Tischtennis : Wucht schlägt Raffinesse
- -Aktualisiert am
Derzeit besser: Dimitrij Ovtcharov besiegt Timo Boll - und verliert das Finale der German Open Bild: dpa
Bei den German Open in Berlin wird die Wachablösung im Tischtennis vorerst bestätigt: Dimitrij Ovtcharov besiegt Timo Boll - und verliert erst im Finale. Doch der Altmeister will zurückschlagen.
Timo Boll wirkte ganz entspannt, als er den Satz sagte: „Ich werde wieder gegen ihn gewinnen, da bin ich mir ganz, ganz sicher.“ Der Rekord-Europameister hat nicht nur gut verkraftet, dass er nach zwölf Jahren von Dimitrij Ovtcharov als bester Deutscher in der Weltrangliste abgelöst worden ist, sondern auch, dass die Wachablösung am Sonntag in Berlin im direkten Duell seine Bestätigung fand. Mit 1:4 Sätzen verlor im Halbfinale der German Open die neue Nummer sechs der Weltrangliste gegen die neue Nummer fünf, die dadurch ins Endspiel einzog.
Zur Titelverteidigung indes reichte es für die neue deutsche Nummer eins nicht. Der Jungstar der Chinesen, Fan Zhendong, besiegte ihn in sechs Sätzen. Der 16 Jahre alte dreifache Jugend-Weltmeister hatte zuvor seinen Landsmann, Olympiasieger und Weltmeister Zhang Jike, dominiert. Fan gilt als das mit Abstand größte Talent Chinas, seit Zhang in die Weltklasse aufstieg.
„Ich war zu müde, um noch einmal meine Bestleistung abzurufen“, sagte Ovtcharov, dem die Auslosung im Gegensatz zu Boll einen schweren Gegner nach dem anderen vor die Nase gesetzt hatte. Mit einer unglaublichen Willensanstrengung setzte er sich nach einigen Rückständen nacheinander über den chinesischen Nachwuchsspieler Liang („Er schlägt Vor- und Rückhand härter als ich.“), den Koreaner Jung und den Japaner Shiono durch.
Die Begegnung mit dem Abwehrkünstler aus dem Reich der untergehenden Sonne bezeichnete Ovtcharov als „das härteste Spiel meines Lebens. Egal, ob Vorhand, Rückhand oder Mitte - er hatte alle Bälle zurück gekriegt, es war unglaublich. Hochachtung vor seiner Leistung.“ Ovtcharov musste während des Spiels an seiner linken Schulter behandelt werden. So groß war die Belastung gewesen.
Rückstand wettgemacht
Auch gegen Boll lag Ovtcharov mit 0:1- und 1:2-Sätzen zurück. Doch dann setzte sich die Wucht des Jüngeren immer häufiger gegen die Raffinesse des Älteren durch. „Ich habe ein paar leichte Fehler gemacht, das kann man sich gegen ihn einfach nicht mehr leisten. Er hat verdient gewonnen.“
Boll hat nach wie vor keine Schwierigkeiten damit anzuerkennen, wenn jemand besser ist als er. Aber für den schlechteren Spieler hält er sich in aller Bescheidenheit nicht. Das Rennen um die Weltranglistenplätze hält er für entschieden, weil er sich nicht mehr auf die Jagd nach Punkten begeben möchte. „Ich werde mich auf die ganz großen Turniere konzentrieren, ich muss meine Karriere ökonomisieren, um möglichst lange dabei sein zu können.“ Sein Ausrüstervertrag läuft bis ins Jahr 2020. „Den will ich erfüllen.“ Und das auf möglichst hohem Niveau. „Natürlich wird es irgendwann runter gehen, aber im Moment bin ich extrem motiviert, und ich spüre, dass ich noch voll dabei bin.“
Mit der Einschränkung: Wenn sein Körper mitspielt. Das ist aber längst nicht immer der Fall. In diesem Jahr verpasste er die Europameisterschaften, und über viele Monate behinderten ihn kleinere Blessuren, wenn er spielte. Dass Boll noch der Alte ist, wenn alles stimmt, bewies er bei seinem Ausflug in die chinesische Liga im Sommer, als er mit einer Bilanz von 8:2 Siegen aufhorchen ließ. In Berlin befand sich der 32 Jahre alte Hesse wieder mal in einer Aufbauphase. Er steigerte sich im Verlaufe des Turnieres deutlich. „Aber es fehlten noch ein paar Prozent“, so Boll. Ovtcharov dagegen steht mit seinen 25 Jahren voll im Saft und wurde auch in Berlin bis zum Finale von seiner Erfolgswelle getragen.
Rollen verschoben
Krafteinteilung ist bei ihm nicht das Thema. Deshalb haben sich auch die Rollen in der Nationalmannschaft verschoben. Im Teamwettbewerb des olympischen Turniers darf keiner der drei Spieler in einer Partie dreimal eingesetzt werden. Das heißt, der Spieler, der zwei Einzel bestreitet, kann im Doppel nicht mehr dabei sein. Für Boll bietet sich an, dass er nur ein Einzel und das Doppel spielt, weil die Belastung so geringer ist. „Bundestrainer Jörg Roßkopf mag sich da noch nicht festlegen. „Olympia ist noch weit“, sagt er.
Aber in Berlin probierte er schon mal eine von vielen möglichen Kombinationen mit Boll aus. „Timo kann eigentlich mit jedem Doppel spielen“, findet Roßkopf. Bei den German Open bekam er seine Nachbarn aus dem Odenwald, Patrick Franziska, an die Seite gestellt. Obwohl die beiden noch nie zu zuvor zusammen spielten, zogen sie ins Endspiel ein, das bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet war.
„Man hat gesehen, dass es passt“, sagte Boll. Aber es ist noch zu früh, um sich festzulegen. Mit wem er auch im Doppel zusammen spielen wird, die Chancen, China endlich einmal zu besiegen hält er für so groß wie nie zuvor - wegen Ovtcharov. „Die Chinesen haben richtig Respekt vor Dima bekommen. Wenn alles zusammen läuft, haben wir eine echte Chance.“