Haile Gebrselassie : „Nie so dick wie Ronaldo sein“
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Laufkönig war gestern: jetzt strebt Gebrselassie neue Ziele an Bild: dpa
Mit 38 Jahren muss Haile Gebrselassie erkennen, dass die nächste Generation ihn überholt hat. Der Äthiopier im Gespräch über die Gründe, warum er auf London 2012 verzichtet, und die Motivation, warum er dennoch weiterläuft.
Haile Gebrselassie gilt als Wunderläufer, er war zweimal Olympiasieger und viermal Weltmeister über 10.000 Meter; jahrelang hielt der 1,65 Meter kleine Äthiopier den Marathon-Weltrekord. Doch im vergangenen Jahr wurde von dem Kenianer Patrick Makau die Ära Gebrselassie beendet, und in diesem Jahr ist er bei seinem Versuch gescheitert, sich mit einer Topzeit beim Marathon in Tokio das Olympia-Ticket zu sichern. Gleich 16 seiner Landsleute haben in diesem Jahr eine bessere Zeit stehen als Gebrselassies in Japan gelaufenen 2:08:17 Stunden.
Gibt es noch ein Chance, dass Sie bei den Olympischen Spielen in London Marathon laufen?
London ist schon sehr bald. Drei Athleten sind 2:04 Stunden gelaufen, drei weitere 2:05. Meine Zeit ist fast vier Minuten langsamer als die des schnellsten Äthiopiers. Ich wollte in London nicht einfach nur dabei sein. Für mich war die Frage, kann ich unter den Top drei sein. Aber zunächst einmal müsste ich mich für das äthiopische Team qualifizieren - und das ist in Äthiopien nicht einfach.
Versuchen Sie noch, sich zu qualifizieren? Vielleicht über 10.000 Meter?
Ehrlich gesagt, nein. Vielleicht sind Olympische Spiele und Weltmeisterschaften für mich einfach ein bisschen schwierig. Es ist nicht der Wettkampf, es ist die Verantwortung. Ob irgendein Athlet mit oder ohne Medaille nach Hause kommt, ist egal. Aber was würden die Leute von Haile Gebrselassie erwarten? Wie viele Leute würden es akzeptieren, wenn Haile ohne Medaillen nach Hause kommt? Deshalb sollte ich mich da raushalten. Ich sollte nicht mehr für mein Land laufen, denn ich weiß, was die Äthiopier erwarten. Sie erwarten Gold, Gold! Sie wollen nicht sehen, wie Haile Gebrselassie mit der äthiopischen Flagge auf dem Trikot von irgendjemand anderem besiegt wird. So möchte ich mein Land nicht repräsentieren.
Ist dies das Ende Ihrer Karriere?
Glauben Sie, dass Haile Gebrselassie so denkt? Nein, nein! Manche Leute sagen: Jetzt gibt er auf! Aber das mache ich nicht! Natürlich habe ich in Japan mein Bestes gegeben. Aber momentan ist es besser, sich auf etwas anderes zu konzentrieren.
Worauf?
Ich laufe demnächst Halbmarathon in Wien, 10 000 Meter in Manchester. Es gibt viele internationale Rennen. Berlin. New York ...
War der Rücktritt vom Rücktritt nach dem New York Marathon im November 2010 also ein Fehler?
In New York war ich einfach ein bisschen zu emotional. Die Leute haben es nicht akzeptiert, dass ich so aufgehört habe. Daher das Comeback. Jetzt laufe ich wieder. Die Leute verstehen meine Philosophie nicht, aber ich muss einfach immer weiterlaufen, und dafür brauche ich Wettkämpfe. Mein Körper muss schwitzen. Aber um richtig zu schwitzen, brauchst du ein richtiges Ziel. Ich kann nicht einfach zum Spaß laufen. Lasst mich weiterhin Wettkämpfe laufen.
In Berlin haben Sie den bis zum vergangenen Jahr gültigen Weltrekord aufgestellt. Gibt es eine Chance, dass Sie dort noch mal Marathon laufen?
Warum nicht? Ich kenne Berlin gut. Es ist eine wunderbare, eine phantastische Strecke. Wenn der Marathon irgendwann unter zwei Stunden gelaufen wird, dann wird das in Berlin geschehen. Auch wenn ich nicht weiß, wann das passieren wird.
Sie sind 38 Jahre alt, Ihre Konkurrenten sind viel jünger. Fällt es Ihnen schwer, Ihr eigenes Alter zu akzeptieren?
Alter ist nur eine Zahl. Aber manchmal muss man gewisse Dinge einfach akzeptieren. Ich bin nicht mehr 25, aber ich bin immer noch hier. Ich will zeigen, dass es zwischen meinem Alter und ihrem Alter keinen großen Unterschied gibt.
Manche Spitzensportler haben den richtigen Zeitpunkt, ihre Karrieren zu beenden, verpasst. Könnte Ihnen das auch passieren?
Come on! Gestern habe ich im Fernsehen Ronaldo gesehen. Schauen Sie mal, wie dick der geworden ist! So möchte ich nie sein. Wirklich nicht! Darum höre ich nicht auf zu laufen, darum laufe ich weiterhin Wettkämpfe. Auch wenn ich irgendwann ein Veteran sein werde, werde ich weiterhin den Wettbewerb suchen.
Haben Sie Angst, den Status als bester Langstreckenläufer zu verlieren?
Vergessen Sie eines nicht: Die nächste Athleten-Generation wird viel besser sein als die heutige und die Generation davor. Wir wissen nicht, wer in der Zukunft der Beste sein wird, aber irgendjemand wird wie eine Rakete rennen. Früher habe ich gedacht, wer wird je besser als Carl Lewis sein. Und was passierte? Usain Bolt! Es wird immer einen Besseren geben. Es wäre dumm zu glauben, dass man für immer der Beste sein kann.
Sie sind einer der erfolgreichsten Geschäftsmänner Äthiopiens. Werden Sie sich in Zukunft mehr um Ihr Business kümmern und weniger Sport machen?
Das mache ich ja jetzt schon. Mehr Business, mehr Zeit im Büro.
Viele Äthiopier wünschen Sie sich als ihren nächsten Präsidenten. Wie sieht es mit politischen Ambitionen aus?
Wenn sich die Möglichkeit ergibt - warum nicht? Aber nicht jetzt. Jetzt ist die Zeit, Business zu machen. Und das ist kein einfacher Job. Das ist eine andere Herausforderung als das Laufen.