Van der Poel siegt in Sanremo : Cross-Weltmeister sticht bei Favoriten-Quartett
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Starker Vorstellung in Sanremo: Mathieu van der Poel gewinnt den Frühjahrsklassiker Bild: AFP
Auf der Via Roma setzt sich van der Poel unnachahmlich gegen drei Mitfavoriten durch. Pogacar attackiert bei Mailand-Sanremo kurz vor dem Ziel und gewinnt doch nicht.
Nach seinem Sieg bei der Cross-WM hat der niederländische Radprofi Mathieu van der Poel auch den ersten Saisonklassiker auf der Straße über knapp 294 Kilometer von Mailand nach Sanremo gewonnen. Die holländischen Fans hatten lange darauf warten müssen, wieder einen Landsmann als Triumphator auf der Via Roma in Sanremo bejubeln zu können. Der letzte niederländische Sieger war Hennie Kuiper 1985.
Für van der Poel, einen der spektakulärsten Fahrer seiner Generation, Weltklasse auf der Straße, im Cross und auf dem Mountainbike, hat der Sieg in Sanremo auch eine familiäre Beziehung: Sein Großvater Raymond Poulidor, eine Legende des französischen Radsports, gewann die Fernfahrt vor 62 Jahren.
Die Fahrt in den Frühling, wie das Rennen in Italien liebevoll genannt wird, fand am Samstag zum 114. Mal statt. Und weil die Strecke im Vergleich zu anderen monumentalen Rennen wie der Flandern-Rundfahrt oder Paris–Roubaix den Fahrern kaum Hindernisse in den Weg stellt, kaum Höhenmeter und keine brutalen Pisten, muss man sich die ersten fünf, sechs Stunden der Fahrt vorstellen wie eine gemeinsame Ausfahrt. Man lässt ein paar Ausreißer vorneweg fahren, die übliche Routine, man lässt sie sich an der Spitze abstrampeln für ein wenig TV-Zeit, was die Sponsoren schätzen.
Man rollt dahin, bei Rückenwind wie diesmal ist das Tempo besonders hoch – die Durchschnittsgeschwindigkeit betrug fast 46 Kilometer pro Stunde – und es war wie beim Warten auf Godot, nur dass das Warten nicht Godot galt, sondern Cipressa und Poggio. Die beiden mäßig langen, mäßig steilen Anstiege, mehr Hügel als Berge, warten auf die Fahrer auf den letzten Kilometern. Dort ist der lange Anlauf zu Ende, das Warten, dann wird der Bogen gespannt, stärker und stärker, und dann schießen die besten Fahrer nach vorn.
Ein Treffen der Giganten
Diesmal sahen die Zuschauer einen spektakulären Kraftakt. Es war ein Grand mit vier: der Slowene Tadej Pogacar, zweimal Sieger der Tour de France, der Belgier Wout van Aert, der bei der Tour schon Zeitfahren, Bergetappen und Sprints gewann, dazu der italienische Zeitfahrspezialist und Weltmeister Filippo Ganna – und van der Poel.
Ein Treffen der Giganten, bei dem Pogacar zunächst wie der Stärkste aussah. Auch die Buchmacher hatten ihn vorn gesehen. Der Slowene schien die Prognosen bestätigen zu können, als er an der Cipressa das Tempo anzog. Würde er wieder wie selbstverständlich ein Solo hinlegen, wie schon oft in dieser noch jungen Saison? Doch als es in den Poggio ging, waren van Aert, Ganna und van der Poel auf Augenhöhe mit dem Slowenen. Und wie schon bei der Cross-WM, die van der Poel gegen den favorisierten van Aert gewann, erwies er sich auch jetzt als Meister des Timings und der taktischen Finesse.
Als Pogacar sechseinhalb Kilometer vor dem Ziel angriff, überließ van der Poel die Rolle des ersten Verfolgers van Aert und sammelte seine Kräfte für den entscheidenden Antritt, den Knock-out gegen drei Gegner, die mit ihren Kräften weniger sorgsam umgegangen waren. Wer jetzt immer noch auf Pogacar tippte, sah, wie sich seine Hoffnungen in einem mächtigen Antritt von van der Poel verflüchtigten.
Der Niederländer ließ seine Gegner kurz vor dem Gipfel des Poggio stehen. „Ich fühlte mich gut, und als ich zurückblickte, war niemand mehr hinter mir. Ich spürte, dass ich einen Angriff in den Beinen hatte. Also habe ich es versucht und eine kleine Lücke gefunden.“ Eine Lücke, die er bis ins Ziel auf 15 Sekunden vergrößerte. „Ich wusste, dass ich auch die Beine für einen Sprintsieg hatte, wenn sie mich noch einmal eingeholt hätten“, sagte van der Poel. Dazu aber kam es nicht. Zweiter wurde Ganna vor van Aert und Pogacar. „Mathieu hat allen gezeigt, wie stark er ist“, sagte van Aert. „Er hat zum richtigen Zeitpunkt angegriffen.“
Nikias Arndt vom Team Bahrain Victorious kam als bester Deutscher auf Rang 18. Sein Kollege Nils Politt (Bora-hansgrohe) fuhr auf Platz 21. Politt hatte nach der Cipressa eine Attacke gefahren, doch das Feld hatte ihn bald wieder eingeholt. „Es fühlte sich an, als wäre ich heute immer zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen“, sagte er. Bei van der Poel war es umgekehrt. Er war zur richtigen Zeit immer am richtigen Ort.