Tennis-Spätstarter : Oscar Otte und das Ende der Sorglosigkeit
- -Aktualisiert am
Beim ATP-Turnier in Stuttgart im Halbfinale: Oscar Otte Bild: dpa
Mit Ende Zwanzig steht Oscar Otte kurz davor, unter die 50 besten Tennisspieler der Welt vorzudringen. Seinen Aufstieg vom Nobody zum etablierten Profi verdankt er auch einem Wimbledonsieger.
Vom Klubhaus des TC Weissenhof öffnet sich ein herrlicher Blick über den Stuttgarter Kessel und die umliegenden Weinberge. Aber als der deutsche Tennisprofi Oscar Otte in dieser Woche dort auf Andy Murray traf, war nicht die landschaftliche Schönheit das Thema, sondern die Beschaffenheit des Rasens auf dem Centre Court.
Murray, der zweimalige Wimbledonsieger, fragte Otte, der noch nie ein Turnier auf der ATP-Tour hat gewinnen können, wie er denn den Hauptplatz finde. „Maximal zwei Minuten haben wir geredet“, erzählt Otte fast ehrfurchtsvoll. Aber die Anekdote zeigt, dass Otte auch von den Großen der Branche mittlerweile nicht nur wahrgenommen, sondern auch als ernsthafter Gesprächspartner anerkannt wird.
Hellseherische Fähgkeiten
Wenn man so will, ist Murray für Otte sogar etwas wie ein Mentor gewesen. Im vergangenen Jahr waren sie sich erstmals in Wimbledon begegnet, Murray hatte sich gegen den Nobody schwergetan und sich erst in fünf Sätzen durchsetzen können. Am Ende flüsterte Murray Otte am Netz zu: Spiel so weiter, dann kommen die Ergebnisse von ganz allein. Murray hat hellseherische Fähigkeiten bewiesen, denn ein Jahr später steht Otte kurz davor, erstmals unter die besten 50 Tennisspieler der Welt zu rücken.
Und das in einem Alter, in dem andere Leistungssportler langsam über ein Karriereende nachdenken. „Ich habe die Worte von Murray sehr gut umgesetzt“, sagt Otte, „sie waren sehr motivierend für mich.“ Mit fast 29 erlebt Otte seine beste Zeit als Tennisspieler. In Stuttgart steht er im Halbfinale, zum zweiten Mal in diesem Jahr bei einem Turnier dieser Kategorie.
Die große Bühne
Lange Jahre war Otte als einer unter vielen auf den unteren Ebenen zu finden. Er hat kleinere Turniere auf der Future- und Challenger-Tour gewonnen. Aber die große Bühne, die großen Spieler waren weit weg, die Grand-Slam-Turniere in Melbourne, Paris, Wimbledon und New York verfolgte er im Fernsehen.
Mit Anfang Zwanzig sei er anders drauf gewesen, sagt der Kölner rückblickend. Er war ein talentierter Spieler mit Hang zur Sorglosigkeit. Er habe das Leben genossen und fand es schon super, die Nummer 150 der Welt zu sein. Aber irgendwann merkte er, dass das Leben als Tennisprofi ziemlich kurz ist.
„Dem Tennis alles untergeordnet“
„Ich wollte nicht aufhören, mit dem Gefühl, nicht alles aus mir herausgeholt zu haben.“ Also begann er mehr und intensiver zu trainieren, an seinen Schlägen, an seiner Fitness zu arbeiten, er stellte zudem seine Ernährung um und lebte, wie man als Profi leben muss: „Ich habe dem Tennis alles untergeordnet.“
Schnell stellten sich die Erfolge ein, Otte verletzte sich weniger und gewann mehr Partien. Auch bei den großen Turnieren. Er qualifizierte sich im vergangenen Jahr für die French Open und führte gegen Alexander Zverev mit 2:0-Sätzen, ehe er noch in fünf Sätzen unterlag wie danach in Wimbledon gegen Murray. Aber es waren Niederlagen, die ihm Mut machten. „Ich habe gemerkt, ich gehöre wirklich dazu.“ Bei den US Open führte ihn sein neues Selbstverständnis sogar bis ins Achtelfinale.
Spielerisch bringt Otte alles mit, um Turniere wie in Stuttgart gewinnen zu können. Er spielt ein variables, aufregendes Tennis, weil er es vermag, auf wuchtige Grundschläge auch gefühlvolle, langsame Bälle folgen zu lassen. Er schlägt zudem sehr gut auf und rückt vor ans Netz, um die Ballwechsel mit einem Flugball vorzeitig zu beenden. „Meinem Spiel kommt der schnelle Rasen sehr entgegen“, sagt Otte. Und vielleicht gewinnt er in Stuttgart ja sein erstes Turnier. „Im Kopf“, gibt er zu, habe er das schon.