Gislason vor dem Debüt : „Elder Statesman“ mit breiten Schultern
- -Aktualisiert am
Debüt im Zeichen des Virus: Gislason im „Aktuellen Sportstudio“ des ZDF Bild: Imago
Vor seinem ersten Spiel als Handball-Bundestrainer zeigt Alfred Gislason, wie er die Aufgabe versteht. Er muss das Rad im Nationalteam nicht neu erfinden. Zumal die Zeit bis zur nächsten Weltmeisterschaft drängt.
Ruhig bleiben, Humor bewahren, pragmatisch an die kommenden Aufgaben herangehen: Alfred Gislason kommt nach eigenen Angaben gut durch diese verwirrenden Tage und Wochen. Am Samstag im „Sportstudio“ des ZDF hatte er die Diskussionen um den nächsten Gegner vorweggenommen und trocken bemerkt: „Ich hoffe, die Bosnier kommen auch.“
Zum Handball gehört ein Gegner. Daran hat sich nichts geändert. Da mag der eigene Kader noch so groß sein – Gislason hat sehr großzügig nominiert, um etwaige Ausfälle zu kompensieren und Kräfte zu sparen. An diesem Donnerstag (16.15 Uhr im ZDF) in Düsseldorf also, selbstverständlich ohne Fans: Deutschland gegen Bosnien, erstes Berechtigungsspiel zur Europameisterschaft 2022 in Ungarn und der Slowakei. Und: Premiere des Bundestrainers Alfred Gislason auf der Bank.
Seit Montag sind die Auswahl-Akteure des Deutschen Handballbundes (DHB) versammelt. Einen Tag Angriff trainieren, einen Tag Abwehr. Ein bisschen Videostudium des Gegners. Dann das Spiel am Donnerstag, wieder ein bisschen Defensive und Offensive üben, ehe es am Sonntag per Charterflug direkt zum zweiten Qualifikationsspiel nach Tallinn in Estland gehen soll. Mehr Zeit bleibt nicht. Überstürzen kann Gislason auch nichts. Die Belastung der Spitzenspieler ist schon jetzt immens: „Ich muss alles etwas herunterfahren, ohne die Ziele zu gefährden“, sagt Gislason, „wenn ich zweimal am Tag trainiere, sind die Spieler tot.“
Trommeln für den Handball
An Gefolgschaft wird es nicht fehlen: Jüngere Nationalspieler wie Timo Kastening betonten schon nach den ersten Lehrgangstagen, welche natürliche Autorität von Gislason ausgehe. Das könnte der Hauptunterschied zu seinem Vorgänger Christian Prokop sein. Die Diskussionen um die armen Bosnier mit ihren nur noch elf spielfähigen Profis hat Gislason nach außen und innen geduldig hingenommen. Wer könnte in diesen Zeiten auch einen Hektiker gebrauchen, der schimpft, dass ihm womöglich „wichtige Gegner“ wegbrechen?
Seit Februar Bundestrainer, sind aus dem geplanten halben Jahr ohne Handball seit seinem Ende beim THW Kiel im Juni 2019 nun fast anderthalb geworden. Den ersten Lehrgang im März in Magdeburg hatte Gislason freudestrahlend begonnen, bis Gegner Niederlande absagte und es dann Corona-Fälle im eigenen Team gab. Er füllte die freie Zeit: Auf seinem ländlichen Anwesen in Wendgräben nahe Magdeburg sei „nun wirklich alles fertig“, erzählt Gislason mit einem Lachen.
Er hat die Zwangspause auch genutzt, um für den Handball zu trommeln. In Interviews hat er vor einer Pleitewelle in der Bundesliga gewarnt und daran erinnert, wie gut und gesund diese Liga vor Corona dastand. Finanzsorgen, früher Liga-Alltag, kennt er aus seinen Zeiten als Trainer in Hameln (bis 1999) und Gummersbach (bis 2008). Er hat zum Ausdruck gebracht, wie misslich es sei, dass nun keine Zuschauer mehr in die Hallen dürfen – aber das war keine Klage. Alfred Gislason ist in den großen Fragen dieses Sports ein so geeigneter wie eigenständiger Repräsentant des DHB, weil er jahrzehntelange Erfahrung hat und wie der „Elder Statesman“ auftritt, nicht wie der Vereinstrainer, der vor allem eigene Belange im Blick hat.
Spielplan der Handball-WM 2021 in Ägypten
Er wird das Rad im Nationalteam nicht neu erfinden. Starke Torhüter, gute Abwehr mit Kieler Kern, dazu Tempospiel und vorn Improvisation – jedem Bundestrainer waren die Hände gebunden, was das Einstudieren neuer Systeme angeht; das liegt an den wenigen Lehrgangstagen. Gislason hat kaum Zeit, die Spieler auf die Weltmeisterschaft im Januar 2021 in Ägypten vorzubereiten – darum geht es ja eigentlich. Die Partien diese Woche sind nur lockerer Aufgalopp. Gislason ist davon überzeugt, dass die WM gespielt wird: „Ich war bei einigen Telefonsitzungen dabei. Es soll eine Blase wie in der NBA geben, damit Spieler und Funktionäre komplett abgeschottet sind. Ich gehe davon aus, dass sie es durchziehen.“
Dabei richtet sich sein Blick auf das, was er beeinflussen kann: Einen stabilen Kader nominieren, die äußeren Umstände ausblenden, die Mannschaft gut einstellen, angemessen coachen. Idealerweise das Halbfinale erreichen. Sein Pragmatismus wirkt wie ein Anker. Einige Stammspieler fehlen virusbedingt oder verletzt. Es zahlt sich schon aus, dass Gislason 35 Akteure in seinen Kader berufen hat. Als Kieler Trainer hat er oft geklagt, wenn ihm Profis angeschlagen fehlten. Als Nationaltrainer hat er diese Haltung abgelegt: „Was soll ich machen? Ich kann die Situation nicht ändern. Ich freue mich, dass es endlich losgeht.“ Da geht einer mit breiten Schultern in einer schwierigen Lage voran – viel mehr kann man in diesen Zeiten nicht verlangen.