Handball-Nationalmannschaft : Gislason beweist Mut in der Not
- -Aktualisiert am
Alfred Gislason beruft neue Talente in die Nationalmannschaft – auch im Hinblick auf die kommenden Turniere. Bild: dpa
Nationaltrainer Alfred Gislason beruft eine erfrischend kühne Auswahl. Im Hinblick auf die Heim-EM 2024 und die Weltmeisterschaft in Deutschland im Jahr 2027 kommt dieser Neustart zur rechten Zeit.
Die Begriffe innovativ und experimentierfreudig verbindet man nicht mit dem Namen Alfred Gislason. Als Handballtrainer in Magdeburg und Kiel vertraute er der individuellen Klasse gestandener Kräfte. Mit Erfolg. Als Bundestrainer hat der 61 Jahre alte Isländer weniger Qualität im Kader und stieß bei seinen bisherigen Turnieren an Grenzen.
Zwei Dinge haben nun offenbar dazu geführt, dass Gislason eine neue Strategie wählte, als er Anfang der Woche seinen Kader für die Länderspiele im November gegen Portugal vorstellte: Zum einen hatten die arrivierten Profis ein schwaches Abschneiden bei der WM in Ägypten und den Olympischen Spielen in Tokio nicht verhindert. Zum anderen gibt es keinen besseren Zeitpunkt für einen Neustart als jetzt – zwar steht im Januar 2022 eine Europameisterschaft an. Doch die wahren Höhepunkte im „Jahrzehnt des Handballs“ kommen erst: die Heim-EM 2024 und die Weltmeisterschaft in Deutschland 2027.
Dass Gislason sich mit einem neuen, jungen Team auf den Weg macht, ist erfreulich. Und riskant. Allzu viel wird der Deutsche Handballbund (DHB) von dieser Nationalmannschaft nämlich nicht erwarten dürfen beim kontinentalen Kräftemessen von Mitte Januar an in der Slowakei und Ungarn. Mit Andreas Wolff, Hendrik Pekeler, Steffen Weinhold, Finn Lemke und Uwe Gensheimer fehlt die komplette Achse der vergangenen Jahre; sie sind zurückgetreten oder nicht nominiert worden.
Gutes Zeichen für den Handballsport
Auf namhafte, erfahrene Spieler wie Kai Häfner und Julius Kühn haben Gislason und DHB-Sportdirektor Axel Kromer ebenfalls verzichtet. Der Kader spiegele aktuelles Leistungsvermögen und Perspektive, sagte Gislason. Und obwohl es auch hieß, die Tür Richtung Nationalteam bliebe für jeden offen, gibt diese Nominierung einen konkreten Hinweis darauf, auf wen Gislason künftig setzt: Wer bei dem am Montag startenden Lehrgang dabei ist, hat beste Chancen auf die EM-Teilnahme – und für die Zeit danach.
Die Torhüter Wolff und Silvio Heinevetter gehören nicht mehr dazu. Wolff, der EM-Held von 2016, zeigte zuletzt weder im DHB-Dress noch bei seinem polnischen Klub Kielce exzellente Darbietungen en masse. Heinevetter steht nach seinem enttäuschenden Melsunger Intermezzo ab der nächsten Saison ohne Vertrag da. Gislason musste nicht lange suchen – er hat die beiden formstärksten deutschen Tormänner jüngeren Alters eingeladen: Till Klimpke aus Wetzlar und den Leipziger Joel Birlehm.
Es ist ein gutes Zeichen, dass solchen Talenten die Tür zum deutschen A-Team offensteht. Der Umbruch beginnt nun wirklich. Aber immerhin sind noch gestandene Leute dabei, mit denen sich allemal eine ordentliche erste Sieben zusammenstellen lässt. Leute wie Fabian Wiede, Philipp Weber, Paul Drux oder Patrick Wiencek. Sie sind nun, da andere langjährige Stützen fehlen, gefordert, die Jüngeren zu führen.
Gerade vor dem Hintergrund, dass Gislasons Vertrag nach der Europameisterschaft endet, ist seine Auswahl erfrischend kühn. Dass ihn eine gewisse Not bei der Zusammenstellung geleitet haben mag, nicht zuletzt wegen mancher Mängel im Rückraum-Bereich, gehörte einst schon bei Heiner Brand zum Alltag eines Handball-Bundestrainers.