Schwimmerin Lydia Jacoby : Teenager aus Alaska schockt die Alten
- -Aktualisiert am
Die Wasser sind tief, die Medaille ist golden: Lydia Jacoby nach ihrem Olympia-Sieg Bild: AFP
Mit 17 ändert sich alles: Lydia Jacoby, die erste Schwimmerin aus Alaska, die je in einem olympischen Finale geschwommen ist, überrascht mit Olympiasieg über 100 Meter Brust.
Die Bartlett High School in Anchorage, Alaska, sucht Gönner. Wer sich berufen fühlt, der Schule bei der Beschaffung neuer Startblöcke behilflich zu sein, findet die Internetspendenaktion über den Suchdienst des eigenen Vertrauens. Die Startblöcke der Bartlett High jedenfalls stammen aus den Achtzigerjahren und sind inzwischen baufällig, wie es in dem erwähnten Spendenaufruf heißt.
Und sie stehen, jetzt kommen wir zum Alleinstellungsmerkmal, in der Schwimmhalle. Der einzigen Schwimmhalle im großen, weiten Alaska, die eine 50-Meter-Bahn hat. Was insoweit etwas weniger verwunderlich ist, als es klingt, als dass Schulpools in den Vereinigten Staaten weithin nach der dort verkehrsüblichen Längeneinheit bemessen sind und mithin nach 25 oder 50 Yards enden. Nicht schlimm, ist das Training schneller vorbei. Es sei denn, und nun wird es auch für die Spendenkampagne interessant, man hat schon als Schülerin im High-School-Alter olympische Ambitionen. Dann macht sich so ein Schwimmbecken von olympischer Größenordnung beziehungsweise kontinentaleuropäischem Metermaß schon ganz gut. Zum Beispiel für Lydia Jacoby aus dem kleinen Städtchen Seward am Nordstrand der Resurrection Bay.
Weil Lydia Jacoby, inzwischen 17 Jahre alt, schon in jungem Alter Ambitionen hatte, große, olympische Ambitionen und großes Glück, fuhr sie für das Training von Seward zur Bartlett High am Golden Bear Drive in Anchorage, in die Schwimmhalle mit den maroden Startblöcken. 130 Meilen hin, 130 Meilen zurück. Zweieinhalb Stunden ein Weg. Großes Glück, wie gesagt, 130 Meilen sind kein Weg, Alaska ist groß, größer als manche olympische Ambition jedenfalls. Und was hat Lydia Jacoby von ihrem Glück und ihren Ambitionen?
Eine olympische Goldmedaille. Am Dienstag verblüffte die erste Schwimmerin aus Alaska, die je in einem olympischen Finale geschwommen ist, alle Gegnerinnen über 100 Meter Brust. Die Favoritin Lilly King aus Evansville, Indiana, Olympiasiegerin von Rio de Janeiro 2016, Weltmeisterin 2017 und 2019. Tatjana Schoenmaker aus Johannesburg, Südafrika, die alle für Kings große Herausforderin gehalten hatten und die tatsächlich vor ihr blieb: aber eben nur die Silbermedaille gewann, weil Lydia Jacoby vom Nordende der Resurrection Bay noch schneller schwamm.
Dort, in Seward, wo der Dienstag noch längst nicht begonnen hatte, an dem Lydia Jacoby Olympiasiegerin wurde, sondern ein Sommerabend in den nördlichen Breiten nicht dunkel wurde, sahen die örtlichen Teenager das Rennen auf einer Leinwand. Und flippten aus. Auf einem Video, das über den Account von „Alaska News Source“ getwittert wurde, ist eine ziemlich hüpfende, ziemlich schreiende Masse Schüler zu sehen, die klang, als schaute sie bei einem High-School-Wettkampf zu, zum Beispiel in einem 50-Yards-Pool.
Lydia Jacoby ist seit Dienstag die erfolgreichste Schwimmerin einer ganzen Welle von Teenagern, die in Tokio durchs Wasser toben. Da ist die 14 Jahre alte Kandierin Summer McIntosh, Vierte über 400 Meter Freistil, der 16 Jahre alte Rumäne David Popovici, Vierter über 200 Meter Freistil, da sind etliche mehr. Lilly King und Tatjana Schoenmaker, beispielsweise, wirken geradezu alt. Beide sind – vor der Jahrtausendwende geboren, inzwischen 24.
„Ich bin bei Wettkämpfen geschwommen, seit ich, ungefähr, s-s-ssechs bin“, sagte die Olympiasiegerin Jacoby, nach ihrer Schwimmvita gefragt, und es klang, als sei das nun wirklich sehr, sehr lange her. Alles eine Frage der Definition. Es war 2010, als Jacoby das erste Mal für den Schwimmverein antrat, in den ihre Eltern sie gesteckt hatten. „Wir haben ein Segelboot, sie wollten, dass ich im Wasser sicher bin.“ Das Wasser ist tief in der Resurrection Bay. Mit, ungefähr, zwölf habe sie dann das erste Mal einen Landesrekord aufgestellt. Da, es muss im Jahr 2016 gewesen sein, sei ihr irgendwie klargeworden, dass Schwimmen etwas ist, „bei dem ich hervorsteche und dass ich das weiter machen will“. Was auch 2016 passierte: Sie sah Lilly King Olympiasiegerin werden. „Sie war mein Vorbild. In Rio, äh, ich war zwölf. Ich war echt klein. Ich habe ihr zugeschaut.“ Und dann ging es eben weiter.
Die Familie Jacoby hatte Pläne, Reisepläne, für Tokio. Sie wollte zu den Spielen 2020. Weil sich die Tochter das schon mal anschauen wollte, wie es so ist bei Olympia. Als Zuschauerin. „Ich wollte schon bei den Trials starten, aber ich wusste, dass ich keine Chance haben würde, ins Team zu kommen.“ Und dann kam die Pandemie. Und die Absage. Und die Autofahrten an den Golden Bear Drive, zum Pool mit den maroden Startblocks.
Und wie es so ist im Leben eines Teenagers, schnell war ein Jahr vergangen und die Welt ganz anders. Immer noch Pandemie, aber eben mit Olympia. Und mit Lydia Jacoby in Tokio. Nicht als Touristin, sondern im Team. Olympiasiegerin mit 17. Wenn sie nach Hause kommt, steht noch ein Jahr High School an. Danach zieht Lydia Jacoby weg aus Alaska, ans College. In einem Bundesstaat, wo, auch das ist selbstverständlich Ansichtssache, aber in ihrem Fall klar, alles eine Nummer kleiner ist. Lydia Jacoby geht nach Texas.