Gewichtheber-Held Ilja Iljin : Die Galionsfigur der Doping-Farce dankt ab
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Zu schwere Altlasten: Ilja Iljin Bild: Imago
Ilia Iljin gilt als der populärste Gewichtheber des 21. Jahrhunderts. Der Zuspruch so vieler Fans ist allerdings auch kontrovers. Denn Iljins Rolle in diesem vom Doping zerfressenen Sport kann man nur übel nennen.
Der Kasache Ilia Iljin gilt als der populärste Gewichtheber des 21. Jahrhunderts. Das hat mit seinen vielen Followern auf Instagram zu tun – er hat fast eine halbe Million. Der Zuspruch so vieler Heber-Fans ist allerdings eher peinlich für die ganze Szene. Iljins Rolle in diesem vom Doping zerfressenen Sport kann man nur übel nennen. Er ist die Galionsfigur der Skandale, die das Gewichtheben zuletzt zur Farce haben schrumpfen lassen und die diesen Sport so nah wie noch nie an den Abgrund, den Ausschluss vom olympischen Programm, brachten.
Diese Woche sagte Iljin, der in diesem Monat 32 Jahre alt wird, der kasachischen Zeitung und Website „Vesti“, dass er beschlossen habe, seine Karriere zu beenden. Ob das eine Genugtuung ist für alle, die trotz der Übermacht der Traditions-Doper für ein besseres Gewichtheben kämpfen? Möglich. Es sieht ganz so aus, als sei Iljin aufgrund der neuen Anti-Doping-Regularien nicht mehr in der Lage gewesen, an seine alte Stärke anzuknüpfen. Das Unwesen hat also ein Ende. Aber viel zu spät.
Einer der Höhepunkte von Iljins Karriere waren die Weltmeisterschaften 2014 in seinem Heimatland, in Almaty. Er startete in der Klasse bis 105 Kilogramm und veranstaltete zusammen mit zwei Konkurrenten ein eisernes Feuerwerk. Die drei letzten Versuche im Stoßen waren allesamt Weltrekord – den Schlussakkord setzte Iljin, der damit auch den Weltrekord im Zweikampf brach und zwei Goldmedaillen holte. Die Krönung kam bei der Siegerehrung. Das Mobiltelefon des Sportministers von Kasachstan klingelte. Nachdem dieser den Anruf angenommen hatte, gab er das Handy an Iljin weiter. Am anderen Ende meldete sich der damalige Staatspräsident Nursultan Nasarbajew, ein Mann, dem das Gewichtheben offensichtlich mehr am Herzen liegt als die Menschenrechte für sein Volk. Man plauderte ein wenig und verabredete sich zum fröhlichen Plausch für den nächsten nationalen Unabhängigkeitstag.
Iljin ist ein Liebling der Führungsschicht in seinem Land. Er war unter anderem – wie der ehemalige Radprofi und Blut-Doper Alexander Winokurow, Teil eines millionenschweren Sport-Förderprogramms des kasachischen Staatsfonds Samruk-Kazyna, das dem Land Prestige bringen sollte. Auch die Bewerbung von Almaty um die Olympischen Winterspiele 2022, die Kasachstan mit Hilfe einer Sympathie-Offensive beinahe dem chinesischen Riesenreich abgeluchst hätte, wurde von diesem Staatsfonds finanziert.
Als Ilja Iljin 2008 in Peking die Goldmedaille gewann, war er der erste kasachische Olympiasieger seit der Auflösung der Sowjetunion. Ein Volksheld. Als er vier Jahre später in London den Olympiasieg wiederholte, wuchs sein Ruhm noch weiter. Von 2005 an blieb er für zehn Jahre ungeschlagen, 2015, beim Präsidenten-Cup in Grosnyj, hob er seine absoluten Bestleistungen, zweimal Weltrekord, 246 Kilo im Stoßen und 437 Kilo im Zweikampf. Er war so stark wie nie. Im Jahr darauf war der Spuk vorbei. Die Nachtests des Internationalen Olympischen Komitees mit aktualisierten Methoden hatten ergeben, dass Iljin sowohl in Peking als auch in London mit dem Steroid Stanozolol gedopt war. Seine Olympiasiege wurden für null und nichtig erklärt.
61 positive Fälle gingen bei diesen Nachtests auf das Konto des Gewichthebens. Das hatte zur Folge, dass der Sport fast ein Viertel seiner Startplätze bei den Spielen verlor. Kasachstan als Rekord-Doper – allein zehn der nachträglich bei Olympia erwischten Heber stammen von dort – wurden vom Weltverband die Quotenplätze drastisch gekürzt. Für Tokio ist nur noch jeweils ein Startplatz bei den Männern und einer bei den Frauen vorgesehen.
Das revidierte Ergebnis von London in Iljins Klasse bis 94 Kilogramm dokumentiert das ganze Ausmaß des Fiaskos. Insgesamt sieben Teilnehmer wurden disqualifiziert. Die Bronzemedaille sprach man nachträglich dem Polen Tomasz Zielinski zu, der ursprünglich Platz neun belegt hatte. Ausgerechnet Zielinski wurde noch im selben Jahr von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro unverrichteter Dinge nach Hause geschickt, weil er positiv auf Nandrolon getestet worden war.
Trotz seiner beiden positiven Tests bei Olympia wurde Iljin nur für zwei Jahre gesperrt. Laut einer Erklärung des Weltverbandes, dem der kasachische Verbandspräsident und Iljins Förderer Schanat Tussupbekow bis heute als Vizepräsident dient, konnte er nicht als Wiederholungstäter eingestuft werden, weil er von den positiven Ergebnissen in der zeitlich verkehrten Reihenfolge erfahren hatte.
Als der Bann 2018 endete, hatte Iljin noch große Pläne – er wollte 2020 in Tokio noch einmal angreifen. Allerdings erreichte er seine alte Leistungsfähigkeit nicht mehr. Unter dem Druck des IOC hatte der Weltverband die Kriterien für die Olympia-Qualifikation neu formuliert. Nun sollte jeder Anwärter innerhalb von drei Halbjahres-Perioden jeweils zwei Wettkämpfe bestreiten, wodurch mindestens zwei Doping-Tests pro Halbjahr gesichert waren. Auch der erfahrene Doper Iljin, der in der Vergangenheit immer wieder für längere Zeit in der Versenkung verschwand, musste sich diesem Programm stellen.
Inzwischen gibt es in Kasachstan mindestens zwei Gewichtheber, die stärker sind als er. Iljin hatte also schon lange keine realistische Chance mehr auf einen Start in Tokio. Bei den Asien-Meisterschaften im April wollte er es trotzdem noch einmal probieren. Er sagte, er hätte vielleicht 0,1 Prozent Chancen auf eine überzeugende Leistungssteigerung gehabt. Doch der Wettkampf wurde wegen der Pandemie abgesagt. Die Olympischen Spiele sind ohnehin verschoben, Iljin hat das Handtuch geworfen. Eine schmutzige Karriere ist zu Ende. Er sagt, dass er vielleicht demnächst eine Gewichtheber-Schule eröffnen wird.