Ludwigsburger Basketball : Underdogs im Endspiel
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Trainer John Patrick (l.) führt ein Team der Zu-kurz-Gekommenen an und erreicht die Finalspiele. Bild: dpa
Trainer John Patrick propagiert den bösen Basketball. Die Unterschätzten, Zu-kurz-Gekommene und die Schwierigen bekommen bei den Riesen Ludwigsburg ihre Chance. Nun stehen sie im Bundesliga-Finale.
John Patrick ist ein Familienmensch; zwei seiner fünf Kinder, Jacob und Johannes, hat er mit auf Dienstreise von Ludwigsburg nach München genommen. Geboren und aufgewachsen in den Vereinigten Staaten, ist er in Deutschland heimisch geworden und spricht fließend die Sprache des Landes. Bei Engagements in Japan hat er Japanisch gelernt. Freundlichkeit und Höflichkeit prägen die Auftritte des 52-Jährigen, dem seine von strohblond ins Silbergraue changierenden Haare stets eine Aura früher Reife verliehen.

Korrespondent für Sport in Berlin.
Und doch ist John Patrick verantwortlich für den gemeinsten und bösesten Basketball, der in Deutschland gespielt wird. Mit den MHP Riesen Ludwigsburg, die er seit sieben Jahren betreut, mit denen er sechsmal die Play-offs erreichte und mit denen er in dieser Saison bis zum Abbruch Tabellenplatz zwei belegte, hat er die Finalspiele um die deutsche Meisterschaft (Freitag, 20.30 Uhr und Sonntag 15.00 Uhr/MagentaSport und Sport1) erreicht.
Das 94:85 in der zweiten Halbfinal-Partie gegen Ratiopharm Ulm vom Dienstagabend, zwei Tage nach einem Unentschieden, illustrierte die Spielphilosophie Patricks ebenso gut wie der Rauswurf des deutschen Meisters Bayern München aus dessen eigener Halle im Viertelfinale mit 87:83 und 73:74. „Forty minutes of hell“ verspricht Patrick gegnerischen Teams für jedes Spiel, vierzig Minuten Hölle.
Beeindruckte Spieler und Trainer sprechen von „Guard-Terror“, den die Spieler Patricks ausübten, indem sie bei gegnerischem Ballbesitz von Offensive auf offensive Verteidigung umschalten. Den ballführenden Spieler setzen sie bereits tief in dessen eigener Hälfte unter Druck, gern auch zu zweit oder zu dritt. Überragend diesmal: Aufbauspieler Marcos Knight, der bei 1,88 Meter Körpergröße eine solche Masse aufweist, dass Kommentatoren ihn gern Kugelblitz nennen, mit 26 Punkten und 13 Rebounds, Thomas Wimbush (22/12) und Nick Weiler-Babb mit 20 Punkten.
Vor allem aber gelang, wie Patrick sich freute, was immer sein Ziel ist: die gegnerische Mannschaft aus dem Rhythmus zu bringen. Meister Bayern ist an diesem System gescheitert, der Pokalsieger und neue Meisterschafts-Favorit Alba Berlin – er gewann am Mittwochabend durch ein 81:59 auch sein zweites Halbfinalspiel gegen die EWE Baskets Oldenburg deutlich – wird sich unter diesem Druck bewähren müssen, wenn er aus den Partien am Freitagabend und Sonntagnachmittag als Champion hervorgehen will.
Häufig hat man den Eindruck, die Ludwigsburger spielten ständig über ihrem Niveau. Ob Patrick in seinem zweiten Beruf als Sportdirektor seines Klubs Aufbauspieler Jaleen Smith beim Zweitligaklub Heidelberg entdeckt, Weiler-Babb vom College weg verpflichtet, den jungen Bruder des aus Ulm bekannten Chris Babb, ob er Wimbush aus der G-League holt oder sich an Marcos Knight erinnert, der in der Pro B, der Pro A und für Jena in der Bundesliga spielte und schließlich in der Türkei sein Brot verdiente – in jedem einzelnen seiner Spieler sieht Patrick mehr als Trainer und Sportdirektoren anderswo. Den Unterschätzten, Zu-kurz-Gekommenen und Schwierigen schenkt er Vertrauen und gibt ihnen die Bühne, auf der sie sich für noch größere Aufgaben und Herausforderungen empfehlen können.
Sein erster Erfolg war der Aufstieg mit der BG Göttingen in die Bundesliga 2007. Seit seine Entdeckungen Royce O’Neale über Gran Canaria zu den Utah Jazz in die NBA und Kelan Martin, vom College verpflichtet, nach der Saison 2018/19 aus Ludwigsburg zu den Minnesota Timberwolves wechselten, gelten Auge und Wort von Patrick noch mehr. Manche Berater sind überzeugt, dass ihre Klienten in Ludwigsburg eine Härte erlernen, die ihnen im Profi-Basketball nur guttut. Aufbauspieler Thomas Walkup und Center Johannes Thiemann empfahlen sich dort für die Euro-League; der eine spielt nun für Zalgiris Kaunas, der andere für Alba Berlin.
„Ich bekomme keinen Cent, wenn einer meiner Spieler fünfmal so viel verdient wie vorher oder wenn er in die NBA geht und einen Vierzig-Millionen-Dollar-Vertrag erhält“, sagt Patrick. „Aber für mich ist es die beste Belohnung.“ Der Abschied nach einer Saison ist bei vielen Verpflichtungen Patricks bereits eingeplant.
In diesem Jahr waren Leistungsträger wie Mannschaftskapitän Konstantin Konga sowie der überragende Khadeen Carrington sowie Tanner Leissner schon vor dem Endturnier weg; der eine wegen Verletzung, die beiden Amerikaner, weil sie nicht nach Europa zurückkehren wollten. Trotz zweier Nachverpflichtungen musste vor allem der Nachwuchs ran. Fünf Spieler aus der U 19, darunter Johannes und Jacob Patrick, das dringend im internationalen Basketball erwartete Riesentalent Ariel Hukporti sowie Lukas Herzog und Radii Caisin zeigten, dass sie bei ihren Einsätzen in der zweiten Regionalliga Entscheidungsschnelligkeit und Härte gelernt haben.
Effektivität ist die Basis von Patricks Basketball. Wenn du nicht genug Talent hast, mach dich als Verteidiger nützlich, ist seine Devise. Zwar war Patrick Stipendiat der Stanford University und führte deren Team als Point Guard. Doch die Lektion fürs Leben hat er beim Streetball in Washington D.C. gelernt, wo er als Weißer jahrelang erlebte, was es bedeutet, einer Minderheit anzugehören. „Du musst mit den vier Spielern gewinnen, mit denen du gerade zusammenspielst, egal ob sie dick sind oder mager“, sagt Patrick. „Mir ging es nie darum, Körbe zu erzielen, sondern immer nur ums Siegen.“