Nummer 1 der Tischtennis-Welt : Boll reibt sich die Augen
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Timo Boll: Nach sieben Jahren wieder Nummer eins Bild: dpa
Timo Boll übernimmt im Alter von 37 Jahren die Führung in der Tischtennis-Weltrangliste. Das versteht nicht mal der Spieler selbst.
Zuerst glaubte Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov wollte ihn auf den Arm nehmen. Ende vergangener Woche kündigte ihm der Erste der Tischtennis-Weltrangliste an, dass er am 1. März sein Nachfolger an der Spitze der Hierarchie würde. „Das ist doch ein Scherz, habe ich ihm gesagt, aber jetzt hat der Computer das Ergebnis tatsächlich ausgespuckt“, sagte Boll am Dienstag, immer noch ein wenig überrascht.
Der Hesse, der am Donnerstag in einer Woche 37 Jahre alt wird, gehört nicht zu den Spielern, die sich ausgiebig mit der Weltranglisten-Arithmetik beschäftigen. Deshalb hielt er seinen Gipfelsturm für ausgeschlossen. Was für seine Fähigkeit zum logischen Denken spricht. „Ich habe nicht am World Team Cup in der vergangenen Woche teilgenommen, dafür aber die vor mir stehenden Dimitrij Ovtcharov und Fan Zhendong. Fan gewann vier Spiele, Dimitrij gewann drei, dennoch habe ich sie überholt.“
Eigentlich wurden die Regeln zum Jahreswechsel genau deshalb geändert – damit Spieler nicht mehr durch Untätigkeit profitieren, sondern dass fleißige Spieler belohnt werden. Deshalb gibt es keine Punktabzüge mehr bei Niederlagen. Allein die acht besten Ergebnisse der vergangenen zwölf Monate gehen in die Bewertung jedes Spielers ein. Was die Regeln komplizierter macht: Die Punkte müssen auf verschiedenen Kontinenten gewonnen werden. Dadurch sollen die Weltklassespieler angeregt werden, auch in Australien/Ozeanien und Amerika anzutreten, um dort die Sportart populär zu machen.
Die Krise der Chinesen
Thomas Weikert hat maßgeblich an der Ausarbeitung der neuen Weltrangliste mitgearbeitet. Der Präsident des Tischtennis-Weltverbandes (ITTF) aus Limburg steht auch der zuständigen Kommission vor. Und prompt besetzen seit Einführung zum 1.1. 2018 nur Deutsche die Spitze der Weltrangliste. „Natürlich sagen einige, der Weikert hat das absichtlich so gemacht, aber den Spaß vertrage ich.“
Weikert hat einiges an Kritik für seine Reform einstecken müssen, aber niemand glaubt ernsthaft, er habe die Regeln auf Boll und Ovtcharov zugeschnitten. Den Hauptvorwurf, dass die Weltrangliste die wahren Kräfteverhältnisse nicht abbilde, lässt er so nicht gelten. „Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov haben nun einmal 2017 sehr viel und extrem erfolgreich gespielt. Dass dazu ein paar Sondereffekte eintraten, dafür können sie nichts.“
Der große Sondereffekt war der Streit zwischen den besten chinesischen Spielern und ihrer sportlichen Leitung, der bei den China Open bis hin zu einem Streik führte. Daraufhin wurden die Revoluzzer verbandsintern für einige Monate aus dem Verkehr gezogen und konnten am Wettlauf um Punkte nicht teilnehmen. Zudem gelang Boll und Ovtcharov anschließend auch noch ihr historischer Coup beim Worldcup, als sie über die chinesische Konkurrenz hinweg ins Finale einzogen.
Auch Timo Boll gehört zu den Kritikern der neuen Branchenhackordnung. „Natürlich freue ich mich, jetzt oben zu stehen. In der alten Weltrangliste hätte ich das nicht geschafft. Aber ich bin dennoch kein Freund des neuen Systems. Man ist gezwungen, viel zu spielen. Durch eine langwierige Verletzung oder längere Regenerationspausen kann es dramatisch für die Qualifikation an den Olympischen Spielen werden. Das kann jeden treffen.“
Neue Bälle, neues Glück
Boll geht entspannt damit um, zum dritten Mal in seiner Karriere – und als ältester Spieler der Geschichte – die Nummer eins geworden zu sein. „Es ist cool, dass ich es 15 Jahre nach der Premiere noch einmal geschafft habe. Das zeigt mir, wie lange ich an der Spitze mithalten kann. Aber für den besten Tischtennis-Spieler der Welt halte ich mich deswegen nicht.“ Für diesen Titel kommen eher die Chinesen Fan Zhendong und Ma Long in Betracht, die an Position zwei und neun geführt werden. Doch mit großer Freude registriert Boll, dass er gegen Ende seiner Laufbahn noch einmal eine Blüte seines Schaffens erlebt. „Athletisch bin ich sicher nicht der beste Timo Boll, den es je gab, technisch aber schon.“ Voraussetzung für den späten Höhenflug ist, dass er seit einem Jahr von Verletzungen verschont geblieben ist.
Begünstigt wird der Auftrieb durch die Entwicklung neuer Tischtennisbälle. „Die Qualität ist nun viel besser, die Bälle springen viel berechenbarer ab. Dadurch wird den Chinesen ein Teil ihres Vorteils durch ihre besseren Beläge genommen.“ So gelang es Boll beim World Cup in Lüttich im vergangenen Oktober sogar, den langjährigen Dominator dieses Spiels (und damaligen Weltranglistenersten), Ma Long zu besiegen. Wie groß die Chancen für ihn sind, noch im April auf dem Tischtennis-Thron zu sitzen, weiß Timo Boll nicht. Er beschäftigt sich nicht damit, welche Runden er bei den nächsten großen Weltranglisten-Turnieren in Qatar und Bremen erreichen muss, um die Spitzenposition zu verteidigen. „Da müssen sie Dimitrij Ovtcharov fragen, der kennt sich mit diesen Statistiken perfekt aus.“