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Rhythmische Sportgymnastik : Auf der Karte „Vinerstans“ gewinnt immer Russland

  • -Aktualisiert am

Anmutige Favoritin: Margarita Mamun - natürlich aus Russland Bild: dpa

Bei der WM in der Rhythmischen Sportgymnastik stehen die Siegerinnen schon vorher fest. Die verdiente Despotin Irina Viner baut ihren Einflussbereich gezielt aus.

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          Die Rhythmische Sportgymnastik ist in vielerlei Hinsicht eine ganz spezielle Disziplin des Turnsports. Zum Beispiel, weil man schon vor dem Beginn der Wettbewerbe am heutigen Montag schreiben kann, wer den Weltmeistertitel gewinnen wird: Russland wird ihn gewinnen. Man kann es sogar genauer sagen: Jana Kudratsjewa oder Margarita Mamun wird gewinnen. Die beiden seien „momentan nicht zu schlagen“, sagt die deutsche Kampfrichterin Isabell Sawade ohne Zögern. Mit dieser Einschätzung steht sie keineswegs allein da - ganz gleich, wen man fragt, der russische Doppelsieg scheint ausgemachte Sache. Selbst Bruno Grandi, Präsident des Weltverbandes (FIG), der sich von Amts wegen eigentlich Bemerkungen zu einzelnen Sportlern verbietet, nennt die Übungen Kudratsjewas „reine Kunst“.

          Eine Überraschung sind russische Siege nie gewesen. In der Historie der Welttitelkämpfe seit 1963 haben mit einer Ausnahme ausschließlich Gymnastinnen aus dem damaligen und ehemaligen Ostblock Medaillen gewonnen, in der Regel sowjetische. Die Ausnahme gab es 1975, als die Westdeutsche Carmen Rischer Weltmeisterin wurde, allerdings war der Ostblock damals gar nicht angetreten. In den vergangenen 20 Jahren gingen alle bis auf zwei Mehrkampf-Medaillen an Russland oder Nachfolgestaaten der Sowjetunion. Seit 2000 gewinnt Russland bei den Olympischen Spielen den Mehrkampf und die Gruppenkonkurrenz, sprich: alles.

          Warum gibt es keine ernstzunehmende Konkurrenz in einer Disziplin, für die es lediglich eines 13 mal 13 Meter messenden Teppichläufers sowie einiger Bälle oder Seile bedarf? Die Antwort auf diese Frage ist schwierig. Sicher ist: Die heutige Sportart hat ihren Ursprung in der Sowjetunion der vierziger Jahre. Die Popularität der russischen Gymnastinnen im eigenen Land ist immens, weitaus größer als jene der Geräteturner. Gymnastin zu werden ist der Traum kleiner Mädchen, folglich gibt es ein unendliches Reservoir an willigen Talenten.

          „Wir müssen mit den Mädchen arbeiten, die diese Sportart betreiben möchten. Russland kann aus einer unglaublichen Anzahl von gut vorbereiteten Mädchen nur die Allerbesten auswählen“, erklärt Emanuela Maccarani, Cheftrainerin der italienischen Gruppe, einen entscheidenden Unterschied. Ein anderer ist das Geld. In Russland gibt es viel Geld für die Sportgymnastik, etwa vom Gasprom-Konzern. Nicht ganz zufällig, denn die Cheftrainerin und Verbandspräsidentin Irina Viner ist die Gattin von Oligarch Alisher Usmanow, einem der reichsten Männer Russlands. Sie gilt als die mächtige Frau der Gymnastik-Welt.

          Margarita Mamun kann höchstens von Jana Kudratsjewa bezwungen werden - die ebenfalls aus Russland stammt
          Margarita Mamun kann höchstens von Jana Kudratsjewa bezwungen werden - die ebenfalls aus Russland stammt : Bild: dpa

          Kurioserweise war es der Zerfall der Sowjetunion, der letztlich die heutige Dominanz der russischen Schule ausgelöst hat: Hunderte von hochqualifizierten Trainern verließen das Land und arbeiten heute in der ganzen Welt, auch in Deutschland. Auf die Trainer folgten die Kampfrichterinnen. Die Mehrheit jener, die in Stuttgart über die Medaillen entscheiden werden, stammt aus der sowjetisch-russischen Schule. Ganz gleich für welches Land sie nun arbeiten, ihrer Heimat bleiben sie verbunden. Auch bei der Gestaltung der Wertungsvorschriften arbeiten viele von ihnen mit. Dafür zuständig ist das Technische Komitee, dessen Präsidentin heute die Russin Natalia Kuzmina ist.

          Italien ist in der Gruppenkonkurrenz das einzige westeuropäische Land in der Weltspitze ohne russischen Beistand. Emanuela Maccarani setzt auf die Originalität, auf Ausdrucksfähigkeit und das Überraschungsmoment. „Bei den technischen Fertigkeiten und der Beweglichkeit kann niemand mit Russland mithalten“, erklärt sie ihre Strategie. Von 2009 bis 2011 gewann Italien so den WM-Titel der Gruppe. Dann schaffte man die Einzelnote für den künstlerischen Wert einfach ab, es blieben jene für Schwierigkeit und Ausführung - die Stärken der Russinnen.

          Nachhilfe für Japan und Südkorea

          Die Entscheidung über die Titel verspricht also kaum Spannung. Doch in Stuttgart geht es auch um die Olympiaqualifikation für Rio 2016. Und hier gibt es ein veritables Problem: Seit 20 Jahren gewinnen nur Länder Medaillen, die sportlich zu Europa gehören, das Internationale Olympische Komitee (IOC) jedoch hält einiges auf Universalität. Russland und Irina Viner schaffen auch hier Abhilfe.

          Etliche Länder bekommen im größten russischen Trainingszentrum in Novorgorsk Nachhilfe, die Japanerinnen trainieren bereits permanent in St. Petersburg, ebenso Südkoreas beste Gymnastin Son Yeon-Jae. Somit wurde gesichert, dass zumindest Asien in der erweiterten Weltspitze vertreten ist. Für Irina Viner, die in diesem Jahr von IOC-Präsident Thomas Bach den Olympischen Orden erhielt, gibt es in einschlägigen Blogs seit Jahren Landkarten unter dem Titel „Vinerstan“, welche die jeweiligen Koalitionen und Einflussbereiche Viners darstellen.

          Für die Gruppenqualifikation in Stuttgart hat sich auch die FIG etwas einfallen lassen: Die besten zehn qualifizieren sich direkt für Rio, aber sie müssen drei Kontinente repräsentieren. Die Aussichten für die besten amerikanischen Teams sind allerdings eher gering. Daher hat man flugs in die Kriterien den Satz eingefügt: „Wenn die besten zehn Gruppen alle aus Europa kommen, dann qualifizieren sich nur die besten acht und der neunte und zehnte Platz geht an die bestplazierten Gruppen aus Afrika, Amerika, Asien oder Ozeanien.“ Es gibt also doch einiges, was jenseits der Titelvergabe spannend wird in Stuttgart.

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