Taekwondo-Kämpferin Helena Fromm : Wenn Engel schreien
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Im Zweikampf: Helena Fromm (r.) mit Trainingspartnerin Melanie Hartung Bild: Schoepal, Edgar
Kopf ausschalten, Körper hochfahren - und zutreten: Helena Fromm will in London ihre zweite und wohl letzte olympische Chance im Taekwondo nutzen. Der Trainingsraum wird zum Kampfeinsatzgebiet.
Helena Fromm glaubt an Zeichen und ihre Macht. Zwei Fahnen besitzt sie: eine, deren Symbol ihr Mut für die Zukunft gibt, und eine, deren Logo ihr als Mahnung aus der Vergangenheit gilt. Die erste Fahne, die kaum jemand zu sehen bekommt, hängt über ihrem Bett daheim im sauerländischen Arnsberg: fünf verschiedenfarbige Ringe auf weißem Grund, die Helena Fromm rund um die Uhr Kraft geben sollen für ihren olympischen Traum. „Damit schlafe ich abends ein, und damit wache ich morgens auf. Die Flagge erinnert mich immer daran, warum ich das alles mache, warum ich auf so vieles andere verzichte“, sagt Deutschlands erfolgreichste Taekwondo-Kämpferin.

Redakteur im Ressort „Geld & Mehr“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Die andere Fahne ziert das Logo der Sommerspiele 2008 in Peking, sie hängt in einer kleinen Schulsporthalle von der Decke herab. Hier, im Taekwondo Center Iserlohn, das sich „Leistungszentrum für Olympic Sports“ nennt, arbeitet die Fünfundzwanzigjährige an der Verwirklichung ihres Londoner Traums. Und an der Bewältigung ihres Pekinger Traumas.
Der Gymnastikraum ist Esteves’ Kampfeinsatzgebiet
„Jugendlich und naiv“ sei sie vor vier Jahren gewesen, sagt Helena Fromm. Die Mensa im olympischen Dorf, wo sie Dirk Nowitzki und Michael Phelps mit großen Augen anstarrte, nahm sie damals genauso wichtig wie die Matte, auf der ihre Gegnerinnen lauerten. „Ich habe gedacht: Die Europameisterschaft ist gut gelaufen, ich habe den Titel geholt, na, dann wird bei Olympia auch ’ne Medaille rumkommen.“ Sie landete, trotz einer vielversprechenden Auslosung, auf Platz neun. Statt Edelmetall brachte sie die Stoff-Fahne mit nach Hause. So etwas soll ihr nicht noch mal passieren. „Peking hat mich gelehrt, dass man an dem einen Kampftag über sich hinauswachsen muss, um eine Medaille zu erreichen.“ Fünf Monate bleiben Helena Fromm noch, um in London ihre zweite und wohl letzte olympische Chance zu nutzen.
Die Iserlohner Abendluft draußen ist lauwarm, drinnen in der Gymnastikhalle dröhnt heiße Musik aus den Lautsprechern einer iPod-Station. Keine La-la-Mädchenmusik, sondern wummernde Technobeats; dazu geeignet, Soldaten für einen Kampfeinsatz einzupeitschen. Die Playlist zusammengestellt hat Carlos Esteves. Früher hat er sein Geld als Discjockey verdient, heute ist er Bundestrainer der deutschen Taekwondo-Frauen und Heimcoach von Helena Fromm.
Der Gymnastikraum, dem der Muff einer herkömmlichen deutschen Schulsporthalle dank azurblauer Gardinen und den blauen Bodenmatten ein wenig ausgetrieben wurde, ist Esteves’ Kampfeinsatzgebiet. Hier hört alles auf sein Kommando: Helena Fromm sowie ihre Trainingspartnerinnen Melanie Hartung, 22, und Tabea Wenken, 16, die alle jung und blond und erfolgreich sind und sich scherzhaft „drei Engel für Carlos“ nennen, sowie zwei herumalbernde Jungs und ein verspieltes Mädchen, das als Talent gilt. Was Esteves’ Engel im Laufe des Abends bei voller Musikdröhnung vollführen werden, sieht nach Tanz aus, nach einer Choreographie koreanischen Ursprungs: Die eine Kämpferin reißt ein Bein hoch und schreit dabei, die andere duckt sich und kontert. Dann werden die Rollen getauscht, getreten und geschrien wird immer. „Der Kampfschrei soll Aggressivität und Selbstbewusstsein ausdrücken“, sagt Helena Fromm.