Tennis : Ein Dach für Wimbledon
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Wer sagt, Night Sessions funktionieren nicht in Wimbledon? Bild: REUTERS
80 Millionen Pfund machen es möglich: Der Centre Court in Wimbledon ist wetterfest. Doch die neuen Möglichkeiten verursachen auch neue Probleme - und Begehrlichkeiten.
Tage wie dieser hätten den Programmdirektoren diverser Fernsehsender auf der ganzen Welt früher die Schweißperlen auf die Stirn getrieben. Regen in Wimbledon - das war zu Zeiten, als das prestigeträchtige Turnier in Deutschland noch im öffentlich-rechtlichen oder später zumindest im frei empfangbaren Privatfernsehen übertragen wurde, stets das Zeichen für die Konserve.
Björn Borgs Fünfsatzklassiker gegen John McEnroe 1980, Boris Beckers Wimbledonsiege, sein deutsches Finale gegen Michael Stich 1991, dazu die Steffi-Graf-, die Martina-Navratilova-, die Chris-Evert-Geschichte und unzählige weitere Programme - alles war vorbereitet, um die Regenpausen zu füllen. Und die kamen mit einiger Zuverlässigkeit.
2009 hatte das alles ein Ende, denn der Centre Court in Wimbledon präsentierte sich in ganz neuem Gewand. Das vermutlich berühmteste Tennis-Stadion der Welt hatte ein Dach bekommen, die Konserven wurden nicht mehr benötigt und verschwanden in den Regalen der Archive.
Ganz egal also auch, was die Wettervorhersage für diesen betriebsamen Montag der zweiten Turnierwoche, wenn in Wimbledon alle Achtelfinalspiele der Damen und Herren auf dem Programm stehen, auch ankündigte - ein wenig Tennis würde ganz sicher gespielt werden.
Acht Millionen Zuschauer bei der BBC
Die erste Turnierwoche aber, als das Dach auf dem Centre Court mehrmals geschlossen werden musste (oder wurde), hat eine alte Diskussion neu entfacht - ob nämlich auch in Wimbledon wie bei den Australian Open und den US Open eine dank Sondertickets lukrative Abendveranstaltung namens Night Session ins Programm aufgenommen wird.
Der All England Lawn Tennis and Croquet Club weist solche Ideen zwar weit von sich, aber von den Vorzügen konnte sich der Fernsehsender BBC in den vergangenen Tagen überzeugen.
Mehr als acht Millionen Briten schauten zu, als der Schotte Andy Murray sich am Samstagabend nach Stunden in der besten Sendezeit um 23.02 Uhr Ortszeit endlich gegen den Zyprer Marcos Baghdatis durchgesetzt hatte.
Die Belüftung braucht eine halbe Stunde
Das alte Argument, dass eine Night Session in Wimbledon gar nicht möglich sei, weil der abendliche Tau die Plätze zu rutschig mache, ist mit der Installation des Daches verschwunden.
Doch anders als beim deutschen Turnier in Halle, wo das Stadion gleich mit einem Dach konzipiert wurde, die Verwandlung in eine Halle innerhalb von ein paar Minuten vollzogen ist und die Partie fortgesetzt werden kann, gestaltet sich das Ganze in Wimbledon komplizierter.
Das Dach wurde auf das bestehende Stadion aufgesetzt, deshalb musste eine Belüftungsanlage installiert werden, die mindestens eine halbe Stunde benötigt, um die Feuchtigkeit heraus zu filtern. Ist die Wetterprognose zu schlecht, wird in Wimbledon das Dach also auch schon einmal geschlossen, obwohl es noch gar nicht regnet.
80 Millionen Pfund investiert
Und ist das Dach bei Spielbeginn bereits geschlossen, wird es auch während der Partie selbst dann nicht mehr geöffnet, wenn draußen längst wieder die Sonne scheint.
„Wir ziehen es vor, das Dach, wenn irgend möglich, offen zu lassen“, lässt der ehrwürdige Club zu diesem Thema ausrichten. Fakt ist aber, dass der Druck des Fernsehens in den vergangenen Jahren zugenommen hat und ohnehin ausschlaggebend dafür war, dass die 80 Millionen Pfund teure Investition überhaupt getätigt wurde.
Wenn etwas aber erst einmal für den Notfall vorhanden ist, wird es auch genutzt, und so erlebte Wimbledon nun dank des Daches und einer Flutlichtanlage eine Reihe von Abendveranstaltungen.
Die Ausnahme wird zur Regel
Nadals Ausscheiden gegen Lukas Rosol war erst nach 22 Uhr Ortszeit (plus eine Stunde MEZ) besiegelt, Federers Fünfsatzkrimi gegen den Franzosen Benneteau gegen 21.30 Uhr beendet und für Murrays Spätschicht war gar eine Ausnahmeregelung nötig.
Wegen der Anwohner soll der Tag in Wimbledon nämlich spätestens um 23 Uhr enden, doch der Gemeinderat zeigte sich flexibel. „Wimbledon ist nicht New York oder Melbourne, dort ist die logistische Lage eine ganz andere“, sagt aber Club-Manager Richard Lewis.
15.000 Zuschauer, die abends über die Church Road zu den kleinen U-Bahn-Stationen in Southfields und Wimbledon Park schlendern oder für einen Megastau in den schmalen Straßen sorgen, sind keine Aussichten, die einen Anwohner begeistern können. Doch dass die Ausnahme auf Dauer eher zur Regel wird - auch dieses Phänomen von Ausnahmeregelungen wird in Wimbledon wohl nicht außer Kraft gesetzt.