Berlin-Marathon : Auch die Hasen jagen den Weltrekord
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In Berlin schneller als anderswo
Nicht nur die Schnellsten der Welt, sondern jeder ambitionierte Marathonläufer rennt in Berlin schneller als anderswo. Die Veranstalter sind stolz darauf, dass fünf irische Läufer am Sonntag praktisch ihre Trials in Berlin austragen werden, dass sie eine polnische Gruppe unterstützen können, die 2:09 zu erreichen versucht. „Im Vorjahr der Olympischen Spiele hat sich das Interesse von Elite und Subelite mehr als verdoppelt“, konstatiert Milde. „Das freut uns, denn wir haben kein Interesse, dass an der Spitze Riesenlücken zwischen den Siegern und den anderen Läufern entstehen.“
Simon Stützel schließt eine dieser Lücken. Mit 2:17 Stunden Bestzeit und dem Sieg im Karlsruhe-Marathon am vergangenen Wochenende auf seiner Seite, macht er auf der ersten Hälfte des Berlin-Marathons Tempo für seinen Vereinskameraden Julian Flügel, der sich für Olympia in Rio qualifizieren will. „Wir nehmen Marathon absolut als Teamsport“, sagt er über seinen Beitrag in Training und Wettkampf. So wichtig ist der Beistand - Anwesenheit und Zuspruch mehr als Windschatten und Flasche -, dass manche Läuferin ihm schon mit Brief und Pralinenschachtel fürs Tempomachen dankte.
„Im Wettkampf gehen Tempomacher und Läufer einen emotionalen Bund ein.“ Eigentlich sei es totaler Quatsch, ein Rennen stoisch in einem Tempo zu laufen, sagt Stützel. Doch das Anstrengende am Marathon sei die Konzentration. Mit dem richtigen Tempomacher könnte sich ein Läufer oder eine Läuferin mental schlafen legen, verbrauche kaum Energie und gehe frisch in die zweite Hälfte des Rennens - immer noch gut 21 Kilometer.
Das deckt sich mit der Beobachtung von Shalane Flanagan. Im vergangenen Jahr versuchte die Amerikanerin, ihren Landesrekord zu brechen: in Berlin und zum ersten Mal mit der Hilfe von Tempomachern. „Ich musste nicht nachdenken. Ich musste mein Hirn nicht gebrauchen“, erzählt sie. Rennen ohne Tempomacher, sagt sie, seien spannender, „wie ein Boxkampf. Du musst rangehen, du brauchst eine Strategie. Es ist anstrengender. Insgesamt kommen dabei unterhaltsamere Rennen heraus.“ Mag sein. „Aber wenn man keine Tempomacher mehr hat, gibt es auch keine Weltrekorde“, sagt Hermann Achmüller. Er ist schon einen mitgelaufen.
„Die Kunst des Tempomachers ist die Ruhe“
Das war 2001, als Naoko Takahashi in Berlin als erste Frau unter 2:20 Stunden lief. Achmüller, ein ambitionierter Hobbyläufer aus Südtirol, stieß damals im Rennen zufällig auf die Japanerin und blieb länger an ihrer Seite als die Tempomacher. Seitdem, scherzt er, liefen ihm die Frauen nach. Für Irina Mikitenko, Sabrina Mockenhaupt und viele andere war er im Rennen der Mann an ihrer Seite. Inzwischen 44 Jahre alt wird er am Sonntag versuchen, Anna Hahner zu einer Bestzeit zu verhelfen - obwohl er vor zwei Wochen noch an der 100-Kilometer-WM teilnahm und fürchtet, dass die Beine sich noch nicht recht erholt haben. Sein Job: „Die Frauen vor denen zu schützen, die sich ins Fernsehbild drängen.“ Tempomachen versteht er als anspruchsvolle Aufgabe: „Die Kunst des Tempomachers ist Ruhe.“
Da ist er ganz bei den Profis aus Kenia. „Schnell rennen zu können reicht nicht, um ein guter Tempomacher zu sein“, sagt David Kogei, einer der drei Spitzen-Tempomacher mit einer Halbmarathon-Bestzeit unter sechzig Minuten. „Wir kontrollieren die Spitze, wir kontrollieren das Rennen.“ Manchmal sei es entmutigend, räumt er ein, vorn zu laufen, aber nicht ans Ziel zu kommen. Doch für ihn, da gibt es keine Zweifel, gilt der Kontrakt des Hasen. Seine Zeit soll im November kommen, wenn er beim Ljubljana-Marathon startet. „Jeder will Finisher sein“, sagt Kogei, „ich kann es kaum erwarten.“