Danach lagerte das Urin von Freitagnachmittag bis Montagmorgen im Kühlschrank des Kontrolleurs, ehe sie mit einem DHL-Kurier nach Kreischa gebracht wurde. Voss erklärte, wie sein Labor die Spur von Epo aufnimmt, wie es körperfremdes von körpereigenem Erythropoetin trenne und in einem optischen Verfahren analysiere. Die Fachleute sprechen von einem Schmier, einer Art grauem Schleier, der sich über einem dunkelschwarzen Balken abzeichnet. Das dunkle: körpereigenes Epo. Das helle: körperfremdes Epo. Voss sagte: „Diesen diffusen Bereich sieht man nur nach Epo-Gabe.“
Sein Urteil begründete er mit seiner Erfahrung: Seit 17 Jahren beschäftige er sich mit Epo und dessen Nachweis und könne deshalb unterscheiden zwischen einer positiven und einer negativen Probe. Und, daran ließ er während seiner Befragung, die rund zwei Stunden andauerte, keinen Zweifel: Die Probe von Vuskovic war positiv. „Zu 100 Prozent“, sagte Voss auf Nachfrage. So hätten drei Leute im Institut in Kreischa geurteilt, und dieses Urteil sei danach durch eine weitere Gutachterin bestätigt worden.
Uneinige Wissenschaftler
Als Fachberater der Verteidigung trat Professor Perikles Simon, der Leiter der Abteilung Sportmedizin an der Universität in Mainz, auf. Was sich zeitweise im Saal abspielte, war auch dem Vorsitzenden Oberholz zu viel: ein Rededuell zweier Wissenschaftler. Oberholz mahnte Simon immer wieder, dass er sich kurz halten solle, dass er Schachtelsätze vermeiden und klare Fragen formulieren möge. Voss schüttelte immer wieder mit dem Kopf. Und Simon tat es auch. Wohin sollte das führen?
Nach einer mehr als halbstündigen Beratung entschied Oberholz, dass dieser Verhandlungstag ohne ein Urteil zu Ende gehen würde. Wie, so fragte er, soll das Gericht über diesen Fall entscheiden, wenn sich schon die Wissenschaft nicht einig ist? Nun soll der kanadische Dopingforscher und Epo-Experte Jean-François Naud den Fall untersuchen und mit der Restmenge an Urin aus der Dopingprobe von Vuskovic, die tiefgefroren in Kreischa lagert, eine weitere Analyse auf körperfremdes Epo durchführen. „Es gibt noch ungeklärte Umstände und Fragen“, sagte Oberholz: „Wir wollen in sorgfältiger und gewohnter Tiefe aufklären.“
Die Verteidigung von Vuskovic prüft einen Antrag auf Befangenheit. Denn: Naud ist Teil einer Epo-Arbeitsgruppe und berät die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada). Acht Wissenschaftler zählen zu dieser Arbeitsgruppe: Ein anderer ist: Dr. Sven Voss, der Institutsleiter aus Kreischa. Eine andere: Dr. Yvette Dehnes, sie hat das Zweitgutachten im Fall Vuskovic erstellt. Kann Naud also unabhängig urteilen? Oberholz, der Vorsitzende des DFB-Sportgerichts ließ keinen Zweifel daran, dass er fest daran glaube.
Auch die Staatsanwaltschaft Hamburg ermittelt weiter gegen Vuskovic wegen des Verdachts auf einen Verstoß gegen das Anti-Doping-Gesetz. Bis zu einem Ergebnis können allerdings noch Monate vergehen, das teilte eine Sprecherin auf F.A.Z.-Anfrage mit. So sei beispielsweise die Auswertung eines Mobiltelefons von Vuskovic noch nicht abgeschlossen.