Reformen im Weltfußballverband : Angriff auf das Feigenblatt der Fifa
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Im Nebel: Die Fifa-Zentrale in Zürich Bild: AFP
Ein früherer UN-Sonderbeauftragter will seine Richtlinien im Fußballweltverband durchsetzen – es geht um die Menschenrechte. Wie reagieren Fifa-Funktionäre, denen es um persönliche Vorteile und Fünf-Sterne-Hotels geht?
Kurz vor der Weltmeisterschaft in Brasilien im Sommer 2014 hatte Joseph Blatter Post bekommen. Mary Robinson, die frühere irische Präsidentin und Hochkommissarin für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen, hatte dem Präsidenten des Internationalen Fußballverbandes Fifa geschrieben, und John Ruggie, 1944 in Graz geboren und seit 2005 UN-Sonderbeauftragter für Menschenrechte und transnationale Unternehmen. Robinson und Ruggie ging es um die Menschenrechtsverletzungen, die Sport-Megaevents wie eine Fußball-WM mit sich bringen – Zwangsräumungen in Brasilien, Russland 2018, Qatar 2022. Und um die Verantwortung der Fifa.
„Wir kriegten einen freundlichen Brief von Herrn Blatter zurück“, sagt Ruggie in einem Telefongespräch mit dieser Zeitung am Montag. Dann passierte nichts. Im August 2015, längst ermittelte die amerikanische Justiz in Sachen Fifa, längst hatte Skandalpräsident Blatter seinen Rücktritt angekündigt, bald schon sollte auch gegen ihn ermittelt werden, bekam Ruggie, Inhaber des „Berthold Beitz Lehrstuhls“ für Menschenrechte und internationale Angelegenheiten der „Kennedy School of Government“ der Harvard Universität, einen Anruf.
Aus Gesprächen wurden Verhandlungen
Aus Blatters Büro. Es ging um die Menschenrechte. Und die Fifa. Man kam ins Gespräch, aus Gesprächen wurden Verhandlungen. Am Montag wurde Ruggie, der Harvard-Professor, vom Weltverband präsentiert. Als der Mann, der Empfehlungen ausarbeiten soll, wie die Richtlinien der Vereinten Nationen zu Unternehmen und Menschenrechten in die Vertragsstrukturen der Fifa eingearbeitet werden können. Das ist bemerkenswert, aus zwei Gründen: Zum einen sind diese UN-Richtlinien, seit sie 2011 präsentiert wurden, auch als „Ruggie-Richtlinien“ bekannt. Er hat sie erarbeitet. Zum anderen geht es um Richtlinien, die sich an multinationale Unternehmen richten. Internationale Sportverbände als transnationale Multis? Wirtschaftlich ganz sicher – aber Selbstverständnis und Rechtsform zierten stets das Feigenblatt des Vereins nach Schweizer Recht.
Ein längst durchschauter Trick, auch für Ruggie. „Die Richtlinien sind unabhängig von der Rechtsform eines Unternehmens.“ Er verweist darauf, dass die OECD in einem von der Internationalen Gewerkschaft für Bauarbeiter angestrengten, die Lage der Arbeiter auf den qatarischen WM-Baustellen betreffenden Verfahren die Fifa längst als transnationales Unternehmen in diesem Sinne qualifiziert habe. Im Artikel „Qatar 2022: Drei Rana Plazas in Zeitlupe?“ aus dem vergangenen Jahr hatte Ruggie mit Bezug auf die Katastrophe in der bengalischen Sweatshop-Fabrik mit 1127 Toten vor zweieinhalb Jahren die Prognose, dass bis zum WM-Eröffnungsspiel 2022 mehr als 4000 Bauarbeiter ums Leben gekommen sein werden, übernommen. Er kritisierte die mangelnde Bereitschaft der Fifa, Verantwortung zu übernehmen.
Bis Ende März 2016 sollen sein Team und er nun ihren Bericht schreiben. „Die Verhandlungen von August bis jetzt haben länger gedauert, als die Zeit, die uns nun bleibt. Ich denke, wir werden im Januar eine Verlängerung anstreben.“ Untersucht werden alle relevanten Verträge und Vertragsverhältnisse. „Die Fifa ist ein ungewöhnliches Unternehmen“, sagt Ruggie. „In Zürich sitzen 400 Leute, aber es gibt Abertausende Verträge, mit denen sie ihr Geschäft, den Weltfußball organisieren. Es geht um die richtige Vertragssprache, die grundsätzlichen Anforderungen in Menschenrechtsfragen, die diese Verträge erfüllen müssen. „Es muss Strukturen geben, die tatsächliche und potentielle negative Auswirkungen auf Menschenrechtslage überprüfen, in allen Feldern, für die die Fifa verantwortlich ist oder zu denen sie durch Geschäftsbeziehungen Verbindung hat.“