Olympia in Rio : Vier Reiter für die Ukraine
- -Aktualisiert am
Eigentlich ein Deutscher, nun im Dienste der Ukraine: René Tebbel aus dem Emsland Bild: dpa
Obwohl der ukrainische Reitsport-Oligarch Onischenko in Schwierigkeiten ist, startet sein Team bei Olympia in Rio – allerdings ohne Ukrainer. Davon profitiert wieder einmal ein alter Bekannter aus Deutschland.
Man mag sich fragen: Hat die Ukraine nicht andere Sorgen, als eine Mannschaft von Springreitern mit Pferden auszustatten und zu den Olympischen Spielen zu schicken? Ja, hat sie. Und trotzdem startet eine ukrainische Equipe in Rio. Die Mannschaft, die dort die Parcours in Angriff nehmen wird, verbindet aber auch herzlich wenig mit dem zerrissenen Land, dessen Emblem ihre Satteldecken ziert. Gebürtige Ukrainer sind gar nicht dabei, es handelt sich um ein Legionärs-Quartett.
Zwei Deutsche werden dazugehören, die im eigenen Land keine Chance mehr hatten, nominiert zu werden, und sich vom ukrainischen Oligarchen Alexander Romanowitsch Onischenko anwerben ließen: der 47 Jahre alte einstige Nationenpreisreiter René Tebbel. Und der 49 Jahre alte Doppel-Olympiasieger von 1996 in Atlanta, Ulrich Kirchhoff. Dazu der gebürtige Brasilianer Cassio Rivetti und der gebürtige Ungar Ferenc Szentirmai.
Onischenko in Schwierigkeiten
Der einzige original ukrainische Reiter im Team war bisher Onischenko selbst, doch die Zeiten, als der Big Spender, seit 2002 Präsident der Ukrainischen Reiterlichen Vereinigung, sich selbst für die großen Ereignisse nominierte und damit die Gesamtleistung des Teams verdarb, sind vorbei. Onischenko ist in Schwierigkeiten. Die Nachrichten sind vage, offenbar wurde seine Immunität als Parlamentarier in Kiew aufgehoben, es wird wegen Korruption gegen ihn ermittelt, seine Konten scheinen gesperrt zu sein, und er hat sein Land verlassen. Nach zehn Jahren, in denen er als Groß-Einkäufer der Branche seine Equipe mit Pferden und Reitern bestückte und immer wieder die Qualifikation zu den Top-Ereignissen schaffte, scheint seine gekaufte Reiter-Karriere beendet.
Die vier Ukraine-Legionäre sind jetzt also herrenlos. Und trotzdem ist ihr Start in Rio nicht gefährdet, denn die traditionellen Gesetzmäßigkeiten des Springreitens gelten weiter. Erstens gibt es dort nur einen einzigen Treibstoff, der alles bewegt, und das ist das Geld. Und zweitens profitiert, was auch immer in dieser Branche geschieht, am Ende so gut wie immer einer davon. Und zwar wer? Paul Schockemöhle natürlich.
Der dreifache Europameister und Geschäftsmann aus Mühlen hat offenbar gerade noch rechtzeitig 44 Pferde aus Onischenkos Besitz gekauft. Darunter sind echte Cracks, für die der Ukrainer zuvor Millionen ausgegeben hat. Und Schockemöhle ist es nun auch, der dafür sorgt, dass die vier Reiter nicht zu Hause bleiben müssen, denn er kennt die Regeln des Weltverbandes genau. Schließlich war er schon Trainer verschiedenster Nationen, bei diesen seinen elften Olympischen Spielen wird er zum Beispiel die Japaner betreuen.
Schockemöhle war klar, dass die Pferde, sobald sie komplett in deutschen Besitz übergehen würden, nicht mehr für die Ukraine startberechtigt wären. Um für ein Land eingesetzt zu werden, müssen sie sich vom 15. Januar des gleichen Jahres an zumindest anteilig im Besitz einer Person befinden, die der gleichen Nation angehört. Theoretisch reicht ein Prozent, aber das muss sein. Also alarmierte Schockemöhle kurz vor dem Kauf von Onischenkos edler Pferde-Herde die vier Olympia-Reiter und bot ihnen an, sich an ihren Favoriten zu beteiligen. So investierten die gebürtigen Deutschen Tebbel und Kirchhoff in ihre Olympia-Pferde Zipper und Prince de la Mer, der gebürtige Ungar Szentirmai in Chaccland und der gebürtige Brasilianer Rivetti in Fine Fleur du Marais.
Und weil alle vier Reiter über ukrainische Pässe verfügen, befinden sich ihre vier Pferde nun anteilig in ukrainischem Besitz und sind darum in Brasilien startberechtigt. Schockemöhle bestätigt, dass sie tatsächlich Geld bezahlt haben. Inzwischen waren die Reiter schon bei ihm in Mühlen und haben die Pferde trainiert. Weil es so viele Gerüchte gibt, hat Paul Schockemöhle den schriftlichen Beweis für die Besitzverhältnisse in seiner Jackentasche mit zum Chio in Aachen genommen, der in dieser Woche eher die elegante Seite des Pferdesports feiern soll. Es ist eine notariell beglaubigte Urkunde, die besagt, dass Schockemöhle und die Reiter die vier Pferde gemeinsam aus Onischenkos Besitz erworben haben.
Der Weltverband (FEI) sieht aber ohnehin wenig Grund, misstrauisch zu werden. „Was die Besitzer der Pferde angeht“, so die offizielle Auskunft, „liegt es in der Verantwortung der Nationalverbände, die Information in die Datenbank der FEI einzutragen.“ Und weiter: „Wenn es Zweifel geben sollte, würde sich die FEI an die Nationalverbände wenden.“ In diesem Fall dann also an den Nationalverband der Ukraine, dessen Präsident Onischenko aber leider zurzeit mit unbekanntem Ziel verzogen ist.
„Wahrscheinlich werden sie verkauft“
Keine Frage, dass der Wert der vier Pferde durch den Rio-Start weiter steigen dürfte. Anfragen von Kunden hat Schockemöhle, neben allen anderen Tätigkeiten rühriger Pferdehändler, längst vorliegen. „Wahrscheinlich werden sie verkauft“, bestätigte Schockemöhle in Aachen. Dass irgend jemand gegen den Start der ukrainischen Mannschaft in Rio protestieren wird, ist ohnehin nicht zu erwarten. Die Ukraine hat sich vor zwei Jahren bei der WM in Caen ganz regulär für Rio qualifiziert. Und Irland, das im unwahrscheinlichen Fall einer Disqualifikation nachrücken würde, sitzt in einem pferdebesitztechnischen Glashaus.
Das Land hat zwar keine Mannschaft für Rio qualifiziert, aber einen Einzelstarter. Den Platz bekommt Greg Broderick, der sich mit dem Pferd Going Global empfohlen hat. Dieser befindet sich zwar eigentlich im Besitz der kanadischen Caledonia Stables. Aber auch hier wurde eine Lösung gefunden. Der irische Verband hat nach Auskunft der FEI alle nötigen Bestätigungen erbracht. Trotzdem bringt das Thema die Aachener Teilnehmertribüne zum Summen. Und tatsächlich kann man in dieser Gerüchteküche an einem Tag mehr über das Springreiten lernen als auf der Ehrentribüne in einer ganzen Woche.