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Paralympics : Eine Lebenskünstlerin reist sporttreibend um die Welt

  • -Aktualisiert am
Fünfzig und kein bißchen müde: Reinhild Möller (l.)

Fünfzig und kein bißchen müde: Reinhild Möller (l.) Bild: MARCO TACCA

Vor acht Jahren hatte Reinhild Möller genug vom Leistungssport. Die alpine Skirennläuferin entschied 1998, damals 42 Jahre alt, daß es nun genug sei. Doch es kam anders. In Turin stand die „Eine-Million-Mark-Frau“ wieder auf der Piste.

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          Auch so können paralympische Karrieren aussehen: Vor acht Jahren hatte Reinhild Möller genug vom Leistungssport. Die alpine Skirennläuferin entschied 1998 in Nagano, damals 42 Jahre alt, daß es nun genug sei mit der Zeithatz auf der Piste und dem Sammeln von Medaillen. Dreizehn goldene hatte sie in achtzehn Jahren gewonnen, das sollte reichen. „Ich dachte damals, das war's“, sagt sie. Eine Wendung, zumal viele Jahre und zwei Paralympics später, schien ausgeschlossen.

          Uwe Marx
          Redakteur in der Wirtschaft.

          Daß es anders kam, lag vor allem an Reinhild Möllers Hang zum Traditionsbruch. „Den konventionellen Weg bin ich selten gegangen“, sagt sie. „Ich bin immer meiner Intuition und dem Spaß gefolgt.“ Also kehrte sie im vergangenen Jahr zurück und qualifizierte sich früh - durch Platz drei im Weltcup - für Turin. Am Samstag gewann sie die erste deutsche Medaille: Silber in der Abfahrt - eine Überraschung, anders als das erste Gold dank des insgesamt elften Paralympics-Sieges von Abfahrer Gerd Schönfelder.

          „Bis nach Neuseeland Wellen geschlagen“

          Wer eine Ahnung davon bekommen will, wer hinter dieser auffälligen Sportlaufbahn steckt, muß nur nach ihrem Beruf fragen. Die Antwort: Sportler, Abenteurer, Lebenskünstler. Einmal war sie sogar die „Eine-Million-Mark-Frau“, wie sie sagt, was für eine Spitzensportlerin mit Behinderung eine ziemlich ungewöhnliche Bezeichnung ist. Geld und Sport, das kommt hier selten zusammen. In einer Zeit, als Behindertensport gemeinhin noch als Beschäftigungstherapie galt, war Reinhild Möller die erste, die damit genug Geld verdiente, um davon zu leben.

          Die Hessin aus Neuenstein, der ein Unterschenkel fehlt, fand Mitte der neunziger Jahre einen Förderer, der ihr - gestreckt über zehn Jahre - jene Million zahlen wollte. Daß der Hersteller von Fertighäusern und Textilien zwei Jahre später insolvent und der Vertrag gelöst wurde, kostete Reinhild Möller viel Geld, nicht aber die Reputation als Eisbrecherin. Daß eine Behindertensportlerin einen derart zahlungskräftigen und zahlungsbereiten Sponsor gewinnen konnte, war sogar dem „Wall Street Journal“ in New York einen größeren Bericht wert. „Die Sache hat bis nach Neuseeland Wellen geschlagen“, sagt sie. Selbst von dort gratulierten Spitzensportler mit Behinderung zum großen Deal.

          „Eine Katja Seizinger wäre nie gefragt worden“

          Nach dem frühzeitigen Ende der Verbindung hätte sie als Augenoptikerin oder in der Sportwissenschaft arbeiten können - das eine hat sie gelernt, das andere studiert. Sie entschied sich gegen beides: zu konventionell, zu traditionell. Daß sie immer wieder nach ihrem Beruf gefragt wird, stört sie bis heute: „Eine Katja Seizinger wäre nie gefragt worden, was sie eigentlich macht.“ Sie reiste weiter sporttreibend um die Welt, meist zwischen Amerika und Hessen pendelnd. Sie hatte bereits als Leichtathletin an zwei paralympischen Sommerspielen teilgenommen, dabei drei weitere Goldmedaillen gewonnen und mehrere Weltrekorde über 200 Meter aufgestellt.

          Durch Starts bei Weltcuprennen in den Vereinigten Staaten qualifizierte sie sich ganz nebenbei für die Mountainbike-Weltmeisterschaft der Nichtbehinderten. Davor hatte sie mit einer blinden Amerikanerin auf einer 5.000 Kilometer langen Radtour durch die Vereinigten Staaten für die WM der Behinderten in Colorado geworben. Heute lebt Reinhild Möller überwiegend am Lake Tahoe in Nevada. Sie ist verheiratet mit dem Behindertensportler Reed Robinson, mit dem sie seit Jahren - auch nach ihrem Rückzug - in einer amerikanischen Masters-Rennserie startet und Abenteuerreisen organisiert. Robinson startete in Sestriere in der Abfahrt nur wenige Minuten nach seiner Frau. Allerdings beendete er das Rennen weit abgeschlagen. „Ich weiß nicht, wie sie das macht“, sagte der Amerikaner.

          „Sehe die paralympische Bewegung mit Sorge“

          Daß sie im Piemont eine weitere Medaille gewinnt, glaubt Reinhild Möller indes nicht. „In den technischen Disziplinen haben Andrea Rothfuss und Theresa Kempfle bessere Chancen als ich“, sagt sie. Die beiden deutschen Nachwuchsfahrerinnen sind jeweils 34 Jahre jünger als sie. Daß sie bei aller sportlichen Zurückhaltung in Turin noch etwas erreichen will, hängt mit ihrer Skepsis wegen der jüngsten Entwicklung im Behindertensport zusammen. „Ich sehe die paralympische Bewegung mit Sorge“, sagt sie.

          Die Reduzierung auf drei Startklassen, die allgemeine Vereinfachung gehe auf Kosten des einzelnen und dessen individueller Behinderung, findet sie. „Manche Funktionäre und Sportler meinen, mit Nichtbehinderten gleichziehen zu müssen“, sagt sie. Wer das versuche, ende als bloße Imitation, so ihre Warnung. Diesmal also wäre ihr der traditionelle Weg lieber. Mit Karl Hermann Haack, dem neuen Präsidenten des Deutschen Behindertensportverbandes, will sie darüber reden. Allerdings ist unwahrscheinlich, daß ihr der Verband folgt.

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