Olympia und Coronavirus : „Druck, Stress, Angst“
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Als sei das Weltproblem in Sendai nicht angekommen: Die olympische Flamme als Fotogelegenheit für die Massen. Bild: AFP
In Japan laufen Massen zusammen, als das olympische Feuer eintrifft. In Amerika sprechen sich fast drei Viertel von 300 Athleten für eine Verschiebung der Spiele aus. Das IOC reagiert und setzt sich selbst eine Frist.
Als hänge die Welt nicht am Tropf: Das olympische Feuer ist in Japan gelandet und dient wohl als Flämmchen der Hoffnung, das Coronavirus doch noch rechtzeitig vor Beginn der Sommerspiele am 24. Juli vertreiben zu können. Wie zum Trotz versammelten sich am Samstag offiziellen Angaben zufolge 50.000 Japaner, um einen Blick erhaschen zu können. Am Bahnhof Sendai in der Präfektur Miyagi präsentierten die Organisatoren die Flamme. Die Warteschlange soll 500 Meter lang gewesen sein. Viele Besucher trugen Mundschutzmasken, sie harrten angeblich Stunden aus.
Da kam der Hinweis der Behörden ein bisschen spät, in Zukunft vielleicht auf Massenaufläufe, gar auf den Fackellauf vom 26. März an verzichten zu wollen, um die Ansteckungsgefahr zu vermindern. Spätestens das Bild von der großen Versammlung in Japan wird die Gruppe der verschreckten Olympiakandidaten bestärken: Ist denn das Weltproblem beim Ausrichter der Sommerspiele in Japan noch nicht angekommen?
Die Ungewissheit, das Beharren des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) und des japanischen Organisationskomitees auf den Zeitplan hat in den vergangenen Tagen die Verschwiegenheit des Weltsports aufgebrochen. Die IOC-Exekutive wurde am Sonntagnachmittag am Telefon zusammengeschaltet. Man gebe sich eine Frist von vier Wochen zur Entscheidung. Eine Absage werde ausgeschlossen, verkündete das IOC später am Abend. Der Druck ist immens: Nach und nach formulieren Athleten wie Verbände ihre Sorgen. Der organisierte norwegische Sport ist nicht mehr bereit, sein Olympiateam vor Ende der Epidemie nach Japan zu schicken.
Absage, Verschiebung oder weiter so?
Das brasilianische wie das slowenische Nationale Olympische Komitee fordern eine Verschiebung der Spiele. Das sehen auch die Leichtathletik-Verbände der Vereinigten Staaten, Englands, Spaniens und Deutschlands so. Der amerikanische Schwimmverband forderte das Paralympische und Olympische Komitee der Vereinigten Staaten (USPOC) auf, eine schnelle Entscheidung durchzusetzen, Olympia 2021 stattfinden zu lassen. „Unsere Athleten stehen unter enormem Druck, Stress, und sie haben Angst“, heißt es in einem Schreiben von Tim Hinchey, dem Verbandspräsidenten, an das USPOC. Fast drei Viertel von dreihundert Athleten stimmten am Samstag bei einer virtuellen Konferenz des USPOC für eine Verschiebung der Spiele. Das schreibt die „USA Today“.
IOC-Präsident Thomas Bach hielt am Plan fest und stellte die Austragung der Olympischen und auch der Paralympischen Spiele in diesem Jahr nicht (öffentlich) in Frage: „Die Absage würde den olympischen Traum von 11.000 Athleten aus 206 Nationalen Olympischen Komitees und dem IOC-Flüchtlingsteam zerstören“, sagte Bach noch in einem am Samstag im SWR gesendeten Interview, und behauptete: „Eine solche Absage wäre die am wenigsten faire Lösung.“ Was er damit meinte, wurde nicht ersichtlich. Chancengleichheit, die es selten gab, würde diesmal nicht herrschen.
Nur Zyniker behaupten, der Zusammenbruch des Anti-Doping-Kontroll-Systems schaffe gleiche Grundvoraussetzungen. Bach erhielt aber öffentlich Unterstützung. Von Lord Coe, dem Präsidenten des Welt-Leichtathletik-Verbands, vom USPOC und aus Afrika. „Alle afrikanischen Olympischen Komitees unterstützen den Antrag, mit den Spielen fortzufahren“, sagte Abner Xoagub, Präsident des Nationalen Olympischen Komitees von Namibia (NNOC), laut der dpa. In Afrika wütet das Virus noch nicht. Und in Afrika gelten die Verbände als besonders abhängig von den Einkünften des IOC.
Thomas Weikert, Deutschlands einziger Präsident eines Internationalen Sportverbandes (Tischtennis) von weltweiter Bedeutung, bittet deshalb um die Betrachtung des gesamten Komplexes: „Ich sage ganz klar: Eventuelle finanzielle Auswirkungen haben natürlich nichts damit zu tun, dass man absagen muss, wenn es sein muss“, sagte der Rechtsanwalt aus Limburg dieser Zeitung: „Es ist möglich, dass die Spiele verschoben werden. Es ist möglich und vielleicht notwendig, sich dazu möglichst bald zu positionieren, aber mit Ruhe und Augenmaß. Die Gesundheit, die Leistungsfähigkeit und die Gleichbehandlung aller Athleten haben oberste Priorität. Aber es gibt auch andere Aspekte, die man in Ruhe bewerten und abwägen muss. Es nützt niemandem, wenn man durch Hauruck-Aktionen Fehler macht, die (auch) große finanzielle Auswirkungen haben.“
Nach Weikerts Angaben erhält der Internationale Tischtennis-Verband (ITTF) 18 Millionen US-Dollar, umgerechnet 16,7 Millionen Euro, vom IOC für den Zeitraum einer Olympiade, also für vier Jahre, insofern Spiele stattgefunden haben: „Versichert sind knapp ein Viertel, das heißt etwa 3,7 Millionen Euro. Mehr kann man nach den aktuellen Versicherungsbedingungen nicht versichern.“ Eine Absage würde die ITTF hart treffen, aber es sei nicht überlebenswichtig. „Wir kommen irgendwie damit zurecht, wir müssen dann unsere Sportentwicklung sehr zurückfahren, und darunter würden die Entwicklungsländer im Tischtennis leiden, denn wir würden viel weniger finanzieren können.“ Andere Verbände, fügt Weikert hinzu, träfe es viel härter.