
Der Sport und die Einheit : Viel zu viele schweigen – immer noch
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Die Flagge der DDR bei Olympischen Spielen Bild: Picture-Alliance
Gäbe es Stasi-Akten, die das Treiben von Wessis beschrieben, wäre die veröffentlichte Doping-Geschichte der Deutschen im Sport noch größer. Es waren Ossis, die den Mund aufmachten. Was könnte wichtiger sein?
Was ist aus der Chance geworden, die sich vor 30 Jahren ergab? Sportvereine, hüben wie drüben, ein Sportangebot, wie es kaum ein Land auf diesem Planeten zu bieten hat. Die Deutschen bewegen sich ständig und sie haben eine große Freude daran, Neues zu entwickeln. Nicht immer geschieht das zur Freude des organisierten Sports. Aber hier und da hat er die Subkulturen für sich entdeckt und längst Angebote an die kreative Jugend gemacht. Die so reiche Sportkultur in diesem Land könnte sich gewaltig entwickeln. Das ist so spannend wie erfreulich.
Im Breitensport gab und gibt es Freiheiten, die der Spitzensport seit der Wende in dieser Fülle nicht gewährte, die er zumindest nicht nutzte. Das lag an einem Missverständnis. Die politische Aufladung des Sports im Kalten Krieg ist von den Protagonisten in den Verbänden, von den Funktionären überwiegend genutzt worden, um eine gewaltige Förderung vom Staat zu erhalten, um ihr Machtspiel durchzusetzen. Sportler erschienen überwiegend unpolitisch oder sie taten alles, um so zu wirken, ob nun angepasste Diplomaten im Trainingsanzug der DDR oder Repräsentanten westdeutscher Olympiateams.
Eigentlich wollten sie nur rennen, laufen, springen, eigentlich wollten sie nur spielen. All die Manipulationen, das staatliche Zwangs-Doping-System der DDR, das subtile, systemische in Westdeutschland vollendeten die Industrialisierung des Sports. Er stieg auf im Ansehen der Gesellschaften und mit ihm der Athlet, Funktionär, Trainer, Arzt, Politiker. Aber als er Kinder mit Lügengeschichten verführte, als er Minderjährige vergiftete und junge Erwachsene zu Betrügern erzog, verlor er seine Seele. Das fiel im Glanz der Medaillen wenigen auf. Die meisten wollten es nicht hören. Die DDR schlug die BRD, das vereinigte Olympiateam im Winter 1992 die ganze Welt. Hurra.
Und wie ist den Verletzten geholfen worden? Aufklärungskommissionen drangen nicht durch zum Problem, die oft beschworene „Selbstreinigungskraft“ des Sports entpuppte sich als Propagandaspruch, als die schwächste im ganzen Sport-Geschäft. Als der Heidelberger Professor Werner Franke mit seiner Frau Brigitte Berendonk den Glanz in Ost und West kompromisslos wegwischte und die Abgründe unter der Goldschicht aufdeckte, erwachte der Widerstand. Weil mehr auf dem Spiel stand als die Entlarvung von Tätern. Nichts weniger als die Frage, ob Spitzensport human sein könne. Thomas Springstein, den die vereinte deutsche Trainergilde zum Coach des Jahres wählte, behauptete, das sei nicht möglich. Wie zynisch, wie falsch.
Es ist möglich, wenn zum Beispiel die Gedopten und die Doper Deutschlands den Mund aufmachten. Wenn sie aus Liebe zum Sport erzählten, was geschehen ist. Gäbe es Stasi-Akten, die das Treiben von Wessis beschrieben, dann wäre die veröffentlichte Doping-Geschichte der Deutschen noch größer. Viel zu viele schweigen. Es waren Ossis, die um ihr Recht kämpften, den Mut aufbrachten, sich in Doping-Prozessen noch einmal völlig zu entkleiden, bis sie Gehör fanden und über Doping-Opfer-Gesetze Anerkennung. Diffamiert wurden sie, verhöhnt. Weil sie die nackte Gewalt schildern, die im Spitzensport stecken kann, die Hölle in einem als Paradies ausgemalten Bild Olympias. In ihren Geschichten steckt die Kraft, es anders zu machen, Kinder vor einem Trauma zu schützen und den Sport vor der Fortsetzung seiner Aushöhlung. Was könnte wichtiger sein?