Deutsches Biathlon-Team : „Der beste Trainer der Welt“
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Der Mann hinter dem Erfolg: Mark Kirchner. Bild: dpa
Mark Kirchner wirkt bisweilen mürrisch. Doch die Biathleten sind von ihm begeistert. Und er hat in den vergangenen acht Jahren die großen vier entwickelt und jeden von ihnen zum Weltmeister gemacht.
Er kann schon Gefühle zeigen, seine Emotionen rauslassen. Die Hände im Triumph ballen, Freudensprünge vollführen, inbrünstig die Nationalhymne schmettern – aber wenn Mark Kirchner während seiner Arbeit Tränen in den Augen hat, dann ist das so ungefähr die höchste Auszeichnung, die einem seiner „Jungs“ zuteilwerden kann. „Mehr kann man als Sportler nicht von ihm kriegen“, sagt Biathlet Erik Lesser über seinen Bundestrainer, der zugleich sein Heimtrainer ist. Darum hat Arnd Peiffer nach seiner Goldmedaille im Sprint auch ungläubig gefragt: „Hatte der Mark wirklich Tränen in den Augen?“ Ja, hatte er. In dem Moment wird Peiffer die Größe seiner Tat erst richtig bewusst geworden sein.
Sie haben hier in Pyeongchang schon mehr Edelmetall geholt als erwartet, die deutschen Biathleten, zuletzt Simon Schempp Silber im Massenstart. In der Mixed-Staffel an diesem Dienstag (12.15 Uhr MEZ im F.A.Z. Liveticker zu den Winterspielen und bei Eurosport) könnte das nächste folgen, wo die Deutschen mit Vanessa Hinz, Laura Dahlmeier, Erik Lesser und nach dem kurzfristigen krankheistbedingte Ausfall von Schempp mit Schlussläufer Peiffer antreten.
Die Erfolge bescheren Kirchner einen seiner ungeliebten öffentlichen Auftritte. Weil er der Mann hinter den Erfolgen ist. Im Deutschen Haus gibt sich der 47 Jahre alte Thüringer gelassen, verbindlich, und vielleicht genießt er mit bislang drei Medaillen im Rücken sogar das schöne Gefühl, es allen Skeptikern und Kritikern mal wieder gezeigt zu haben.
Den Erfolg erklärt er mit der Entwicklung über viele Jahre, mit der Lockerheit, dem Selbstvertrauen, das durch Erfolge entsteht. „Die wissen, dass sie sich nicht zu verstecken brauchen. Das ist das Wichtigste, was wir uns erarbeitet haben.“ Und natürlich habe ihnen dieser Türöffner, das frühe Gold von Peiffer, in die Karten gespielt. „Dann läuft vieles einfacher.“ Auch für ihn. Ansonsten wirkt Kirchner oft stoisch bis mürrisch, wenn er am Schießstand steht, seine Athleten im Auge, im Rücken die Journalisten. Kirchner errichtet oft eine imaginäre Mauer um sich, an der alles abprallt. Auch nach dem Wettkampf kann es sein, dass er in aller Seelenruhe seine Sachen zusammenpackt und die da hinter ihm erst mal ordentlich zappeln lässt.
Und wenn er sich dann umdreht, kommt es bisweilen vor, dass Kirchner ziemlich schnippisch bis unwirsch werden kann, wenn diese Laien mal wieder die falschen Fragen stellen. Was in dieser Saison ja oft genug passiert ist, weil die deutschen Skijäger eben lange Zeit am Schießstand so ihre Probleme hatten. Dann wirft er mühsam beherrscht die Gebetsmühle an, erinnert daran, wie dicht die Spitze im Männer-Biathlon ist, dass dreißig Athleten aufs Podium laufen können und dass deutsche Erfolge keine Selbstverständlichkeit sind. Womit er ja recht hat. Es gibt aber Momente, da merkt man, dass es noch einen anderen Kirchner gibt. Dann lässt er seinem trockenen Humor freien Lauf, scherzt und lacht, dass man glaubt, man habe ein Double vor sich.
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Mehr erfahrenNein, ein Medienmensch ist Kirchner wirklich nicht. Er macht sich rar, wo er nur kann. Sein Privatleben geht keinen etwas an, und den Platz in der Öffentlichkeit überlässt er lieber seinen Athleten. Die lieben ihn geradezu. Der Stützpunkt Oberhof ist mittlerweile in vielen Disziplinen ziemlich ausgedünnt, aber der Name Kirchner zieht wie ein Magnet. Peiffer ist nicht von Clausthal-Zellerfeld nach Oberhof gezogen, weil es im Thüringer Wald so schön ist, Benedikt Doll verbringt nicht Monate am Rennsteig, weil er seines geliebten Schwarzwaldes überdrüssig wäre. Sie sind wegen Kirchner gekommen. Den sie schätzen – nicht nur als Trainer, sondern auch als Mensch.
„Der Mark ist für mich der beste Trainer der Welt“, sagt auch Lesser. Weil Kirchner, der in seiner aktiven Zeit bei Olympischen Spielen dreimal Gold plus einmal Silber sowie bei Weltmeisterschaften sieben Titel gewonnen hat, auch mit 47 Jahren immer noch nahe dran ist am Athleten und weil er nahezu jede Situation am Schießstand und auf der Strecke aus eigener Anschauung kennt. Und er ist kein Diktator, sondern führt seine Athleten an der langen Leine. Natürlich gibt Kirchner den Rahmen vor, aber viele Trainingsinhalte werden im Gespräch gemeinsam entwickelt, und jeder Athlet hat seine Freiräume.
Und als Motivator ist Kirchner auch nicht zu verachten. So wie bei Peiffer vor seinem Olympiasieg, als dem lauter Missgeschicke passiert waren. Und jedes verwandelte Kirchner in ein gutes Omen. Oder wie 2017, als er Doll, der in der ganzen Saison am Schießstand nichts zuwege gebracht hatte, mit auf den Weg zum WM-Sprint gab: „Benny, du schießt heute null.“ Was der prompt tat – und Weltmeister wurde. „Ja, der Mark hat immer an mich geglaubt“, sagt Doll.
In Sachen Trainingssteuerung liegt Kirchner schon seit Jahren richtig, denn pünktlich zum Saisonhöhepunkt sind seine Männer fit, egal wie holprig die Saison vorher verlaufen ist. Seit er Mitte 2010 die Position des Bundestrainers von seinem Thüringer Landsmann Frank Ullrich übernahm, sind seine Biathleten von keinem Großereignis ohne Edelmetall zurückgekehrt – Tendenz steigend. Und er hat in diesen acht Jahren die großen vier entwickelt und jeden von ihnen zum Weltmeister gemacht: Peiffer 2011 in Chanty-Mansijsk, Lesser 2015 in Kontiolahti, Doll und Schempp 2017 in Hochfilzen. Darauf ist er stolz. Jetzt hat er mit Peiffer sogar einen Olympiasieger in seinen Reihen. Das ist eine beeindruckende Bilanz. So wie es ausschaut, hätte Kirchner durchaus Lust, sie weiter auszubauen. „Ich gehe davon aus, dass die Jungs noch mal vier Jahre in Angriff nehmen wollen“, sagt er. „Und wenn sie mich noch brauchen, mache ich auch noch ein bisschen mit.“ Seine Athleten werden begeistert sein.