Probleme eines Zehnkämpfers : Wolff und der „Tiefpunkt“ auf dem Parkplatz
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Zurück nach einer Corona-Erkrankung: Jannis Wolff Bild: picture alliance / Foto: BEAUTIFUL SPORTS/Bernd Hof
Nach einer schweren Corona-Erkrankung meldet sich Zehnkämpfer Jannis Wolff zurück. Er will sich für die WM und die EM qualifizieren. Der frühere deutsche U-23-Meister hat eine harte Zeit hinter sich.
Seinen „sportlichen Tiefpunkt“ erlebte Jannis Wolff auf einem Parkplatz. Mitten im Winter 2020/21, bei Nässe und Schnee, schwitzte der damalige deutsche U-23-Meister im Zehnkampf beim Joggen auf Asphalt und Zirkeltraining auf feuchter Matte. Die Sportstätten waren für Nichtkaderathleten geschlossen, der Deutsche Leichtathletik-Verband erteilte dem um Hilfe Bittenden eine Absage. Die Förderung kam nach einem ersten Pandemiejahr weiterhin denjenigen zugute, die schon vorher die notwendigen Leistungen erbracht hatten.
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JETZT F+ LESENWollen und nicht können – das war ein harter Schlag für einen zielstrebigen Sportler, der gerade, als einer der Ersten seiner Zunft, die längeren Folgen einer Corona-Erkrankung zu spüren bekommen hatte und darauf brannte, wieder einzusteigen. Erst die Frankfurter Eintracht, zu der Wolff gerade aus Aachen gewechselt war, bei der er jedoch noch nicht üben konnte, weil er nach seinem Bachelorabschluss in Psychologie und Neurowissenschaften ein dreimonatiges Praktikum in Köln absolvierte, öffnete ihm Türen in Leverkusen.
Dem müden Körper fehlt Kraft
Ein Jahr später sitzt der 23-Jährige in der Kalbacher Leichtathletikhalle. Der Einstieg in die Saison, die unterm Dach mit den nationalen Titelkämpfen Ende des Monats enden soll, ist ihm bei den Hessenmeisterschaften gelungen. 13,70 Meter als Zweiter mit der Kugel und 7,09 Sekunden im Vorlauf über 60 Meter ohne Ambition auf die erreichte Finalteilnahme bedeuteten neue Bestleistungen. Nach einer harten Trainingsphase fehlte dem müden Körper die Kraft für größere Steigerungen.
Im Sommer soll es weitergehen, bis zu den Weltmeisterschaften in den Vereinigten Staaten (Eugene) oder den Heim-Europameisterschaften in München. 2021 hatte Wolff nach nur zweieinhalb Monaten Training bei Erfolgscoach Jürgen Sammert in Ratingen einen neuen persönlichen Rekord von 7.831 Punkten aufgestellt und war bei den deutschen Meisterschaften auf bestem Weg zum Titel und einem ersten 8000er gewesen, als der am Ende Drittplatzierte „über eine Hürde fiel“ und mit einem Bluterguss am Knie den Diskuswurf verpatzte.
Das Potential für mehr ist da. Am Trainingsfleiß soll die Entwicklung nicht scheitern. „Ich kann sehr viel geben, wenn mir etwas Spaß macht“, sagt Wolff, der als Kind Stunden vor kniffligen Aufgaben verbrachte. Der Mehrkampf ist seine Passion. Lange hatte es so ausgesehen, als sei der Sohn einer ehemaligen Siebenkämpferin nicht als Modellathlet geeignet.
Noch als 16-Jähriger war der heute 1,87 Meter große und 84 Kilo schwere Wolff ein schmächtiges Kerlchen, überall der Kleinste und bei den nordrhein-westfälischen Meisterschaften unter 25 Teilnehmern nur nicht Letzter, weil ein anderer an einer Station scheiterte. „Sollte ich deshalb in eine Sportart wechseln, auf die ich keine Lust hatte?“, fragt der frühere Fußballspieler rhetorisch.
Die Geduld wurde belohnt. 2018, nach gehörigem Schuss in die Höhe, errang Wolff als Landesmeister erstmals positive Aufmerksamkeit. Beim Meeting in Ratingen 2019 qualifizierte sich der Debütant für den Thorpe Cup, den Länderkampf der Deutschen gegen die USA. Am Main genießt der frühere Hobbysportler nun professionelle Bedingungen und kann nach seinem Bachelor in Maastricht an der Goethe-Universität an seinem Master arbeiten.
Die Corona-Erkrankung ist nur noch eine schlechte Erinnerung. Wolff, der vorher kaum mal erkältet war, wurde im November 2020 „ausgeknockt“, war wochenlang nicht belastbar und fing sich mit geschwächtem Immunsystem eine Magenschleimhautentzündung und einen Infekt im Ohr ein. Noch im Februar war nach 400 Metern Schluss mit der Ausdauer.
Jetzt, da er wieder topfit sei, soll nichts mehr den Aufwärtstrend bremsen. Auch nicht der Blick auf Zahlen. „Ich will alles aus mir rausholen“, kündigt Wolff an. „Wenn man sich an Marken orientiert, setzt man sich ein Limit nach oben.“ Solche Grenzen, weiß der studierte Psychologe, dürfe es im Kopf nicht geben.