Giro 2007 : In Führung: Der Freund eines Doping-Arztes
- -Aktualisiert am
Hand in Hand gegen Doping? Oder: Eine Hand wäscht die andere? Bild: REUTERS
Der 90. Giro d'Italia scheint ein Giro wie jeder andere zu sein. Die Fahrer erklimmen Berge, die Zuschauer feuern begeistert an, die Zeitungen schwärmen von epischen Taten. Nur die Dopinggeständnisse aus Deutschland stören ein bisschen.
Oberflächlich betrachtet, scheint der 90. Giro d'Italia ein Giro wie jeder andere zu sein. Und die Mailänder Sporttageszeitung „Gazzetta dello Sport“, die die Rundfahrt organisiert, schwärmt wie eh und je von den „epischen Taten“ seiner Protagonisten. Besonders jetzt, da der Tross die schweren Alpenetappen angeht.
Ein echter Italiener hat eben immer Raum für große Gefühle. Der Art, wie sich die Radprofis mühsam die Berggipfel hinaufquälen, hat für ihn etwas Melancholisches. Er will glauben, dass sie nun nicht mehr gedopt sind, und erkennt plötzlich wieder eine menschliche Note in ihrem mühseligen Kampf um Höhenmeter. Das, was die Telekom-Fahrer enthüllt haben, war allerdings auch in Italien ein Pulcinella-Geheimnis, eine Binsenweisheit also.
Auspacken „zur Mode geworden“
Erik Zabels Sprinterqualitäten sind hinlänglich bekannt und geschätzt. Nun hat er die Italiener auch noch gerührt. Dass der Radstar aus Unna in Tränen seine Dopingvergangenheit bekannte, machte ihn den Tifosi sympathisch - und irgendwie ein bisschen menschlicher.
Dass der Italiener Danilo Di Luca die Gesamtwertung des Giro anführt und eine ganze Reihe von Italienern vorne mithalten, stimmt das Land sowieso milde. Di Luca wiederum demonstriert einstweilen Unverständnis, ja Ablehnung gegenüber den geständigen Dopingsündern aus Deutschland und seit Freitag mit Bjarne Riis auch aus Dänemark. „Ich verstehe nicht, warum die Radrennfahrer gerade jetzt auspacken. Welchen Grund sie dafür haben. Wahrscheinlich liegt es daran, dass es zur Mode geworden ist“, sagte der 31 Jahre alte Profi aus den Marken abschätzig.
Di Luca, das neue Gesicht des Radsports
Auf der 15. Etappe von Trient zu den Dolomitengipfeln in Lavaredo hatte Di Luca sein Rosa Trikot des Führenden beinahe verloren. Der Liquigas-Kapitän überwand aber die leichte Krise und führt jetzt mit knapp zwei Minuten Vorsprung vor seinem Landsmann Eddy Mazzoleni, knapp drei Minuten vor dem jungen Luxemburger Schleck. Die ärgsten Rivalen, Gilberto Simoni und Damiano Cunego, beide ebenfalls Italiener, haben einen Rückstand von mehr als drei Minuten auf Di Luca. Beide geben sich allerdings nicht geschlagen und wollen nach einem Ruhetag am Pfingstmontag auf den danach anstehenden Bergetappen wieder angreifen.
Danilo Di Luca, der Gewinner von Lüttich-Bastogne-Lüttich im April, ist das neue Gesicht des italienischen Radsports, wenn auch mit einigen Schattenseiten in seiner Biographie. Man wirft ihm offen eine gefährliche Nähe zu einem Arzt vor, gegen den der italienische Radsportverband bereits wegen Dopings Sanktionen ausgesprochen hat.
„Dopingbeichte“ von Riis als Gipfel der Heuchelei
Es geht um den Mediziner Carlo Santuccione, den Di Luca als seinen Freund bezeichnet. Ein bisschen wundert man sich hierzulande schon über die Unverfrorenheit der deutschen Mediziner, die über Jahrzehnte hinweg stets angaben, sie lehnten Dopingpraktiken ab. Daran wollte auch Alessandro Donati nie glauben. Der wohl kompetenteste italienische Dopingkritiker hat schon in den neunziger Jahren immer wieder auf den weitverbreiteten Einsatz des Blutdopingmittels Epo hingewiesen und auch Beweise angeführt.
Liegt es an der pragmatischen Grundeinstellung, welche die Italiener ebenso kennzeichnet wie ihre Sentimentalität, dass sie so gedämpft auf die deutsche Skandalwelle reagieren? Zweckoptimismus verbreitet unterdessen der Präsident des Internationalen Rennsportverbandes, Pat McQuaid. In Caracas, wo er von Bjarne Riis' Dopingbekenntnis erfuhr, kommentierte er: „Ich denke, dass es wichtig ist, dass die Wahrheit endlich ans Tageslicht kommt.“ Schließlich habe in den neunziger Jahren eine Vielzahl von Radsportlern gedopt. Es sei gleichwohl schwierig, dem weitverbreiteten Doping zu entkommen, das bei allen internationalen Wettkämpfen vorkomme. Ein Anfang sei allerdings gemacht. „Wichtig ist das Aufbrechen der Mauer des Schweigens und der Anfang, an einem anderen Radsport zu arbeiten. Und zwar einem, der frei von Doping ist“, sagte McQuaid.
Gedanken an Marco Pantani
Als Gipfel der Heuchelei empfanden die Tifosi übrigens die plötzliche „Dopingbeichte“ von Bjarne Riis. Es ist nämlich nicht einmal ein gutes Jahr her, dass Riis als Chef des Profi-Teams CSC ihren Liebling Ivan Basso wegen seiner Verwicklung in das spanische Doping-Netzwerk ausschloss. Besonders in Erinnerung ist geblieben, dass Riis den entlassenen Basso in aller Öffentlichkeit als Lügner hinstellte. Mit dem gleichen Maßstab wird jetzt auch Riis gemessen.
Immer wieder gehen beim Giro die Gedanken zurück zu Marco Pantani. Sein Lamento beim Giro 1999, Opfer eines Komplotts zu sein, geht seinen Landsleuten nicht aus dem Kopf. Damals bekräftigte der „Pirat“, nicht der Einzige zu sein, der Probleme mit seinem „Hämatokritwert“ habe. Nun liegt der Beweis dafür auf dem Tisch, dass er in diesem Punkt die Wahrheit gesagt hat. Zu spät. Auch daran, dass er wusste, er war nicht der einzige Gedopte, nur der Einzige, der zur Verantwortung gezogen wurde, zerbrach der Mensch Pantani.