DHB-Auswahl im Neuaufbau : Handball zum Haareraufen
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Das DHB-Team muss sich finden bis zur WM in Polen und Schweden. Bild: dpa
Der deutschen Nationalmannschaft gelingt die Qualifikation für die WM 2023. Aber wacklige Auftritte wie gegen Färöer lassen wenig erwarten. Bundestrainer Gislason kann in nächster Zeit wenig ausrichten.
All die Jahre als Vereinstrainer war Alfred Gislason kaum zu bremsen, wenn es darum ging, Fehler aus dem Spiel im Training zu beheben. Seine Ungeduld ist legendär, und manchmal wirkte Gislason nach Niederlagen des THW Kiel besser gelaunt als nach erwartbaren Siegen, denn daraus ergab sich ein klarer Auftrag: Analysieren, was schiefgelaufen war und dann üben, üben, üben. Oft haben seine Spieler die Augen verdreht wegen Gislasons Arbeitsethos und sich gedacht, ob die Videostunde danach wieder so lang sein müsse, wenn der nächste Gegner Balingen oder Lübbecke war?
Der 62-Jährige hat ein wenig abgelegt von dieser Besessenheit. Als Bundestrainer mutet er den Nationalspielern weniger zu – was sinnvoll ist, kommen seine Auswahlkräfte doch aus dem Stress des Bundesliga-Alltags. Man bekommt mit Blick auf den Jahresplan des Deutschen Handballbundes (DHB) nun eine Vorstellung, wie frustrierend dieses Jahr für Gislason werden dürfte: Der nächste Lehrgang beginnt erst in sechs Monaten.
Glanzlos gegen die Färöer
Dabei gebe es so viel zu verbessern nach den dürftigen Auftritten in den Berechtigungsspielen gegen die Färöer. Weder das 34:28 am vergangenen Mittwoch in Kiel noch das 33:27 am Samstagabend in Tórshavn lassen zuversichtlich auf die Weltmeisterschaft Anfang 2023 in Polen und Schweden blicken – immerhin dürfen die Deutschen teilnehmen, ohne dass es zu einer Blamage gegen das Land mit seinen 52 000 Einwohnern kam.
Doch die DHB-Sieben hatte sich glanzlos zu den Erfolgen gemüht, und als es beim Rückspiel zur Pause 16:15 für die Färöer stand, johlten 1700 Fans in Blau und Weiß über diesen Teilerfolg. Gislason blieb ruhig. Er weiß, was er von seiner Gruppe erwarten kann. Heftige Ausschläge in der Leistung nämlich, vor allem nach unten. Verglichen mit den ordentlichen Auftritten in den Tests gegen Ungarn Anfang März waren die Partien im WM-Play-off ein Rückschritt.
Schwierige Rahmenbedingungen
Wie misslich, dass Gislason nun zur Untätigkeit verdammt ist. Er sagte: „Es macht mir richtig viel Spaß, mit den Jungs zu arbeiten. Aber leider haben wir jetzt eine Weile gar keine Treffen mehr.“ Weil der DHB Gastgeber der Europameisterschaft 2024 ist, fehlen die Qualifikationspartien.
Um aktiv zu bleiben, spielt die Nationalmannschaft im „EHF Euro Cup“ zwischen Oktober 2022 und April 2023 gegen die ebenfalls schon startberechtigten Schweden, Dänen und Spanier. Folglich versammelt Gislason seine Spieler erst wieder am 10. Oktober. Drei Tage später spielen sie in Mannheim gegen Schweden, am Wochenende darauf reist der DHB nach Spanien. Etwas aufbauen, etwas entwickeln? Das ist bei diesen Rahmenbedingungen heikel.
Ähnlich erging es seinen Vorgängern. Aber Gislason musste erst pandemiebedingte Spiel-Absagen wegstecken und hat dann sein Gerüst verloren, weil Weinhold, Gensheimer, Pekeler und Wiencek aufgehört haben oder eine Pause einlegen. Da stellt sich die Frage, auf welche Stammsieben er in diesem Jahrzehnt des Handballs setzen kann? Schließlich soll es für den DHB 2024 und drei Jahre später bei der WM zuhause nicht um Erlebnisse, sondern Ergebnisse gehen.
Wie kleinteilig die Arbeit an seinem Team ist, belegen Details. Mit Simon Ernst aus dem Innenblock hatte Gislason das Hinspiel analysiert und ihm geraten, er solle seitlicher zum Gegenspieler stehen statt Brust an Brust, um weniger leicht ausgetrickst zu werden. Ernst ist zwar ein erfahrener Profi, aber als Abwehrspieler ein Neuling. Sehr viel besser machte er es dann nicht.
Technische Fehler, große Lücken
Dass der Bundestrainer in diesen Play-offs auf Erfahrung setzte, ist nachvollziehbar. Es ging um viel, also ließ er Kai Häfner und Julius Kühn spielen, Andreas Wolff und Johannes Golla. Im Rückspiel durften dann auch Tim Zechel am Kreis, Julian Köster, Djibril M’Bengue und Juri Knorr im Rückraum etwas länger mitmachen.
Aber wer auch spielte, vieles erinnerte an die wackligen Auftritte der Deutschen bei allen Turnieren seit 2019, und in wie viele der aufgestellten Fallen selbst etablierte Profis tappten, überraschte dann doch. Wieder gab es technische Fehler zum Haareraufen – und Lücken in der Abwehrmitte. Es war die nachlassende Kraft der Färöer, die die Deutschen zu deutlichen Siegen bugsierte.
Immerhin nimmt Gislasons Team an der WM teil, am 13. Januar 2023 geht es in Kattowitz los. Der Modus mit Vierergruppen in der Vorrunde verzeiht vieles, weil drei Mannschaften weiterkommen. Derjenige, der beim DHB das Erwartungsmanagement verantwortet, sollte das Halbfinale als Ziel aber besser außen vorlassen. Das wäre Alfred Gislason gewiss sehr recht.