Alexandra Burghardt bei EM : „Ich kriege bei der Vorstellung eine Gänsehaut“
- -Aktualisiert am
Alexandra Burghardt war mit der Staffel bei der WM erfolgreich. Bild: AFP
Bei Winter-Olympia donnerte sie im Bob zu Silber, bei der Leichtathletik-WM lief sie zu Bronze. Im 200-Meter-Sprint startet Alexandra Burghardt nun bei der EM „dahoam“. Dafür stellt sie ihr Leben um.
Als Alexandra Burghardt vor drei Jahren zu Trainer Patrick Saile wechselte, steckten sich die beiden ein Ziel. Sie sollte nicht mehr fünftes Rad am Wagen sein, diejenige, die den schnellsten Frauen Deutschlands zwar am nächsten kam, aber eben doch nicht eine von ihnen war. Alexandra Burghardt wollte nicht mehr Ersatzläuferin sein. Das Bild des Erfolges: Bei den European Championships in München sollte sie im Olympiastadion für Deutschland starten.
Der Plan ist aufgegangen. „Auf Eis. Auf Tartan. Dahoam.“ steht auf einem riesigen Plakat in der Münchner Innenstadt, das Alexandra Burghardt in den Startblocks zeigt. Es demonstriert nicht allein den Stolz der Landeshauptstadt auf diese eine von zwölf bayrischen Leichtathleten, die bei der Europameisterschaft von diesem Montag an starten werden.
Finale am Donnerstag
Es spielt auch darauf an, dass Alexandra Burghardt neben Weitspringerin Malaika Mihambo die Einzige in der deutschen Auswahl von 112 Sportlerinnen und Sportlern ist, die ebenfalls eine Olympia- und eine WM-Medaille gewonnen hat. Bei den Winterspielen von Peking donnerte die 1,82 Meter große Athletin als Anschieberin des Bobs von Mariama Jamanka im Februar zur Silbermedaille. Nur fünf Monate später sprintete sie bei der Weltmeisterschaft von Eugene/Oregon in der deutschen Staffel auf Platz drei.
Am Ziel sieht sie sich längst nicht. Noch immer berührt sie die Aussicht auf den Start im Olympiastadion von 1972. „Ich kriege eine Gänsehaut, wenn ich mir im Training vorstelle, dass ich bei dieser EM starten werde“, sagt sie. Statt über die hundert Meter, deren Finale am Dienstagabend ansteht, ist sie für die zweihundert Meter gemeldet mit Finale am Donnerstagabend.
In der vergangenen Woche war Alexandra Burghardt damit beschäftigt, Tickets umzutauschen. Freunde, Familie und nicht zuletzt sie selbst waren überrascht, dass sie sich allein für die lange Sprintstrecke qualifiziert hatte. Bei der WM war sie über hundert Meter gestartet und mit 11,29 Sekunden ausgeschieden – weit entfernt von ihrer Bestzeit von 11,01 Sekunden.
„Bei den European Championships werden fünfhundert von meinen Leuten im Stadion sein“, hatte Alexandra Burghardt einst geschwärmt. Nun stellt sie fest: „Die Zahl verfolgt mich. Ich hatte gemeint, dass ich im Gegensatz zu internationalen Wettbewerben, wo vielleicht drei Leute sitzen, die man irgendwie kennt, in München fünfhundert sein würden, die mir nicht fremd sind.“ Nun hört sie von Freunden und Nachbarn, wer alles kommen will, wer alles Karten hat. „Sagen wir so: Es werden richtig viele sein. Ich hoffe, ich sehe sie oder höre sie wenigstens, wenn sie für mich schreien.“
Athleten fehlen
Mit der Staffel sorgte Alexandra Burghardt in Eugene für einen der wenigen Erfolge des deutschen Teams. In Gedanken waren die meisten längst beim Saisonhöhepunkt der Herzen in München, der an diesem Montag mit einer Leistungsschau der Ausdauersportler beginnen wird: mit den Marathonläufen der Frauen und der Männer am Mittag und den 10.000 Metern der Frauen mit Konstanze Klosterhalfen und Alina Reh am Abend. So richtig wird die deutsche Nationalmannschaft die Scharte von Eugene nicht auswetzen können.
Malaika Mihambo, Siebenkämpferin Carolin Schäfer und Geher Jonathan Hilbert sind nach einer Corona-Erkrankung noch nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte. Eine Reihe von Medaillenfavoriten wie die Speerwerfer Christin Hussong und Johannes Vetter, Hindernisläuferin Gesa Krause und Dreispringer Max Heß fehlen. Athleten wie die Olympia-Zweite im Diskuswerfen Kristin Pudenz, wie Marathonläufer Amanal Petros, wie 5000-Meter-Läufer Mohamed Mohumed oder wie die jungen deutschen Sprinter, die ein Wechselfehler die Qualifikation zum WM-Finale kostete, können zeigen, was sie wirklich können.
Alexandra Burghardt stellte für diese Chance ihr Leben auf den Kopf. Anders trainieren, anders essen, anders schlafen – wenn sie nicht durch die Verschiebung der Olympischen Spiele 2020 eine Pause erhalten hätte, um all ihre Verletzungen auszukurieren und all ihren Beschwerden auf den Grund zu gehen, wäre sie vermutlich nicht zum Ziel ihrer frühsten Träume gelangt. Sie wolle die Tage von München einfach genießen.
„Eine Sportkarriere ist so kurz. Dass man überhaupt die Chance und das Glück hat, so eine internationale Meisterschaft so nah an daheim zu haben, ist selten“, sagt sie. „Berlin war für mich nicht so nah, nicht wie die EM daheim.“ 2018, das war die Zeit vor der neuen Alexandra Burghardt.
Das schönste Stadion
Für die Sportlerin aus Mühldorf am Inn, eine Autostunde östlich von München aufgewachsen, war die große Stadt als Kind das Tor zur Welt. Zu den in Fotos manifestierten Erinnerungen der Familie gehören Bilder der Sechstklässlerin Alex mit der Hammerwerferin Betty Heidler und dem Kugelstoßer Peter Sack, entstanden beim Europacup 2007 im Olympiastadion. „München, mit dem Geist von vor fünfzig Jahren“, schwärmt Alexandra Burghardt, „mit seiner perfekten Größe, mit dem Olympiapark: Es ist das schönste Stadion der Welt.“
Zum Training ist sie darin schon gelaufen, auf der alten Bahn. Nun liegt eine neue, mit klassisch roter Oberfläche. Bei einem Medientermin nutzte sie die Gelegenheit, ein wenig auf der Gegengeraden auf und ab zu joggen „Auf dieser Bahn zu laufen: Ich bin schon sehr stolz“, sagt sie. Dieses Gefühl teilt sie mit ihrem Mann. Frisch verheiratet, fand dieser, dass es ein Schmarrn wäre, wenn sie nach all ihren Erfolgen ihren Namen ablegte. Nun heißt er Philipp Burghardt. Alexandra Burghardt hat nicht nur sich einen Namen gemacht.