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Russisches Eishockey-Team : Die „rote Maschine“ stottert

Auch zu zweit können Sergei Mozyakin (links) und Vyacheslav Voinov (rechts, beide Olympische Athleten Russlands) den Slowenen Patrik Lamper (Mitte) nicht stoppen. Bild: dpa

Der größte Fan schaut genau hin: Präsident Putins Hunger nach Gold ist groß. Aber die Sbornaja verliert ihr erstes Spiel gegen die Slowakei – trotz eines Magiers in der Coaching-Zone.

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          Fünfeinhalb Millionen Dollar sind eine Menge Geld. Pawel Dazjuk hat freiwillig darauf verzichtet. Ihm war nach vielen Jahren, in denen er in Nordamerika zum Großverdiener aufstieg, die Familie wichtiger als das Finanzielle. Er wolle, begründete er seine von sich aus initiierte Vertragsauflösung bei den Detroit Red Wings, fortan lieber wieder näher bei seiner Tochter aus erster Ehe leben, die in Jekaterinburg zu Hause ist. Dort, östlich des Urals, unternahm er einst beim Verein „Automobilist“ die ersten Schritte auf Schlittschuhen, die ihn weit in die westliche Welt hinausbrachten.

          Marc Heinrich
          Sportredakteur.

          Der Teenager sei „in einem Alter, in dem man den Vater öfter an der Seite braucht“, kommentierte er seine Rückkehr. Nach seinem Abschied aus der nordamerikanischen Eishockey-Profiliga (NHL) entschied sich der heute 39-Jährige auf seine alten Tage für ein Engagement bei SKA St. Petersburg, von wo aus er bei Bedarf mit dem Flugzeug in drei Stunden beim eigenen Kind sein kann. Derzeit beschränken sich die Kontakte der beiden allerdings aufs Telefonieren, denn der Papa hat einen Spezialauftrag angenommen: Er soll die Sbornaja zum ersten Olympiatriumph seit 1992 führen, als ein fast ausschließlich aus Russen gebildetes Team der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) in Albertville letztmals reüssierte. Das wird kein leichtes Unterfangen, wie der Mittwochabend zeigte: Beim 2:3 (2:2, 0:0, 0:1) gegen die Slowakei missglückte der Start gewaltig.

          Durch das Fernbleiben der NHL-Akteure werden die Karten bei den Winterspielen in Pyeongchang neu gemischt. Ohne ihre Unterstützer aus Übersee müssen die Kanadier um den Titel-Hattrick bangen. „Wir tragen eine große Verantwortung“, sagte der russische Trainer Oleg Znarok. „die Menschen bei uns wollen Gold. Wir wollen das auch.“ Der Coach besitzt eine deutsche Vergangenheit als Spieler in Landsberg, Freiburg sowie Heilbronn und wurde inthronisiert, nachdem die Mission, vor eigenem Publikum in Sotschi zum ersehnten Erfolg zu kommen, scheiterte.

          Er kopiert aktuell eine zu Sowjetzeiten zielführende Strategie der „roten Maschine“, gegen die zwischen 1956 und 1988 alle Gegner bei Olympia unter die Räder kamen. Znarok setzt auf Vereinsblöcke. Er nominierte acht Spieler von ZSKA Moskau und 15 aus St. Petersburg, wo er im Hauptjob auch Cheftrainer ist. Dazjuk ist als Kapitän sein verlängerter Arm auf dem Eis – und getrieben von der Sehnsucht, auch die letzte verbliebene Herausforderung in seiner Karriere zu bewältigen.

          Edelmetall in allen drei Farben sprang für ihn bei Weltmeisterschaften schon raus, er hielt mit den Red Wings zweimal den Stanley Cup in den Händen (2002 und 2008) und wurde neben unzähligen anderen Auszeichnungen auch zum NHL-All-Star gewählt. In Südkorea will er die glänzende Sammlung vervollständigen. Das erwartet einer seiner größten Fans ebenfalls: Wladimir Putin. Der Staatspräsident giert nach prestigeträchtigen Siegen, durch die sein Land auch das Selbstverständnis einer Sport-Supermacht zurückerhalten soll. Das gilt umso mehr, seitdem das Internationale Olympische Komitee beschloss, wegen des staatlich orchestrierten Doping-Vertuschungssystems bei den Spielen in Sotschi die Russen diesmal nur unter neutraler Flagge und als „Olympische Athleten aus Russland“ starten zu lassen.

          Putin inszeniert sich seit langem als eishockeybegeisterter Volkstribun, schlüpft bei Benefizpartien in die Montur und erzielt dabei, welch Zufall, oft die meisten Treffer. Damit im Hockey Center von Gangneung alles nach Plan laufen kann, legte die heimische Kontinental Hockey League, deren Treiben durch die Investitionen von Staatsbetrieben oder von Putin wohlgesonnenen Oligarchen finanziert wird, eine vierwöchige Spielpause ein.

          „Wir sind nicht zum Reden hier“

          Dazjuk zeigte bei der Einstimmung, dass er fokussiert an die Sache herangeht: „Wir sind nicht zum Reden hier“, lautete der erste Teil seines einzigen Statements vor der Begegnung mit der Auswahl der Slowakei. Und er fügte an: „Es kommt darauf an, dass wir unsere Arbeit gut machen.“ Viele Eishockey-Freunde schätzen an Dazjuk, dass er sich in den Vereinigten Staaten durchsetzte, ohne seine eigene Spielidentität aufzugeben. In der NHL trug er 14 Jahre lang ausschließlich das Trikot der Red Wings.

          Seine Kontrolle, mit der er die Scheibe gegen beinharte Verteidiger zu behaupten imstande ist, seine Fähigkeit, sie mit Körpertäuschungen ins Leere laufen zu lassen und bei allem Drang zum Torabschluss die eigene Defensive nie aus den Augen zu verlieren, brachten ihm den Beinamen „Magic Man“ ein. Der Center kann mit der schwarzen Hartgummischeibe Dinge anstellen, die sich scheinbar nur mit Zauberkunst erklären lassen.

          Sein Landsmann Igor Larionow, selbst Mitglied der „Hall of Fame“, nannte Dazjuk in einer Publikation, die den Titel „Das schöne Spiel“ trägt, einen idealen Wegbereiter für all die unzähligen jungen russischen Talente, die wie Dazjuk das Glück im Land der unbegrenzten Möglichkeiten suchten. Er habe ihnen vorgemacht, dass der alte, sowjetische Kerngedanke des Eishockeys nach wie vor seine Berechtigung habe: „Es geht nicht darum, wie schnell du läufst, sondern wie schnell du denkst.“ Zum Auftakt gegen die sich tapfer wehrenden Außenseiter aus der Slowakei klappte beides noch nicht wirklich überzeugend. Bei der unerwarteten Niederlage gegen den Weltranglistenelften war auch dem Magier anzumerken, dass selbst er hin und wieder eben doch nur ein Mensch ist. Gegen Slowenien muss die „rote Maschine“ am Freitag (8.40 Uhr MEZ im F.A.Z.-Liveticker zu Olympia und bei Eurosport) nun beweisen, dass sie tatsächlich reibungslos laufen kann.

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