Betrug durch Chinas Stars : Doping-Kontrollen für Tischtennisschläger?
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Ma Long: Ist er auch noch mit kontrollierten Belägen unschlagbar? Bild: Picture-Alliance
Timo Boll klagte im FAZ.NET-Interview an, dass 80 Prozent der Tischtennisspieler ihre Schläger tunen. Nun aber gibt es unvermutet neue Hoffnung auf mehr Gerechtigkeit in den Duellen mit Chinas Super-Cracks.
Seit zwölf Jahren bilden die deutschen Herren die zweitbeste Tischtennis-Nationalmannschaft der Welt. Und genauso lange versuchen sie vergeblich, den Chinesen den Mythos ihrer Unbesiegbarkeit zu nehmen. Die Chancen, dass sich das bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro im Sommer ändern könnte, waren bis vor kurzem sehr unrealistisch. Das chinesische Tischtennisimperium kommt so mächtig wie eh und je daher, aber die ewigen Herausforderer aus Europa sind nicht mehr ganz so stark, wie sie einmal waren.
Timo Boll feiert Anfang März seinen 35. Geburtstag und ist nicht mehr ganz auf der Höhe seiner Schaffenskraft. Das Talent Patrick Franziska hat sich für europäische Verhältnisse gut entwickelt, aber nicht gut genug, um irgendeinen chinesischen Spitzenspieler gefährden zu können. Und Dimitrij Ovtcharov, seit einem Jahr der beste Spieler der Welt, der nicht im Reich der Mitte geboren wurde, konnte bis jetzt noch nie gegen den besten Chinesen, Ma Long, gewinnen. Selbst der notorisch optimistische und kampfbereite Ovtcharov sagte in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Ende Dezember: „Es gab Zeiten, da hatten wir bessere Voraussetzungen, die Chinesen zu schlagen.“
Jetzt aber taucht unvermutet ein neuer Hoffnungsschimmer am Horizont auf. Nein, kein neuer deutscher Tischtennisheld wurde entdeckt, aber es könnte gut sein, dass die Chinesen in Rio eines Teils ihrer Stärke beraubt sind. Es geht um die Ausrüstung, genauer gesagt um die Beläge. In einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte Boll, der Rekordeuropameister aus Höchst im Odenwald, beklagt: „Die Beläge sind ein extremer Vorteil für die Chinesen.“ Dass die Gummiauflage der chinesischen Schläger schon produktionstechnisch eine höhere Qualität aufweist, ist das eine. Das andere ist: Die Beläge werden mit Chemikalien nachbehandelt, die den Katapulteffekt noch einmal deutlich verstärken.
Das steht allerdings in klarem Widerspruch zu den Regeln des Internationalen Tischtennis-Verbandes (ITTF). Darin heißt es, dass die Beläge nach der Produktion nicht mehr behandelt oder verändert werden dürfen. Dies sei, so Boll, jedoch Usus. Nicht nur bei den Chinesen, sondern auch bei den anderen Asiaten und bei vielen Europäern. Der Deutsche schätzt: „Etwa 80 Prozent tunen ihre Schläger.“ Bei den Chinesen allerdings sei der Vorteil am größten, weil die Chemikalien mit dem chinesischen Gummi die beste Wechselwirkung erzielten. „Wenn die Chinesen mit meinem Schläger wie gewohnt einen Top Spin ziehen, dann fällt der Ball in der eigenen Hälfte herunter“, sagt Boll, der dem Experiment schon beiwohnte. In seiner Zeit als Legionär in der chinesischen Super-Liga tauschte er im Training mehrmals den Schläger mit einem chinesischen Mannschaftskollegen.

Bei den großen Turnieren werden regelmäßig die Schläger überprüft, aber noch nie wurde ein getunter Belag registriert. „Um das nachzuweisen, müsste man den Belag vom Schläger lösen und ihn ins Labor schicken. Das fordere ich schon lange.“ Ist aber noch nie in die Tat umgesetzt worden.
Bolls Ruf nach mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit hat jedoch Widerhall gefunden. Hubert Motschmann, Professor für chemische Physik an der Universität Regensburg, hat nach der Veröffentlichung des Interviews einen der gängigen sogenannten „Booster“ analysiert, und zwar das „Haifu Tuning Öl“. Daraus leitete Motschmann in Zusammenarbeit mit Tischtennisexperten ein Kontrollverfahren ab, das während eines Turnieres praktikabel und bezahlbar wäre. Der grundsätzliche Ansatz: Alle durch die ITTF zugelassenen Beläge werden einem Zulassungstest unterzogen. Diese Eingangskontrolle könnte durch ein Rheometer (Messgerät zur Ermittlung des Verformungs- und Fließverhaltens von Materie) erfolgen, das die Deformation des Belages festhält und den Katapulteffekt auf den abspringenden Ball misst. Die aktuellen Messwerte bei einem Turnier werden dann mit den Grundwerten verglichen, und bei einer festzulegenden Abweichung wird der Spieler disqualifiziert.
Professor Motschmanns Grundkonzept ist schon bei Thomas Weikert gelandet, dem deutschen Präsidenten der ITTF. Nach einer ersten internen Prüfung, die positiv verlaufen ist, hat Weikert die Ausrüstungskommission seines Weltverbandes beauftragt, bis zum 27. Februar eine Expertise für die Umsetzbarkeit zu erstellen, damit das Exekutivkomitee des Weltverbandes über die Einführung der neuen Tests entscheiden kann. Das Gremium tritt wenige Tage danach im Rahmen der Mannschafts-Weltmeisterschaften in Kuala Lumpur zusammen. Bis zu den Olympischen Spielen im August könnte das neue Kontrollverfahren schon eingeführt sein. Weikert ist optimistisch: „Wenn die ganze Sache mit einem vertretbaren Aufwand umsetzbar und zu finanzieren ist, wird niemand etwas dagegen sagen.“
Motschmann beziffert die Kosten für ein herkömmliches Rheometer mit 20.000 Euro, für den vergleichsweise primitiven Messvorgang beim Tischtennis täte es jedoch auch eine abgespeckte Version. Mehr als zwei Geräte müsste der Weltverband nicht erwerben oder ausleihen, weil nur die Weltspitze bei ihren großen Turnieren kontrolliert werden soll. Der Test sei während einer Veranstaltung leicht auszuführen, innerhalb von drei Minuten läge das Ergebnis vor. „Das ist so einfach, das kann jeder Schiedsrichter nach einer kurzen Einweisung leisten“, so die Einschätzung von Professor Motschmann.
ITTF-Präsident Weikert wehrt sich gegen Bolls Vorwurf, der Verband sei in der Vergangenheit tatenlos geblieben: „Wir hatten uns des Themas getunte Schläger schon angenommen, weil wir Chancengleichheit für alle Spieler wollen. Aber die Athletenkommission war zunächst dagegen, dass die Spieler zu Testzwecken ihre Beläge vom Schläger abreißen müssen. Das wäre ein nicht zu akzeptierender Eingriff, weil die Schläger sensibel seien. Außerdem hätten manche Spieler nur einen Belag für ein Turnier.“ Mittlerweile habe aber der Sprecher der zehnköpfigen Kommission, der Weißrusse Wladimir Samsonow, signalisiert, dass die Spieler damit einverstanden seien. „Timos Interview hat die Angelegenheit sicher beschleunigt.“
Für Motschmann sind die Einwände kein Argument. „Schlägerbeläge werden doch von den Weltklassespielern so gut wie nach jedem Spiel abgerissen und ausgetauscht. Und selbst wenn man den alten Belag wieder anklebt, ist das nicht mit einem Leistungsnachteil verbunden.“ Wenn das neue Kontrollverfahren allerdings am Abreißen des Belages scheitern sollte, hat Motschmann eine Alternative parat: „Die Messungen werden durch das Ablösen des Belages genauer, aber ich könnte auch eine Methode anbieten, bei der der Belag nicht vom Schläger entfernt werden müsste.“
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Mehr erfahrenWeikert betont, dass bis jetzt nicht der Nachweis geführt sei, dass Chinesen oder andere Sportler manipuliert hätten. „Deshalb will ich auch nicht von Betrug sprechen. Aber dass wir ein Problem mit den Belägen haben, will ich nicht wegdiskutieren.“ Bolls Forderung im F.A.Z.-Interview stellt keine Einzelmeinung dar, sondern die der Mehrheit der Weltklassespieler, gerade aus Frankreich, Deutschland und Japan. Dass sehr viele Spieler ihre Schläger tunen, gilt als offenes Geheimnis.
Dass die Chinesen ihre Vormachtstellung im Tischtennis sofort einbüßen würden, falls ein neues Testverfahren Einzug hielte, glaubt Boll indes nicht. „Ich will nicht behaupten, dass die chinesische Stärke allein auf den Belägen beruht. Sie haben die besten Bedingungen, die meisten Trainer, das meiste Geld. Aber es ist sicher, sie könnten manchen Ball nicht so spielen, wie sie ihn spielen, und manche Schläge hätten nicht die Qualität, die sie im Moment haben.“ Boll will durch seinen Protest nicht Olympiasieger werden, sondern Chancengleichheit: „Wenn die Chinesen einen tollen Belag entwickelt hätten, der allen überlegen ist, dann wäre das ja in Ordnung. Dann könnte ich ihn mir im Laden kaufen, oder ich könnte den Ausrüster wechseln. Aber chinesische Schläger, die gibt es nirgendwo zu kaufen, und die Beläge werden noch behandelt.“
Ein Unrechtsbewusstsein hätten die Chinesen nicht. Für sie sei regelkonform, was durch die Tests komme. „Der Spieler Wang Hao hat einmal in einer Livesendung des chinesischen Fernsehens demonstriert, wie sie den Schläger präparieren. Dabei ist jede Nachbehandlung ausdrücklich verboten, eigentlich war das der Nachweis eines Betrugs“, sagt Boll. Er sei dagegen mit einem Schläger konkurrenzfähig, der nicht nur messtechnisch regelkonform ist, sondern den Regeln zu 100 Prozent entspricht. Noch mehr: „Ich spiele mit Belägen, die man im Laden kaufen kann.“