Vielseitigkeits-EM : Ingrid Klimke bleibt cool
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Erfolgreiche Vielseitigkeitsreiterin Ingrid Klimke: Gold als Solistin und im Team Bild: dpa
Ingrid Klimke meistert mit ihrem Wallach Hale Bob alle Herausforderungen der Vielseitigeits-EM mit Bravour. Michael Jung muss eine unheimliche Begegnung im Gelände überstehen.
Erfahrung ist Gold wert: Ingrid Klimke, die mit ihrem bewährten Wallach Hale Bob schon alle möglichen Situationen gemeistert, Enttäuschungen weggesteckt und Glücksmomente zelebriert hat, konnte in Luhmühlen ihren Europameistertitel im Vielseitigkeitsreiten erfolgreich verteidigen.
Michael Jung, ihr schärfster Gegenspieler, der den elfjährigen Wallach Chipmunk erst seit Februar unter dem Sattel hat, war zwar als Führender nach Dressur und Gelände ins abschließende Spezialspringen gegangen, doch das Verständnis zwischen Reiter und Pferd war womöglich noch nicht so blind, wie der dreimalige Olympiasieger das gewohnt ist. Im Parcours fiel in der zweifachen Kombination eine Stange – und schon rutschte er auf Platz zwei hinter die 51 Jahre alte Teamkollegin zurück. „Ob der Fehler daran gelegen hat? Vielleicht, vielleicht auch nicht“, sagte Jung.
Doch obwohl er ein bisschen schlucken musste, hatte auch er Grund zum Feiern. Mit einem fast astronomischen Vorsprung von 22,5 Punkten gewann die deutsche Equipe den Titel vor Großbritannien und Schweden. Das bedeutet, dass die Mannschaft sich im Springen fünf zusätzliche Abwürfe hätte leisten können. Und das im vorolympischen Jahr.
Im vergangenen Jahr, bei den Weltmeisterschaften in Tryon, hatte ein Abwurf am letzten Hindernis Ingrid Klimke mit ihrem 15 Jahre alten Bobby den Titel gekostet. Diesmal blieb sie fehlerfrei. „Am letzten Sprung habe ich tief Luft geholt in Erinnerung an letztes Jahr“, sagte sie. Der knappe Rückstand hinter Jung stammte bereits aus der Dressur, ausgerechnet der Disziplin, in der Klimke häufig in Spezial-Wettbewerben startet. Jung verlor das Gold im Springen, das sein besonderes Spezialgebiet ist; in diesem Jahr gewann er schon das Hauptspringen beim Hallenturnier in Dortmund. Am Samstag hatten beide perfekte Ritte durchs Gelände gezeigt. Die Bronzemedaille ging an den Iren Cathan Daniels auf Rioghan Rua. Andreas Dibowski (Döhle) steuerte mit Corrida auf Rang 16 eine solide Leistung zum Team-Ergebnis bei. Kai Rüder (Fehmarn) lieferte trotz Platz vier in der Dressur wegen einer Krise am Start ins Gelände das Streichresultat. Das Ergebnis: Rang 24.
Trotz des Abwurfs zum Schluss war Jung glücklich darüber, wie sich seine Verbindung mit Chipmunk entwickelt. Doch er wurde ziemlich scharf im Ton, als er über eine unheimliche Begegnung auf der Geländestrecke berichtete. Die direkt vor ihm gestartete Spanierin Maria Pinedo Sendagorta war in den zweiten Wasserkomplex gefallen und badete noch eine Weile im kühlen Nass. Das brachte die Jury in Not, die sich allerdings nicht dazu entschließen konnte, Jung, der sich dem Wasser näherte, aufzuhalten. Auch der Hindernisrichter am davor liegenden Sprung, einem kapitalen Tisch, hatte keine klare Anweisung. Also wedelte er warnend mit den Armen, die zum Anhalten vorgeschriebene Flagge benutzte er aber nicht. Jung sah das vom Pferd aus und war verwirrt. „Ich wusste nicht, muss ich anhalten oder weiterreiten“, sagte Jung. „Ich war kurz durcheinander, der Rhythmus war weg, die Konzentration war weg, der Schwung war weg, ich machte einen Shit-Sprung.“ Auch in der Wasserkombination – die Spanierin war inzwischen fort – musste er noch kämpfen. Ein ganz untypisches Bild des Schwaben, der schon oft mit fast geisterhafter Sicherheit durchs Gelände huschte. „Sowas ist gefährlich“, sagte er. Aber er wäre nicht Jung, würde er einen solchen Zwischenfall nicht einfach wegstecken.
Wie wild die Pferde im entscheidenden Moment auf das Gelände sind, konnte man bei Kai Rüder und seinem 13 Jahre alten Oldenburger Wallach Colani Sunrise sehen. Das Pferd weigerte sich, die enge Startbox zu betreten. „Er hatte nur noch Sprung eins im Kopf“, sagte Rüder. Sein Pferd stellte sich auf die Hinterbeine, und es dauerte 40 Sekunden, bis ein vernünftiger Start zustande kam. Genau so viel, wie Rüder im Ziel die Idealzeit überschritten hatte. Er wäre ohne den Zwischenfall fehlerfrei in der Zeit geblieben. Ärgerlich, zumal im Spezialspringen wieder alles klappte. „Das war gut fürs eigene Ego“, sagte Rüder hinterher.