Kugelstoßer David Storl : „Mit Zauberei hat das nichts zu tun“
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Starker Kerl: David Storl will bei Olympia in Rio eine Medaille holen. Bild: dpa
Als „Katastrophe“ bezeichnet David Storl die vorolympische Saison. Der Kugelstoßer litt unter massiven Knieproblemen. Rechtzeitig vor den Spielen in Rio aber hat Storl etwas entdeckt, das ihm hilft.
Die Zufriedenheit über den Zustand des linken Knies ist David Storl jederzeit anzumerken: „Ich habe keine Schmerzen mehr“, sagt der Doppelweltmeister im Kugelstoßen und fügt an: „Das Knie tut auch nicht mehr weh, wenn ich am Morgen nach einer harten Einheit aufstehe.“ Die chronische Entzündung in der linken Patellaspitze hatte ihn seit langem geplagt, am schlimmsten war es im Jahr 2015. Die Operation im September 2014 hatte nichts verbessert.
Als „Katastrophe“ bezeichnet der 25 Jahre alte Schwerathlet die vorolympische Saison: „Ich war froh, als sie vorbei war. Auch mein Trainer Sven Lang war an dem Punkt, dass er gemerkt hat, dass es so nicht mehr geht.“ Nur unter Schmerzen oder mit Schmerzmitteln konnte Storl die 7,25 Kilogramm schwere Eisenkugel stoßen.
Hilfe kam unverhofft - vom Chef-Bundestrainer des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, Idriss Gonschinska. Gonschinska hatte über Stabhochsprung-Bundestrainer Jörn Elberding von einem Neuro-Athletiktrainer gehört, Lars Lienhard. Der 44 Jahre alte Bonner arbeitete schon mit einigen verletzten Profifußballern zusammen, die später in Rio Weltmeister wurden. Doch im Fußball fehlt ihm die Offenheit für seine Methoden. In der Leichtathletik hat er sie gefunden.
Im Februar begann David Storl mit Lienhard zu trainieren. Da hatte der 120 Kilogramm schwere Leipziger einen Besuch in München und Behandlungen bei Dr. Müller-Wohlfarth schon hinter sich; er bezeichnet sie als „gute Grundlage“ des weiteren Vorgehens. Der Durchbruch kam an anderer Stelle. Storl erinnert sich gut an das Südtiroler Trainingslager in Laatsch im April: „Wir hatten gleich einen Draht zueinander, weil Lienhard etwas sehr Motivierendes hat. Ich habe mich auf seine Übungen eingelassen und fast sofort gemerkt, dass meine Beschwerden nachließen.“ Einer der Ansätze Lienhards ist es, weniger im Kraftraum und mehr über die sportartspezifische Bewegungssteuerung zu trainieren.
„Ich aktiviere wieder die richtigen Nervenbahnen“
In Storls Fall heißt das, nach einer verbesserten neuronalen Ansteuerung qualitativ gute Stöße ohne Schmerzen zu üben, anstatt in der „Folterkammer“ noch mehr Gewichte draufzulegen - eine Disziplin, in der Storl ohnehin nicht mit der schwereren und stärkeren Konkurrenz mithalten will und kann. Seine Waffe ist die saubere Technik. Lienhard sagt: „Wir machen neuronal gesteuertes Athletiktraining, das die Anforderungen der jeweiligen Disziplin berücksichtigt. Das Gehirn und das Nervensystem sind die zentralen Elemente der Bewegungssteuerung. Beides muss ins Training einbezogen werden, um Schmerzen zu lösen, Reserven auszuschöpfen und Verletzungen vorzubeugen.“
Storl brachte die nötige Offenheit mit. „Ich habe ihm vertraut und hatte schon nach den ersten Übungen wieder ein besseres Gefühl im Knie“, sagt der Bundespolizist. „Was mir Probleme bereitet hat, war klar: Der Körper geht in Schonhaltung. Das ist ein natürlicher Schutz. Ich habe mein linkes Knie geschont und das rechte mehr belastet. Die Arbeit mit Lienhard macht, dass die Ansteuerung der Bewegung über das Gehirn wieder die richtige ist. Ich aktiviere wieder die richtigen Nervenbahnen und stoße ausgewogen.“ Viele Übungen bei Lienhard werden über „richtiges Sehen“ gemacht, also ein Training der Augen. Dazu setzt er seinen Athleten schon mal eine Augenklappe auf.
Grundsätzlich habe er ein gutes Körpergefühl, berichtet Storl. Je schlimmer der Zustand im linken Knie jedoch wurde, desto mehr neigte er dazu, in seinen Körper und das Gelenk hineinzuhorchen: „So wäre es ohne das Neuro-Athletik-Training geblieben. Ich hätte in Rio unter Schmerzen versucht, die Goldmedaille zu holen, dabei aber mehr an das zu schützende Knie als an den Stoß gedacht. Danach hätte es garantiert eine längere Pause gegeben. Jetzt bin ich schmerzfrei und habe die Sicherheit, dass es so bleibt. Außerdem kann ich in viel höherer Qualität trainieren. Ich habe eine höhere Bereitstellungsfähigkeit im Muskel und beim Stoßen ein besseres Gefühl von Kraftentfaltung.“
Immer mal wieder schaltet Lienhard sich auf dem Weg nach Rio ein, im Trainingslager in Kienbaum oder per Skype. Storl sagt: „Seine Übungen ergänzen mein Training. Mit Zauberei hat das nichts zu tun. Es ist handfeste Kugelstoßarbeit, die sehr anstrengend für Körper und Kopf ist.“ Storl betont, die Zusammenarbeit zwischen seinem erfahrenen Heimtrainer Sven Lang und Lienhard sei sehr gut.
„Ich habe mir früher nie die Ruhe gegeben“
Dass er am vergangenen Wochenende in Amsterdam mit 21,31 Metern Europameister wurde, hat ihn nicht überrascht. Ähnliches berichtet sein weibliches Pendant Christina Schwanitz. Ebenfalls ein Schützling Sven Langs, trainiert auch die Sportlerin des Jahres 2015 bei Lienhard. Bei ihr schmerzte die rechte Schulter. Durch ähnlich sportartspezifische Übungen wie bei Storl brachte Lienhard auch die 30 Jahre alte Dresdenerin zur Schmerzfreiheit. Beide gewannen zunächst die deutsche Meisterschaft, dann die EM.
Storl sagt: „Ich habe mir früher nie die Ruhe gegeben, mal etwas auszukurieren, weil ich so ehrgeizig bin. Dafür hätte ich beinahe bezahlt. Jetzt tut es einfach gut, sagen zu können: Ich habe keine Schmerzen mehr in dem Knie. Schließlich gibt es ja auch ein Leben nach der Karriere.“