Schwimmen : Anzügliches und Rätselhaftes
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Antje Buschschulte - „sie führt einen Privatkrieg” Bild: picture-alliance/ dpa/dpaweb
In der Schwimmszene spielt sich ein schwer durchschaubares Stück ab. Darin geht es um Streit, Mißtrauen und Lagerbildung. Um diese Geschichte verstehen zu können, muß man weit zurückgehen, mindestens bis zu den Olympischen Spielen in Athen.
In der Schwimmszene spielt sich momentan ein schwer durchschaubares Stück ab. Darin, soviel ist gewiß, geht es um Streit, Mißtrauen und Lagerbildung. Um diese Geschichte halbwegs verstehen zu können, muß man weit zurückgehen, mindestens bis zu den Olympischen Spielen vor einem Jahr in Athen.
Damals tauchte die Weltmeisterin Antje Buschschulte im Finale über 100 Meter Rücken plötzlich in einem Schwimmanzug des Ausrüsters Speedo auf. Die Offiziellen des Deutschen Schwimm-Verbandes (DSV) mußten das als eine dreiste Anzüglichkeit auffassen; schließlich sind die Athleten als Kadermitglieder des DSV dazu verpflichtet, bei großen Wettkämpfen die Anzüge des offiziellen Ausrüsters Arena zu tragen. Antje Buschschulte wiederum behauptete in ergreifender Schlichtheit, ihr Schwimmanzug sei in Athen kaputtgegangen, und deshalb habe sie in der Not zu einem Produkt des Konkurrenzausrüsters greifen müssen, der übrigens seit diesem Jahr auch ihr persönlicher Sponsor ist.
Der DSV machte kurzen Prozeß
Allerdings kommt es recht selten vor, daß Athleten nur mit einem einzigen Schwimmanzug zu den Olympischen Spielen reisen; und noch seltener, daß sie dann zufällig auch noch ein maßgeschneidertes Stück eines anderen Ausrüsters in der Tasche haben. Der DSV machte also kurzen Prozeß. Er verhängte "wegen verbandsschädigenden Verhaltens" eine Konventionalstrafe in Höhe von 1.800 Euro und gab an seine Vorschwimmerin auch die Forderung des Verbandsausrüsters in Höhe von 5.000 Euro wegen Vertragsbruchs weiter.
Soweit die Vorgeschichte. Die Seifenoper, die sich jetzt im Lager der Schwimmer abspielt, hat mit dieser Episode nur auf den ersten Blick nichts zu tun. Am Freitag kamen Antje Buschschulte und die Athletensprecherin Anne Poleska mit der Verbandspräsidentin Christa Thiel in Wiesbaden zu einer Art Krisengespräch zusammen. Es hat sich offenbar einiger Ärger aufgestaut bei den Schwimmern. Es soll um Defizite in der Wettkampfvorbereitung gehen, um Unschärfen in der Kompetenzverteilung und um den Führungsstil des Sportdirektors Ralf Beckmann, der momentan im Urlaub ist.
Reichlich diffus
Das klingt alles reichlich diffus, Konkretes erfährt man auch von der Athletensprecherin Anne Poleska nicht. Sie sagt: "Wir haben einige Dinge angesprochen, die uns in unserer sportlichen Entwicklung aufhalten. Ein Ergebnis ist, daß die Kommunikation verbessert wird, auch unter den Trainern." Künftig sollen sich die erst kürzlich berufenen "Präsidiumsbeauftragten" Hans-Jürgen Günther und Jürgen Kozel um die Belange der Schwimmer kümmern.
Das klingt wie eine ganz normale Auseinandersetzung zwischen dem Verband und einigen seiner Athleten. Doch nicht zuletzt wegen der üblichen Indiskretionen ist jetzt in der öffentlichen Darstellung weit mehr daraus geworden. Es riecht plötzlich nach Aufstand und Königsmord. Es war Antje Buschschulte, die noch auf dem Rückflug von den Weltmeisterschaften in Montreal ein Schreiben an den Verband initiierte. 18 von 28 Athleten unterschrieben, darunter auch Anne Poleska. Kaum zurückgekehrt, teilte Antje Buschschulte, mit vier Medaillen die erfolgreichste deutsche Schwimmerin in Montreal, kräftig aus. Womöglich ärgerte sie sich auch darüber, daß der Verband einen Teil ihrer Erfolgsprämien einbehielt und damit die alten Forderungen beglich. Sie fühle sich vom DSV "gemobbt", sagte sie und sprach später auch ganz offen über die Unterschriftenaktion.
Private Abrechnung?
Die Wirkung war so, wie man das erwarten konnte. "Jetzt sieht es so aus, als hätten die Schwimmer kein Vertrauen mehr zu Ralf Beckmann", sagt der stellvertretende Athletensprecher Lars Conrad, der das Papier nicht unterschrieben hat, "dabei ist das nicht so."
Der Student aus Hannover ist nicht der einzige, der nun den Eindruck hat, Antje Buschschulte betreibe eine private Abrechnung mit dem Verband und dessen Führungskräften. "Sie führt einen Privatkrieg und vertritt vor allem ihre eigenen Interessen", sagt Conrad, "dabei ist sie nicht autorisiert, für die Mannschaft zu sprechen." Auch die Krefelderin Anne Poleska geht inzwischen auf Abstand zur ihrer Kollegin vom SC Magdeburg: "So wie sie das jetzt rübergebracht hat, hätte ich nicht unterschrieben. Sie hat in den Medien einfach drauflosgeplappert, das ist ziemlich peinlich."
„Das ist ziemlich peinlich“
Daß die angehende Biologin bei anderen Athleten Unterstützung fand, zeigt allerdings, wie gereizt die Stimmung unter den Schwimmern seit den für sie enttäuschenden Spielen in Athen ist. Zunächst waren es Hannah Stockbauer und Thomas Rupprath, die Beckmann und den Verband angriffen. Kurz vor dem Beginn der WM Mitte Juli störte der Fall Stev Theloke die Ruhe in Montreal. Der Chemnitzer Sportsoldat wurde wegen seiner heftigen Kritik aus Kanada nach Hause geschickt, er steht nun vor einer ungewissen Zukunft. Wie zu hören und manchmal auch zu sehen ist, herrscht selbst unter den Trainern Reizklima. Sie sollen sich in zwei Lagern gegenüberstehen.
Doch was die Schwimmer bislang schuldig geblieben sind, ist eine konkrete Beschreibung dessen, was sie den DSV-Offiziellen überhaupt vorwerfen. Oder ist es eher ein unbestimmtes Gefühl, ein Gemisch aus Ärger und Enttäuschung über die eigenen Mißerfolge? Thomas Rupprath jedenfalls schilderte dem "Tagesspiegel", wie es zu seiner Unterschrift kam, so: Er habe das nur deshalb getan, "weil auch andere unterschrieben haben und weil ich zur Mannschaft stehe".