Hikaru Nikamura : Eklat am Schachbrett
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Hikaru Nakamura wird besonders in Russland mangelnde Schachkultur vorgehalten. Bild: dpa
Kein Spitzenspieler ist unter den Schachspielern so umstritten wie Hikaru Nakamura. Beim Kandidatenturnier zur Weltmeisterschaft gerät er mit seinem Gegenspieler Aronjan aneinander.
Auch noch drei Spieltage später sorgt beim Kandidatenturnier zur Schach-Weltmeisterschaft ein Vorfall aus der sechsten Runde für Diskussionen. Mehr als sechs Stunden waren gespielt, alle anderen Partien beendet, und außer den beiden Spielern Hikaru Nakamura und Lewon Aronjan war nur noch eine Handvoll Menschen im Saal auf der obersten Etage des ehemaligen Moskauer Telegrafenamts. Nakamura griff nach seinem König, hielt die Holzfigur zwei Sekunden in der Hand und sagte: „Adjust“.
Im Turnierschach gilt „berührt-geführt“. Will ein Spieler eine Figur zurechtrücken, etwa weil sie nicht mitten auf ihrem Feld steht, muss er das ansagen, bevor er die Figur berührt. Am üblichsten ist dafür das französische „j’adoube“. Turnierspieler haben diese Regel in Fleisch und Blut. Nachdem Milan Matulovic einmal mit einem „j’adoube“ einen Verlustzug rückgängig gemacht hatte, hieß der jugoslawische Großmeister zeitlebens „Jadoubovic“. 1994 ließ Garri Kasparow gegen Judit Polgar 1994 einen Springer für Bruchteile einer Sekunde auf einem verlustbringenden Feld los, bevor er ihn auf ein anderes Feld stellte. Dass ihm das Loslassen der Figur nicht bewusst war, haben dem ehemaligen Weltmeister viele nicht geglaubt.
Nakamura hätte mit einem Zug seines Turms noch auf ein Remis hoffen können. Nach jedem möglichen Zug des berührten Königs war die Stellung dagegen für seinen Gegner Aronjan einfach gewonnen. Und der armenische Großmeister zögerte nicht: Nakamura musste den König ziehen. Dass er einige Sätze mehr sagte und noch mit wegwerfenden Handbewegungen auf Nakamura einredete, als der Schiedsrichter dem Amerikaner Nakamura bereits bestätigt hatte, dass er keine andere Figur als den König ziehen durfte, ist auf Video festgehalten. Doch die Aufzeichnung ist ohne Ton. Aronjan habe ihn wüst beschimpft, behauptet Nakamura. Mit welchen Worten – das wolle er nicht wiedergeben.
Der Armenier selbst will erst nach dem bis zum 28. März dauernden Turnier Stellung nehmen. Ein Freund Aronjans tweetete, dieser hätte nur darauf hingewiesen, dass die Kamera alles sehe. Doch von der Kamera ist zumindest laut Nakamura in der Tirade gar nicht die Rede gewesen. Aronjan gewann anschließend leicht und setzte sich damit zunächst an die Spitze des achtköpfigen Felds. Am Montag aber unterlag der zwischen Berlin, Jerewan und San Sebastian pendelnde Armenier dem ehemaligen Weltmeister Viswanathan Anand. Der bereits 46 Jahre alte Inder führt nun fünf Runden vor Schluss gemeinsam mit dem zwanzig Jahre jüngeren Russen Sergei Karjakin. Mit einem halben Punkt weniger haben auch noch Aronjan und der Amerikaner Fabiano Caruana Chancen, Herausforderer des norwegischen Weltmeisters Magnus Carlsen zu werden. Nakamura dagegen ist als Vorletzter praktisch aus dem Rennen.
Kein Spitzenspieler ist unter seinen Kollegen so umstritten. Besonders in Russland wird dem 29-jährigen Amerikaner japanischer Herkunft mangelnde Schachkultur vorgehalten. Wenn Nakamura gegen Aronjan versucht hat, sich mit seinem „adjust“ aus der Affäre zu ziehen, hätte der Schiedsrichter ihn verwarnen müssen. Das gilt auch für Aronjan, wenn er seinen Gegner mitten in der Partie tatsächlich mit nicht jugendfreien Worten beschimpft haben sollte. Doch der Unparteiische schien von dem Zwischenfall ebenso überfordert wie die offiziellen Kommentatoren. Als sich Aronjan ihnen stellte, um die Partie im Studio aus seiner Sicht zu besprechen, wurde er auf den Vorfall nicht angesprochen.
Die Journalisten fragten erst nach dem nächsten Spieltag nach. Vertragsgemäß hätte auch Nakamura zur Nachbesprechung im Studio erscheinen müssen. Doch nach fast sieben Stunden Spiel und dem Zwischenfall kurz vor Ende dachte er nicht daran. Und von gut einem Dutzend Mitarbeitern des Veranstalters, denen er auf dem Weg nach draußen begegnete, wagte niemand, den Verlierer an seine Pflicht zu erinnern. Während der folgenden Runde wurde bekannt, dass Nakamura wegen Schwänzens der Studioaufnahme, die irreführend als „Pressekonferenz“ bezeichnet wird, zehn Prozent seines Preisgelds, also etwa 5000 Euro, abgezogen werden. Probleme mit der Etikette zeigte dabei auch der Veranstalter: So ziemlich der Letzte, der von der Geldbuße erfuhr, war Nakamura selbst.